Jeder hat sie, aber keiner zeigt sie freiwillig. Jeder macht sie, aber niemand gibt sie gerne zu. Die Rede ist von unseren Fehlern.
Die eine stottert, der andere ist zu dick. Die eine ist dauernd unpünktlich, der andere lässt immer alles überall liegen. Es gibt keine fehlerlosen Menschen, und das ist auch gut so.
Früher waren unsere Fehler zwar unangenehm, aber meistens ungefährlich. Wenn zum Beispiel ein betrunkener Kutscher mit den Zügeln in der Hand auf seinem Bock einschlief, dann lief das Pferd einfach weiter; es kannte ja den Weg. Bei einem betrunkenen Autofahrer ist das anders.
Wenn an der Kutsche ein Reifen brach, weil der Weg so holprig war, dann kippte im schlimmsten Fall die Kutsche um. Wenn heute bei einem Hochgeschwindigkeitszug ein Radreifen bricht, dann hat das verheerende Folgen.
Wenn man früher beim Kochen über offenem Feuer den Funkenflug nicht beachtete, dann brannte im schlimmsten Fall das Haus ab. Wenn aber ein Mitarbeiter im Atomkraftwerk die Instrumente nicht beachtet oder einen Bedienungsfehler begeht, dann kann das zu einer Katastrophe führen.
Wenn mich jemand nach meinem Lieblingswort fragte, ich würde antworten: Fehlerfreundlichkeit! Nach dem Zugunglück von Eschede ist mir dieses Wort zum ersten Mal begegnet. Ein Techniker sagte damals in einem Interview: „Unsere hochspezialisierte Technik ist nicht mehr fehlerfreundlich.“
Aber was ist das für eine Welt, in der wir Menschen keine Fehler mehr machen dürfen, weil wir dadurch vielleicht eine Katastrophe auslösen? Jeder Mensch macht Fehler. Deshalb können wir nur in einer fehlerfreundlichen Welt leben.
Gott hat das von Anfang an gewusst. Er ist viel fehlerfreundlicher als unsere Technik. Martin Luther hat die Fehlerfreundlichkeit Gottes in der Bibel neu entdeckt. Rechtfertigung aus Gnade bedeutet: Gott geht mit unseren Fehlern freundlich um. Gott ist wie der Vater, der seinen Sohn einfach in die Arme nimmt und an sein Herz drückt, obwohl der Junge alles falsch gemacht hat und das halbe Erbe in Spielhallen und Bordellen verzockt hat. Deshalb hat sich Jesus mit Steuerbetrügern und Prostituierten an einen Tisch gesetzt und mit ihnen gegessen. Jesus von Nazareth ist sozusagen Gottes Fehlerfreundlichkeit in Person.
Matthias Hülsmann
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