Religiöse Bildung kann vor Überheblichkeit bewahren.
„Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen…“ Mit dieser sogenannten Demutsformel beginnt das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes hatten die schrecklichen Auswirkungen der nationalsozialistischen Ideologie noch lebhaft vor Augen. Mit dem Wort „Gott“ wollten sie sich keineswegs auf einen bestimmtes Gottesbild festlegen. Es hat im Grundgesetz lediglich eine Platzhalterfunktion. Jeder Mensch ist frei, diesen Begriff individuell zu füllen. Das kann ein christliches Gottesverständnis sein, aber auch der Gott einer anderen Religion oder eine nicht näher bestimmte Transzendenz.
Das Grundgesetz verweist mit dieser Demutsformel auf eine Instanz, die den Menschen übergeordnet ist und vor der wir Menschen uns zu verantworten haben.
Religiöse Bildung kann vor weltanschaulichen Irrwegen bewahren.
Glaube, dem die Tür versagt,
steigt als Aberglaub´ ins Fenster.
Wenn die Götter ihr verjagt,
kommen die Gespenster.
Diese Zeilen des deutschen Schriftstellers Emanuel Geibel machen deutlich, dass kein religionsfreier Raum entsteht, wenn man „altbewährte“ Religionen ablehnt; an ihrer Stelle halten oft krude Glaubensüberzeugungen Einzug, die nicht immer lebensförderlich sind.
Religiöse Bildung kann für die Unterscheidung zwischen lebensentfaltender und krankmachender Religion sensibilisieren. Dabei geht es nicht um die missionarische Verbreitung religiöser Inhalte, sondern um den Erwerb einer grundlegenden Kompetenz.
Religiöse Bildung kann einem Menschen die eigene weltanschauliche Grundeinstellung bewusstmachen, in die er sozusagen unbemerkt hineingeschlittert ist; sie kann dazu helfen, sich das eigene Wertesystem bewusst zu machen und sich für eine hoffentlich lebensentfaltende Weltdeutung zu entscheiden.
Religiöse Bildung kann Selbstrelativierung und Respekt vor Andersgläubigen ermöglichen.
Religiöse Bildung kann dazu helfen, den Standpunkt des Andersdenkenden zu respektieren, ohne die eigene Überzeugung aufzugeben.
Ein Ausspruch, der oft Voltaire zugeschrieben wird, aber vermutlich nicht von ihm stammt, bringt es folgendermaßen auf den Punkt:
„Ich bin ganz und gar nicht deiner Meinung,
aber ich werde alles tun, damit du deine Meinung sagen kannst.“
Ein Dialog auf Augenhöhe setzt einen eigenen Standpunkt voraus. Zum anderen bedarf es der Einsicht, dass mein Gegenüber das gleiche Recht auf einen eigenen Standpunkt hat wie ich, auch wenn seine Überzeugung von meiner abweicht.
Respekt und Toleranz enden allerdings an der Intoleranz des anderen. In diesem Sinne halte ich religiöse Bildung für eine ausgezeichnete Fundamentalismus-Prophylaxe.
Religiöse Bildung kann zu einem dankbaren Umgang mit der Schöpfung führen.
Der säkulare Begriff Umwelt bezeichnet die Welt, die mich umgibt und außerhalb von mir existiert. Der Begriff Schöpfung dagegen beinhaltet eine darüberhinausgehende religiöse Dimension, denn er setzt einen Schöpfer voraus, der diese Welt erschaffen hat. Religiöse Bildung hält diese fundamentale Unterscheidung zwischen Umwelt und Schöpfung wach.
Die gesamte Schöpfung ist und bleibt Gottes Geschenk an die Menschen – trotz aller selbst verschuldeten und unverschuldeten Katastrophen.
Religiöse Bildung kann zu Dankbarkeit und zu einem engagierten Einsatz für die Bewahrung der Schöpfung führen.
Matthias Hülsmann
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