Was kommt nach dem Tod?
Gute Frage. Kreislauf des Lebens, wie beim Radieschen? Löst sich unser Geistwesen von uns ab und schwebt wie eine unsichtbare Wolke zum Fenster hinaus? Bleiben Geist und Körper eins und wir verwesen einfach? Wer kann darauf schon eine Antwort geben?
In der Zen-Literatur findet man eine kleine Anekdote: Ein Schüler fragt seinen Zenmeister: „Meister, gibt es ein Leben nach dem Tod?“ Darauf der Meister: „Ich war noch nicht tot.“ Ende der Debatte!
Ein Gedicht von Marie Luise Kaschnitz1 geht so:
„Die Mutigen wissen
Dass sie nicht auferstehen
Dass kein Fleisch um sie wächst
Am jüngsten Morgen
Dass sie nichts mehr erinnern
Niemandem wiederbegegnen
Dass nichts ihrer wartet
Keine Seligkeit
Keine Folter
Ich
Bin nicht mutig.“
Auch wenn keiner wissen kann, was danach kommt oder eben nicht kommt, gibt es doch Leute, die meinen, mehr zu wissen. Denn es gibt ja Menschen, die von Nahtoderlebnissen berichten können. Zu denen gehöre ich auch, dummerweise.
Wieder einmal war ich zu spät von daheim losgefahren und wollte trotzdem pünktlich ankommen. Im Studium war das, 7.30 Uhr begann meine Griechisch-Übung. Kein Lieblingsfach von mir. Ich raste den Hügel in Marburg runter mit einem Höllenzahn – nur kam diesmal an der ziemlich unübersichtlichen Kurve, die ich ja eigentlich kannte und bei der sonst nie was kam, ein Auto. Ich krachte samt Fahrrad auf die Windschutzscheibe, rollte über das ganze Gefährt, fiel hinten runter und blieb liegen. Ich blutete, konnte mich nicht bewegen.
Und ich sah mich da liegen.
Wollte meinen Arm heben, konnte es aber nicht und entfernte mich immer weiter von der Hülle, die ich da liegen sah auf dem Boden, die aussah wie ich, die ich aber nicht spüren konnte, so jenseits von Raum und Zeit.
Ich hörte eine Frau aus einem Haus rennen nebendran, die das Ganze beobachtet hatte – ganz aufgelöst war sie und rief: „Oh nein, die ist tot, die ist bestimmt tot!“
Der Autofahrer kniete neben mir, kreidebleich und schrie mich an: „Wie soll der Mensch da denn ausweichen, du verrücktes Ding!“
Gerne hätte ich denen gesagt, dass ich nicht tot bin. Aber das konnte ich nicht.
Und ich wusste es nicht mal: War das Tot-Sein? Natürlich nicht. Ich lebe ja immer noch.
Das Licht, von dem viele Menschen mit ähnlichen Erlebnissen wie dem Meinen sprechen, auf das sie zugegangen wären, das habe ich auch gesehen. Ich hatte keine Angst, es ging mir gut (viel besser auch als später dann im Krankenwagen und im Krankenhaus), ich war in guter Verbindung mit Menschen, die mir nahestanden; und ich hatte das Gefühl, dort vorne irgendwo, dort wartete jemand auf mich. Gott?
Keine Ahnung, denn abrupt war ich im Krankenwagen und all diese Verbindungsideen waren weg. Panik, dass ich nicht rechtzeitig in Griechisch wäre, kam auf und irgendwann bekam ich eine Spritze und alles war weg.
Als mich der Autofahrer später im Krankenhaus besucht hat, habe ich ihn sofort erkannt. Und mich zu entschuldigen versucht – was für ein blödes Wort. Verzeihung erbitten wäre richtiger. Und ich weiß, dass es für ihn lange gedauert hat, bis er wieder Auto fahren konnte ohne Angst.
Weiß ich jetzt mehr über das „Danach“? Ich glaube das nicht. Ich weiß nur, dass es sowas geben kann, dass das nicht nur andere erzählen, aber vom Tot-Sein und der Zeit nach dem Gestorben-Sein weiß ich nichts. So wie kein anderer Lebender.
Was also kommt danach: Radieschen oder Wolke? Radieschen gefällt mir.
Und Wolke? Ebenso.
Ein Blick in die Bibel zeigt, dass hier die Vorstellungen sehr vielfältig sind. Die unterschiedlichen Bezeichnungen lassen erkennen, wie man sich die Unterwelt vorgestellt hat: „Land der Dunkelheit und Finsternis“ (Ijob 10,21), „Schweigen“ (Ps 94,17; 115,17), „Land des Vergessens“ (Ps 88,13), „Tiefen der Erde“ (Jes 44,23; Ps 63,10; Ez 26,20; 32,18.24), „Finsternis“ (Ps 88,13), „Sammelstätte aller Lebenden“ (Ijob 30,23), „Vernichtung(splatz)“ (Ijob 26,6; Ps 88,12), „Ewigkeit/[Haus der] Ewigkeit“ (Ez 26,20; Ps 49,12), „Trümmerstätte“ (Ez 26,20) oder auch „Grab“ (Ps 88,12), „Staub“ (Ijob 17,16), „Loch, Zisterne“ (Ez 26,20; Jes 14,15; Ps 88,7) oder „Grube“ (Jona 2,7) ...
Die Welt der Toten, auch Scheol genannt, wurde unterhalb der Erde lokalisiert, so dass der Verstorbene zu ihr in die Tiefe hinabsteigen musste. Dort traf er auf alle seine Vorfahren, zu denen er sich versam- melte und wo er für den Rest aller Zeiten bleiben musste.“2
Erst im 4. Jh. v. Chr. ist der Gedanke belegt, dass Verstorbene nach dem Tod weiterhin mit JHWH in Beziehung stehen können. Jes 25,8; 26,19; Ps 22,28-32 und Dan 12,2f sprechen ganz explizit davon, dass mit dem Tod nicht das Ende aller Gottesgemeinschaft erreicht ist, sondern Gott den Tod besiegt. Die Toten werden auferstehen. Auch im Neuen Testament ist das Interesse am Tod und dem Danach da – ohne dass es eindeutig beantwortet werden kann.
Fulbert Steffenskys Gedanken helfen mir am meisten weiter, auch deshalb, weil ich selbst mir immer schon das besser vorstellen konnte, was meiner Seele guttut. Er sagt: „Ich gestehe, ich bin nicht mutig genug, sie (die Gestorbenen, Anm. d. Verf.) dem Vergessen auszuliefern. Ich bin nicht mutig genug, ihren empörenden Tod als grausames Fakt zu nehmen, dem nichts hinzuzufügen ist. Und so füge ich etwas hinzu. Ich singe (singen geht besser als sagen!): ‚Du aber, meine Freude, du meines Lebens Licht, du ziehst mich, wenn ich scheide, hin vor dein Angesicht.‘ Ich singe es aus Trotz gegen die Zerstörung des Lebens; manchmal aus Trotz und bei geringem Glauben.
Ich erzähle nach, was mir die Bibel erzählt: Der Tod wird nicht mehr sein noch Leid noch Geschrei.
Zum Glück muss ich nicht allein für die Geschichten von der Rettung des Lebens stehen. Mein Glaube allein ist zu gering dazu. Ich stimme ein in das große Märchen von der Auferstehung durch den Tod hindurch. Ein Märchen? Natürlich! Die tiefsten Wahrheiten kommen verschleiert in der Gestalt des Märchens, das sich vortastet bis ins Land des geretteten Lebens. Ich bin nicht mutig genug, auf diese Geschichten zu verzichten.“3
Ob es etwas mit Mut zu tun hat oder mit Vertrauen? Das Leben nach dem Tod, das Gestorben-Sein nach dem Tod, die Nichtexistenz nach dem Tod... Wie schon Karl Valentin gesagt hat: Jedes Ding hat drei Seiten.
Und was glaube ich?
Ich glaube daran, dass es nach dem Tod weitergeht – irgendwie. Das „wie genau“ ist mir gar nicht so wichtig. Margot Käßmanns „Wir können nicht tiefer fallen als in Gottes Hand“ tröstet mich. Und komischerweise reicht mir das auch, ich brauche gar keine ganz genauen weiteren Vorstellungen.
Bettina Wittmann-Stasch
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1 Ebd.
2 Angelika Berlejung: Was kommt nach dem Tod? Die alttestamentliche Rede von Tod und Unterwelt., in: Bibel und Kirche. 60. Jahrgang, I/2006. Jenseitsvorstellungen im Alten Testament, 3.
3 https://chrismon.evangelisch.de/artikel/2016/32046/jenseits-vorstellungen-zum-leben-nach-dem-tod-was- kommt-nach-dem-tod (11.4.2022).