Reli to go 20: Jenseits von Eden – warum sind wir hier?

 

 

 

Reli to go 20 Jenseits von Eden – warum sind wir hier?

 

„Wenn selbst ein Kind nicht mehr lacht wie ein Kind, dann sind wir jenseits von Eden!“, so singt Nino de Angelo. Ich gebe zu: Das war eines der ersten Stücke, was ich als Grundschülerin Mitte der 80er-Jahre auf dem Keyboard meiner Eltern spielen konnte. Mit der rechten Hand die Melodie, mit der linken Hand eine Taste, um den Akkord drunterzulegen. Im Hintergrund wummerte irgendein synthetischer Rhythmus, den das Keyboard auch noch produzierte. Mit Hingabe schmetterte ich mit, so laut, dass unsere Katze immer freiwillig das Weite suchte. „Wenn wir nicht spüren, die Erde, sie weint wie kein andrer Planet – dann haben wir umsonst gelebt!“

Jenseits von Eden. Der Text hat sich mir eingebrannt. Als Jugendliche habe ich dann auch John Steinbecks grandioses Epos gleichen Namens gelesen. Erst während des Theologiestudiums erschloss sich mir schließlich die theologische Dimension dieses scheinbar geflügelten Wortes. „Jenseits von Eden“.

Die Bibel erzählt: Adam und Eva lebten zunächst in dem Paradies, das Gott für sie geschaffen hatte, genauer: in einem Garten in Eden. Ein Garten mit sprudelnden Wasserquellen, Grün und Hülle und Fülle und verlockenden Früchten. Ein solcher Garten kommt dem, was wir bis heute mit „Paradies“ assoziieren, tatsächlich sehr nahe – und das gilt umso mehr für die Menschen, die damals in einer wasserarmen Region den kargen Böden mühsam Nahrungsmittel abtrotzen mussten und in steter Angst vor Dürrezeiten lebten. Doch dieses Schicksal müssen schließlich, so sagt es die Bibel, auch Adam und Eva teilen, weil sie gegen Gottes Gebote verstoßen und von der verbotenen Frucht gegessen haben. Von diesem Zeitpunkt an lebten die Menschen, so die Erkenntnis der biblischen Erzähler, jenseits von Eden. Ausgestoßen aus dem Paradies, dessen Eingang verschlossen und gut bewacht ist. Das Los, das Adam und Eva nun erwartet, ist das, das die Menschen kannten, die sich ihre Geschichte erzählten:

„Und zur Frau sprach Gott: Ich will dir viel Mühsal schaffen, wenn du schwanger wirst; unter Mühen sollst du Kinder gebären. Und dein Verlangen soll nach deinem Mann sein, aber er soll dein Herr sein. Und zum Mann sprach er: Weil du gehorcht hast der Stimme deiner Frau und gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot und sprach: Du sollst nicht davon essen –, verflucht sei der Acker um deinetwillen! Mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er dir tragen, und du sollst das Kraut auf dem Felde essen. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde wirst, davon du genommen bist. Denn Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück.“ (Gen 3,16–19)

Die Wissenschaft nennt eine solche Geschichte übrigens Ätiologie. Das heißt: Die Geschichte von Adam und Eva will nicht erzählen, wie etwas früher war, sondern sie will begründen, warum etwas heute so ist, wie es ist. Eine typische Ätiologie ist auch der Turmbau zu Babel (Gen 11), der die Frage beantworten will, wieso die Menschen so viele verschiedene Sprachen sprechen. In Gen 3 wird nun begründet, warum wir bis heute „Jenseits von Eden“ leben. Die Antwort der Bibel ist, kurz zusammengefasst: Wir sind selbst schuld. Gott hat Adam und Eva das Paradies geschenkt, aber sie haben es verspielt – und alle ihre Nachkommen mit ihnen. Die theologische Tradition hat dafür den Begriff „Erbsünde“ geprägt.

Doch inzwischen wissen wir: Die Menschheit hat sich in einem evolutionären Prozess entwickelt; Adam und Eva haben nicht gelebt. Und auch einen paradiesischen Urzustand hat es nie gegeben. Die Geschichte der Menschheit und der Welt war nie frei von Leid, Schmerz und Tod. Nicht die Menschen sind schuld, dass die Welt nicht mehr gut ist, sondern sie war von Beginn an so. All das Elend und das Sterben gehören dazu und sind also Teil von Gottes Schöpfung, von der es doch in der Bibel heißt, sie sei „sehr gut“ (Gen 1,31).

Wie lässt sich das also heute zusammendenken – die „sehr gute“ Welt und all die kleinen und großen Katastrophen? Warum ist die Welt so, wie sie ist? Das ist eine der größten theologischen Fragen, die Theodizeefrage. Und ich glaube, diese Frage nach dem Warum, die ist nicht zu beantworten. Ich bin sicher: Gott wollte und will nicht, dass Menschen leiden und sterben und dass seine Schöpfung zerstört wird. Und doch passiert es – und Gott verhindert es nicht.

Tatsächlich ist viel Elend von Menschen verursacht, nicht zuletzt der Klimawandel, der immer bedrohlichere Züge annimmt. Und vielleicht ist das die tiefere Wahrheit, die bis heute in der Geschichte von Adam und Eva drinsteckt. Die Welt könnte anders sein, wenn wir anders wären. Gott hat seine Geschöpfe damit beauftragt, die Schöpfung zu bewahren (vgl. Gen 1,28; 2,15). Doch schon Adam und Eva sind daran gescheitert, auf Gottes Gebote zu hören. Und bis heute scheinen die Menschen damit überfordert.

Die Warum-Frage ist damit nicht beantwortet, ich gebe es zu. Warum wir jenseits von Eden leben, kann ich nicht erklären. Aber viel wichtiger finde ich die Frage: Wie gehen wir nun damit um, dass wir jenseits von Eden leben? Und da gilt doch: Inmitten dieser Welt, die eben nicht das Paradies ist, gilt Gottes Auftrag an uns, seine Schöpfung zu bewahren und uns um die Erde zu kümmern, die er uns geschenkt hat. Und das ist nicht wenig.

Michaela Veit-Engelmann

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