Meine persönliche Antwort lautet zurzeit: Ja. Das war durchaus nicht immer so, aber im Augenblick stelle ich mir das folgendermaßen vor: Gott ist hinter einer hohen, unüberwindlichen Mauer; deshalb bleibt er für uns Menschen unerreichbar. Zum Glück gibt es aber Türen in dieser Mauer, und zwar für jede Religion eine. Ich stehe zum Beispiel mit vielen anderen Menschen vor der christlichen Tür. Daneben gibt es aber auch noch eine muslimische Tür; da stehen auch sehr viele Menschen. Und dann gibt es natürlich auch noch eine jüdische Tür und all die anderen.
Ich kann mir gut vorstellen, dass wir Christenmenschen durch die christliche Tür zu Gott in die Ewigkeit gehen. Aber genauso gut kann ich mir vorstellen, dass die muslimischen Menschen durch die muslimische Tür zu Allah in die Ewigkeit gehen. Und so weiter. Diese Auffassung nennt man übrigens Pluralismus. Wir haben sie uns hart erarbeitet und teuer bezahlt.
Denn vor fünfhundert Jahren war es für die meisten Christen völlig undenkbar, dass Katholiken und Protestanten gemeinsam in den Himmel kommen. Aber nach dreißig Jahren Krieg und Millionen von Toten später hat sich bei vielen die Erkenntnis durchgesetzt, dass es wohl doch nur einen Himmel gibt und dass die Vorstellung von einem evangelischen Himmel neben einem katholischen Himmel schlicht absurd ist.
Ich bin zuversichtlich, dass sich diese Einsicht irgendwann durchsetzen wird. Es gibt nur einen Himmel, denn die Vorstellung von einem christlichen Himmel neben einem muslimischen Himmel ist genauso absurd. Ich kann mir schlechterdings nicht vorstellen, dass unser christlicher Gott zwar allmächtig ist, dass ihm aber bei der Entstehung des Islam, dem weltweit über eine Milliarde Menschen angehören, eine Panne unterlaufen sein soll.
Trotzdem ist es mir nicht egal, was ich glaube. Mein Gottesbild ist von dem geprägt, was Jesus Christus über ihn erzählt hat. Dazu stehe ich. Und deshalb stehe ich vor der christlichen Tür in der Mauer gemeinsam mit Schwestern und Brüdern, die so ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie ich.
Aber selbstverständlich respektiere ich jeden Mitmenschen, der vor der muslimischen Tür in der Mauer steht und dessen Gottesbild von dem geprägt ist, was Mohammed über Allah erzählt hat. Dasselbe gilt übrigens für alle anderen Religionen.
Pluralismus bedeutet für mich Mut zur Selbstrelativierung. Und genau das ist vermutlich mit dem Verbot, sich ein Bild von Gott zu machen, gemeint.
Matthias Hülsmann