Einer meiner Lieblingsfeiertage im Kirchenjahr ist der Karsamstag; also der Tag zwischen Karfreitag, an dem Jesus am Kreuz gestorben ist, und Ostersonntag, an dem Jesus von den Toten auferstanden ist.
Und ich frage mich jedes Mal: Was hat Jesus eigentlich am Karsamstag gemacht?
Unser Glaubensbekenntnis gibt uns eine merkwürdige Antwort. Da heißt es von Jesus: gekreuzigt, gestorben, begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten. Das hat Jesus also am Karsamstag gemacht: Er ist hinabgestiegen in das Reich des Todes. Früher hat man das lateinische descensus ad inferos übersetzt mit: niedergefahren zur Hölle.
Aber wie soll man sich diese Höllenfahrt Christi vorstellen? Im Mittelalter hat man sich den Teufel als ein gefräßiges Ungeheuer vorgestellt, das in der Hölle sitzt und gierig alle Sünder verschlingt, die in der Hölle landen. Und je fetter die Sünderbraten, desto besser. Nun kommt am Karsamstag aber auch der gekreuzigte Christus zusammen mit den anderen Sündern in die Hölle. Der Teufel ist blind vor Fressgier und verschlingt ihn aus Versehen mit. Weil Christus aber der einzige ohne Sünde ist, schmeckt er auch anders. Er schmeckt für teuflische Verhältnisse sogar so eklig, dass der Teufel von einem gigantischen Brechreiz überwältigt wird und seinen kompletten Magen entleert. Dabei spuckt er nicht nur Christus wieder aus, sondern auch alle anderen Sünder, die in der Hölle saßen.
Diese Sünder werden also dadurch gerettet, dass Christus sich stellvertretend auch vom Teufel verschlingen lässt. So gibt es nun keinen Ort mehr, an dem Jesus Christus nicht wäre. Seit Karsamstag ist Gott überall, auch im Tod und in der Hölle.
Aber was verstehen wir im 21. Jahrhundert unter Hölle?
Wenn sich überhaupt etwas mit Gewissheit über die Hölle aussagen lässt, dann doch wohl dies: Es ist undenkbar, dass der Teufel in der Hölle Gott lobt. Oder etwas zeitgemäßer ausgedrückt: Hölle ist überall dort, wo man Gott nicht mehr loben kann.
Wenn das stimmt, dann hat Christus am Kreuz bereits die Hölle auf Erden durchgemacht, als er schrie: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Wenn die Hölle überall dort ist, wo Menschen in ihrer Gottverlassenheit verzweifeln, dann ist sie auch in den Vernichtungslagern, in den kenternden Flüchtlingsbooten auf dem Mittelmeer und auf den Demenzstationen unserer Pflegeheime, wo Menschen ihr eigenes Verlöschen erleben und das Lob Gottes verstummt.
Deshalb bedeutet christliche Hoffnung für mich: Wir sind in unserer Hölle nicht allein, denn wir haben einen Gott, der diese Höllenqualen selbst erlebt hat und der auch in unserer Hölle bei uns ist. Diese Hoffnung kann uns in Bewegung setzen, die Höllenqualen unserer Mitmenschen lindern zu helfen.
Die andere Frage „Gibt es einen Himmel?“ würde ich entsprechend beantworten. Überall da, wo Menschen Gott loben, ist ein Stück vom Himmel präsent. Der Himmel beginnt also nicht erst jenseits unserer physikalischen Zeit; er ist schon jetzt überall dort, wo Jesus Christus gegenwärtig ist und Gottes Geist in den Herzen der Menschen wirkt. Der Satz „Gott wohnt im Himmel“ gilt also vor allem umgekehrt: Überall dort, wo Gott ist, da ist Himmel.
Matthias Hülsmann