Reli to go 5: Die Sehnsucht nach dem Jenseits – Worauf darf ich hoffen?

„Bis du heiratest, ist das wieder vorbei!“ – diesen Spruch meiner Großmutter bekam ich als Kind stets zu hören, wenn ich mir weh getan hatte, ein neuer blauer Fleck mein Schienbein zierte oder ich sonst irgendwie Kummer oder Schmerzen hatte. „Bis du heiratest, ist das wieder vorbei!“ – das hieß so viel wie: Stell dich nicht so an, davon geht die Welt nicht unter.

 

Ob mir das geholfen hat? Im Rückblick würde ich sagen: Nein! Denn was mir jetzt weh tut, ist jetzt schlimm. Dass der Schmerz irgendwann vorbeigehen wird, ist da erstmal egal. Leider ist meine Oma, von der ich viele solcher Lebensweisheiten zu hören bekommen habe, schon vor mehr als 10 Jahren gestorben. Doch ihr habe ich es zu verdanken, dass ich so sensibel reagiere, wenn Menschen vertröstet werden sollen.

 

Und deshalb wehre ich mich auch so gegen den immer mal wieder zu hörenden Vorwurf, die christliche Religion vertröste Menschen auf das Jenseits und trichtere ihnen die Sehnsucht auf ein Leben nach dem Tod ein, in dem dann alles besser würde. Religion sei deshalb, so schon Karl Marx, nur „Opium des Volkes“. Ja, auch ich glaube an ein Paradies und hoffe auf ein Jenseits, in dem die Ungerechtigkeiten dieser Welt nicht mehr zählen. Aber diese Hoffnung bedeutet ja gerade nicht, dass mir deshalb egal ist, was um mich rum passiert. Wenn ich im Paradies bin, ist alles wieder gut? Nein, ganz im Gegenteil! Die Hoffnung auf das Paradies, auf ein Leben jenseits dieses Lebens, erinnert mich immer wieder daran: Das, was in dieser Welt scheinbar unabänderlich ist, ist es in Wahrheit nicht. Die Mächte dieser Welt haben nicht das letzte Wort. Der Theologe Ernst Troeltsch hat mal gesagt: „Das Jenseits ist die Kraft des Diesseits.“ Der Satz gefällt mir.

 

Und der Pastor und Theologe Dietrich Bonhoeffer unterscheidet zwischen „Letztem“ und „Vorletztem“. Das Letzte – und also Letztgültige – ist das Wort Gottes, alles andere kann ihm gegenüber nur den Charakter des Vorletzten haben; also von etwas, das nicht endgültig ist und nicht für ewig bleibt, sondern eben irgendwann durch das Letzte abgelöst wird. Manchmal hilft mir diese Unterscheidung, um mir klarzumachen: Das, was mich hier gerade belastet, ist nur Vorletztes. Doch dann wieder denke ich: „Nur“ Vorletztes, das ist mir dann doch auch irgendwie zu wenig, das klingt mir zu sehr nach „Bis du heiratest, ist es vorbei!“

 

In jedem Fall weiß ich, dass es mehr gibt als das jetzige Leben. Und ich glaube, dies ist dann das Leben in Fülle, auch wenn das jetzt vielleicht ein bisschen sehr theologisch klingt. Doch eben deshalb will ich nicht einfach darauf warten, dass Gott schon alles irgendwie regeln wird. Ich will nicht einfach die Hände in den Schoß legen, sondern ich möchte selbst daran mitarbeiten, dass ein bisschen was von diesem Paradies schon hier auf Erden sichtbar wird.

 

Mit dem Begriff „Paradies“ verbindet man in der theologischen Tradition übrigens die Erinnerung an Adam und Eva und ihr sorgenfreies Leben im ersten Paradies, dem Garten Eden. Ursprünglich war dieses Paradies also ein Ort hier auf Erden – und bis heute sprechen Menschen ja zum Beispiel vom Urlaubsparadies. Doch in der Theologie meint das Paradies mehr als einen von der Zivilisation fast unberührten Ort: Mit Paradies verbindet sich die Hoffnung auf eine jenseitige bessere Welt. Wenn Jesus Christus in seinen Gleichnissen vom „Reich Gottes“ spricht, so verbindet das aus meiner Sicht die hier genannten Aspekte: Es gibt etwas, was über diese Welt hinausreicht – und ich kann schon jetzt daran mitwirken, dass sich ein Teil davon aus dieser Welt bereits verwirklicht.

 

Worauf darf ich also hoffen? Auf das Paradies – aber mit allem, was dazugehört.

 

Michaela Veit-Engelmann

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