„Die einzige Entschuldigung für Gott ist, dass es ihn nicht gibt!“ Dieses Zitat wird dem französischen Schriftsteller Stendhal (1783–1842) in den Mund gelegt. Damit scheint alles gesagt – und tatsächlich ist es auch genau das, was viele Schüler*innen sagen: Die Welt ist so, wie sie ist; und Gott gibt es nicht, genauer: Gott kann es nicht geben, schaut euch doch mal um.
Und tatsächlich: Manchmal verzweifele ich auch an dieser Welt und an ihrem Zustand. Naturkatastrophen, Flüchtlingsströme, der scheinbar unaufhaltsame Klimawandel. Oder die privaten Einbrüche von Leid und Elend: Krankheit, früher Tod, private Schicksalsschläge. Vieles davon ist menschengemacht – und für mich dennoch ein Grund, ich gebe es zu, an der Existenz Gottes zu zweifeln. Wie kann es sein, dass ein Gott, von dem die Bibel doch sagt, dass er diese Welt sehr gut geschaffen hat und seine Geschöpfe liebt, all das zulässt?
Die Frage nach der Rechtfertigung Gottes angesichts des Zustands dieser Welt ist so alt wie der Glaube an Gott selbst. Das wird als Theodizeeproblematik bezeichnet. Bei dem Wort „Theodizee“ handelt es sich um ein griechisches Kunstwort, das auf den Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) zurückgeht und so viel wie „Gerechtigkeit/Rechtfertigung Gottes“ bedeutet. In der Tat ist die Theodizeefrage eine der Einbruchstellen des Glaubens: Wer angesichts der Situation dieser Welt immer noch am Gottesglauben festhält, sieht sich oft mit dem Verdacht konfrontiert, allzu leichtgläubig einer religiösen Scheinwelt auf den sprichwörtlichen Leim gegangen zu sein und die Augen vor dem realen Zustand der Welt zu verschließen. Dorothee Sölle, die große Theologin, hat es auf den Punkt gebracht, wenn sie schreibt: „Kein Himmel kann Auschwitz wiedergutmachen.“
Tatsächlich gibt es keine befriedigende Antwort auf die Theodizeefrage, in keiner Religion. Alle Erklärungen sind meines Erachtens nur hilflose Versuche, etwas zu erklären, was unerklärbar ist. Doch werden damit menschliche Argumente und Zusammenhänge auf Gott übertragen: Gott strafe die Bösen; er prüfe seine Gläubigen; er schicke Leid, damit die Menschen das Gute zu schätzen lernen oder sich selbst beweisen und über sich hinauswachsen können. Nichts davon vermag wirklich zu tragen. Das Leid in der Welt kann man nicht erklären. Das heißt aber nicht, dass man damit auch gleich den ganzen Glauben an Gott über Bord werfen muss.
Denn für mich gibt es eine Antwort, die trägt. Der christliche Glaube spricht davon, dass Gott in Jesus Christus selbst am Kreuz gelitten habe. Gott selbst ist Mensch geworden, er hat gelitten und ist den Tod absoluter Gottverlassenheit gestorben: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“, ruft Jesus selbst am Kreuz. Gott weiß, wie sich Schmerz und Elend anfühlt, das ist ein tröstlicher Gedanke. Und noch etwas trägt mich: In Jesus ist Gott selbst gestorben, aber er ist nicht tot geblieben, sondern auferstanden. Der Tod hat also nicht das letzte Wort – sondern es gibt ein Leben danach, ein Leben in Fülle.
Damit bleibt die „Warum“-Frage tatsächlich offen. Doch immerhin kann ich bekennen, wo Gott ist, wenn Menschen leiden: Er steht an ihrer Seite. In seinem Sohn hat Gott selbst Schmerzen und Tod ertragen und kann deshalb Menschen in dieses Dunkel begleiten – und durch das Dunkel hindurch in ein neues Licht.
Ein Liedtext meines Mannes bringt das für mich sehr gut auf den Punkt. Er heißt „Wo bist du, Gott?“ Der Text ist hier abgedruckt, das Lied ist bei YouTube und bald auch bei Spotify zu hören.
Michaela Veit-Engelmann
Wo bist du, Gott?
(Text: Lothar Veit 2018, © Strube Verlag, München)
Mein Gott, ich kann nicht glauben, / dass du den Tod eines Kindes willst, / die weinende Mutter, / den sprachlosen Vater. / Warum lässt du das zu? / Bist du ein herzloser Gott?
Mein Gott, ich kann nicht glauben, / dass du die Kranken versuchen willst, / den fiebernden Jungen, / den siechenden Alten. / Warum lässt du das zu? / Bist du ein prüfender Gott?
Wo bist du, Gott, im Grauen? / Wie soll ich dir vertrauen? / Ich will zum Himmel schrein: / Wann greifst du endlich ein? / Ich glaube, Gott, du willst kein Leid. / Trägst du uns durch die Zeit?
Mein Gott, ich kann nicht glauben, / dass du den Krieg deiner Völker willst, / die Wunden der Opfer, / die Kälte der Täter. / Warum lässt du das zu? / Bist du ein machtloser Gott?
Mein Gott, ich kann nicht glauben, / dass du die Erde verwüsten willst, / die Häuser der Schwachen, / die Ernte der Armen. / Warum lässt du das zu? / Bist du ein strafender Gott?
Wo bist du, Gott, im Grauen? / Wie soll ich dir vertrauen? / Ich will zum Himmel schrein: / Wann greifst du endlich ein? / Ich glaube, Gott, du willst kein Leid. / Trägst du uns durch die Zeit?
Bleib bei mir, Gott, im Grauen. / Ich möchte dir vertrauen. / Du selbst kennst alles Leid, / den Klang, wenn dein Sohn schreit. / Ich glaube, Gott, du bist uns nah. / Ich glaube, du bist da.