Reli to go 38: Wie ist das mit der Homosexualität?

Es gibt tatsächlich die verschrobene Idee, auch in religiösen, in christlichen, in tief gläubigen Kreisen, dass Homosexualität etwas Schlimmes sein könnte.

Verstanden habe ich diese Annahme noch nie.

Wenn Gott den Menschen erschaffen hat zu seinem Ebenbild – dann muss doch diese Vielfalt, die man überall und eben nicht alleine in der sexuellen Ausrichtung sehen kann, gewollt sein. Und warum soll es besser sein, als heterosexueller Mensch durch die Welt zu laufen? Wegen des Weiterbestehens der Menschheit? Das kann im Ernst kein Argument sein. Schon immer gab es auch Paare, deren Kinderwunsch nicht in Erfüllung ging...

Ich bin es leid, dass Menschen sich erklären sollen für ihre sexuelle Orientierung, wenn sie nicht heterosexuell sind.

Zugegeben: In der Bibel findet sich kein positives Bild von Homosexualität. Doch es ist reichlich verschroben, von der Bibel zu „verlangen“, sie müsste zu bestimmten Lebensformen und Verhaltensweisen explizit positiv Stellung nehmen, um sie als Christ*in akzeptieren zu können:

Polygamie ist biblisch gut belegt, auch wenn sie heute nicht mehr als Lebensform anerkannt ist. In biblischer Zeit sind Menschen kurz nach ihrer Geschlechtsreife eine Partnerschaft eingegangen – oft genug wurden dabei die späteren Eheleute vorher nicht gefragt! Ebenso wenig gab es zu biblischen Zeiten eine Ehe zwischen Mann und Frau, in der beide gleichberechtigte Partner waren. Frauen hatten rechtlich einen komplizierten Stand und waren ohne Mann ziemlich aufgeschmissen. Sich selbst als Frau zu ernähren, war äußerst schwierig, wie z.B. das Buch Rut zeigt.

Sieben Bibelstellen sind es, auf die sich die Debatte über Homosexualität in der Regel bezieht: Genesis 19,5 / Leviticus 18,22 und 20,13 im Alten Testament – und im Neuen Testament Römerbrief 1,26 / 1. Korintherbrief 6,9 und 1. Timotheusbrief 1,10. Die meisten dieser Texte wenden sich gegen Kindesmissbrauch und (Massen-)Vergewaltigung.

Zwei Stellen aus dem Buch Levitikus, nämlich: „Wenn ein Mann bei einem Mann liegt wie bei einer Frau” sind laut der Theologin Joanna Töyräänvuori aus Helsinki falsch übersetzt, es ginge hier darum, dass zwei Männer in dem Bett einer Frau liegen. Damit sei gemeint, dass zwei Männer mit einer Frau schlafen.“1

Folgt man dieser Auslegung, dann wäre die Debatte eigentlich schon zu Ende.

Dementsprechend bedeutete auch Homosexualität etwas ganz anderes als heute. Wird biblisch von Homosexualität gesprochen, dann in dem Bild der Erniedrigung eines Mannes durch einen anderen Mann. Die zwei angebliche Bibelstellen über Homosexualität dagegen erweisen sich bei genauerer Betrachtung eben als brutale Vergewaltigungen (s.o. Genesis 19 und Richter 19).2 Was ich nur nicht verstehe: Worin bestünde der Unterschied, ob man nun annimmt, das hetero- oder dass homosexuelle Männer ein solche Gewalttat verüben? Wäre das eine besser als das andere?

Homosexualität, die auf einer freundschaftlichen oder partnerschaftlichen Ebene gelebt wird, auf der ein Mann mit einem anderen Mann in erwachsener Partnerschaft auf Augenhöhe lebt, wird biblisch nirgends sichtbar und ist aus dieser Zeit nicht überliefert. Allein schon deshalb ist alle Rede von Homosexualität damals und heute nicht miteinander über einen Kamm zu scheren.

Am 24.1.22 kam es zu einen Coming-out von über 100 Personen in der katholischen Kirche in der Dokumentation: „Wie Gott uns schuf“ (in der ARD-Mediathek bis zum 26.1.23 zu sehen). Ich finde es beschämend, dass solche Aufbrüche auch heute noch in der Kirche nötig sind. Und dass die Akteur*innen sich zunächst nicht sicher sein konnten, ob sie Sanktionen treffen würden. Wir in der evangelischen Kirche sind da allerhöchstens ein Jota weiter. Im Namen der Kirche sind viele Menschen, die gleichgeschlechtlich lieben, schwer in ihrer Seele beschädigt worden. Da um Verzeihung zu bitten, tut not.

Mir selbst war es nie eine Frage – und ist es auch heute nicht! – ob Homosexualität von Gott gewollt ist. Wer könnte irgendeine Frage dieser Art beantworten? Sind Bisexuelle von Gott gewollt? Heteros? Lesb:innen? Fahrradfahrer:innen oder SUV-Fahrer:innen?

Vielleicht sind wir alle mal schlauer, wenn wir dereinst mit Gott reden können, ihn direkt fragen. Doch solange wir immer davon abhängen werden, dass wir Gotteswort nur verkleidet in Menschenwort lesen können, das selbstredend immer den Gedanken und der Weisheit der sie umgebenden Welt verhaftet bleibt, solange würde ich immer auf solche Fragen antworten: Ja, ich bin davon zutiefst überzeugt: Gott hat uns alle gewollt. Und trotzdem findet er sicherlich nicht alles gut, was wir so tun – ob wir als Heteros, als Lesb:innen, als Bi- oder Homosexuelle Kriege führen und Menschen töten dürfte egal sein. Falsch ist das immer.3

Bettina Wittmann-Stasch

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1 https://gottimalltag.de/glaubens-gedanken/homosexualitaet-und-christlicher-glaube/, abgerufen am 11.4.2022 um 21.00 Uhr.

2 Genesis 19,1-10:

  • Eine große Gruppe, um „die Männer von Sodom, alle miteinander, alte und junge...“
  • Ziel: Vergewaltigung der Gäste Lots
  • Gewaltandrohung und Gewaltanwendung
  • Es müssen Heterosexuelle gewesen sein, sonst wäre Lots Versuch, ihnen Frauen als Ersatz anzubieten, absurd!

Richter 19,22-26:

  • Wieder handelt es sich um „die Männer der Stadt“.
  • Wieder ist das Ziel: sexueller Missbrauch.
  • Diesmal nehmen die Männer den Frauenersatz an und vergewaltigen die Frau „die ganze Nacht“. Auch hier liegt die Vermutung nahe, dass es heterosexuelle Männer waren.

3 Ein Hinweis noch: Als homosexueller Christ schreibt Rolf Unterlöhner auf der Homepage https://www.zwischenraum.net in „Was sagt die Bibel – Eine biblische Perspektive zum Thema Homosexualität“:
„Folgende Prämissen prägen meinen Versuch, sowohl ehrlich mit allen Fakten als auch ehrfürchtig vor Gott mit der Bibel umzugehen:

  • Alle Wahrheit ist Gottes Wahrheit.
  • Unsere Erkenntnis ist immer Stückwerk.
  • Die Bibel legt sich durch sich selbst aus.
  • Die Auslegung der Bibel zum Thema Homosexualität muss den gleichen Kriterien folgen wie die Auslegung zu anderen Themen.
  • Es gibt Dinge im Leben, die in der Bibel, auch im Neuen Testament, weder eindeutig noch endgültig für alle Lebenssituationen geklärt werden.“

Wer sich biblisch mit diesem Thema also weiter auseinandersetzen möchte, dem sei diese Seite an- empfohlen (auch wenn ich seine Spiritualität nicht teilen kann – das mag anderen anders gehen).“