Du sollst dir kein Bildnis machen - so heißt es unmittelbar im Anschluss an das erste der Zehn Gebote. Und um es gleich vorweg zu sagen: Ich glaube, das geht gar nicht. Wir Menschen sind nun einmal so gestrickt, dass wir uns in unserer Vorstellung Bilder machen müssen. Und Jesus war ein Meister darin. Er hat uns wunderbare Bilder von Gott hinterlassen. In einem Gleichnis malt er Gott als Weinbergbesitzer, der am Ende des Tages jedem Arbeiter das gibt, was er zum Leben braucht. In einem anderen Gleichnis malt er mit Worten Gott als einen Vater, der seinen heimkehrenden gescheiterten Sohn liebevoll an sein Herz drückt.
Im Alten Testament wird Gott mit dem Bild eines Hirten oder als uneinnehmbare Burg dargestellt. Martin Luther hat sich sogar gewünscht, dass all diese Bilder nicht nur in den Kirchen, sondern auch in den Straßen auf die Hauswände gemalt werden, damit wir immer und überall an Gott erinnert werden.
Was ist also mit dem Bilderverbot gemeint?
Vor rund dreitausend Jahren wurden im Alten Orient in fast allen Religionen in Stein oder Holz gehauene Götterfiguren verehrt. Diese Statuen und Stelen wurden als Gottheit religiös verehrt. Und es war das religiöse Alleinstellungsmerkmal des jüdischen Volkes, dass es einen unsichtbaren Gott statt solcher Götterbilder verehrte. Die Geschichte vom Tanz um das sogenannte goldene Kalb in Exodus 22 handelt von dem Versuch der Israeliten, sich dieser religiösen Umwelt anzupassen; er endet in einer Katastrophe.
Der Gott des Volkes Israel bleibt in jeder Hinsicht unverfügbar. Er geht in keinem Götterbild auf. Selbst wenn er sich offenbart, bleibt er im schmerzhaft stacheligen und glühend heißen Dornbusch unzugänglich. Das gilt auch für seinen Namen: „Ich werde sein, der ich sein werde.“ Während die Kenntnis des Namens „Rumpelstilzchen“ im gleichnamigen Märchen der Brüder Grimm einen Machtzuwachs bedeutet, wahrt der jüdische Gottesname sein Geheimnis und gleicht eher einem Verbergen als einer Offenbarung.
Das Bilderverbot ist also im Kern eine Aufforderung an die Gläubigen, demütig zu bleiben. Es will uns davor bewahren, unser Gottesbild zu verabsolutieren. Jeder religiöse Mensch macht seine individuellen Erfahrungen mit Gott, die in seinem Gottesbild zusammenfließen. Im Laufe des Lebens kommen immer neue Gotteserfahrungen dazu. Deshalb ändert sich in den unterschiedlichen Lebensphasen meiner Biographie auch mein Gottesbild.
Der glaubende Mensch geht davon aus, dass Gott ihn geschaffen hat – samt Gehirn und Verstand. Zur Demut gehört aber auch die Einsicht, dass ich als Geschöpf meinen Schöpfer mit meinem Denken niemals vollständig erfassen kann. Wer mit Gewalt Gott gegen Andersgläubige zu seinem Recht verhelfen will, der verabsolutiert sein eigenes Gottesbild und verstößt gegen genau das Bilderverbot, für das er gerade zu kämpfen meint. Aber Gott ist immer größer als unsere Bilder von ihm. Deshalb ist das Bilderverbot im 21. Jahrhundert aktueller denn je, denn es geht dabei um die eigene Selbstrelativierung und um einen respektvollen Umgang mit Andersgläubigen und ihren Vorstellungen von Gott.
Matthias Hülsmann