„Hilft Beten?“ – Vielleicht denkt man auf den ersten Blick: Na, das ist aber eine komische Frage. Tatsächlich gibt es wohl kaum etwas, das typischer ist für die (christliche) Religion als das Gebet. Schon Jesus selbst hatte versprochen, dass man das bekommt, worum man Gott bittet: „Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan“ (Mt 7,7–8)
Aber spätestens auf den zweiten Blick und mit ein bisschen Nachdenken merkt man dann doch: So einfach ist es nicht. Ein simples Beispiel kann das vielleicht verdeutlichen: Man stelle sich vor, am kommenden Wochenende ist das Gemeindefest der Kirchengemeinde. Alle hoffen auf (und beten für) gutes Wetter. Doch der örtliche Landwirt braucht für die Bewässerung seiner Felder dringend Regen, am besten gleich mehrere Tage lang. Sein Gebet wird also ein anderes sein. Und nun? Regnet es also am Tag des Gemeindefests oder nicht? Auf welches Gebet soll Gott denn nun hören? Auf die Bitte um Sonnenschein zum Gemeindefest seiner (!) Kirchengemeinde oder auf die Bitte um Regen für die lebensnotwendige Ernte? Vollends abstrus würde eine Abwägung, wer vielleicht intensiver gebetet habe oder wer frömmer sei – oder welche Entscheidung mehr Menschen nützen bzw. schaden würde. Man merkt schnell: Das ist allzu einfach oder menschlich gedacht. Und ich gebe zu: Vielleicht ist das Beispiel ein bisschen plakativ – doch verdeutlicht es einen sehr komplexen theologischen Konflikt, der genau in der Frage mündet, die über diesem Text steht: Hilft Beten?
Die Theolog*innen sind sich darin einig: Gott ist kein Wunscherfüllungsautomat, wo man oben ein Gebet hineinsteckt und unten dann der erfüllte Wunsch herauskommt. Dann würde Gott ja zu einem Gott werden, der von Menschen kontrolliert würde und dessen Handeln von seinen Geschöpfen geplant werden könnte. Doch zum Glück ist Gott viel mehr und viel größer als nur eine Wunscherfüllungsmaschine. Gott hat diese Welt erschaffen und erhält sie nach seinem Willen und Plan – und nicht nach dem Willen der Menschen.
Hmm. Hilft Beten also nicht? Doch, Beten hilft. Aber nicht einfach so.
Ein Gebet verändert nicht so einfach den Lauf der Welt oder das Handeln Gottes – Generationen von Schüler*innen haben das durch (unwirksame) Stoßgebete vor Mathe- oder Französischarbeiten erfahren müssen. Ein Gebet verändert also nicht Gott, sondern es verändert etwas im Menschen.
Im Gebet können Menschen die Dinge vor Gott bringen, die ihnen wie ein Stein auf der Seele liegen oder vor denen sie Angst haben. Und wer betet, der hat die Gewissheit, dass ihm*ihr jemand zuhört – und nicht nur irgendjemand, sondern Gott. Und auch wenn Gott nicht sofort eingreift – Wie viele Bittgebete um Frieden sind scheinbar ungehört verhallt? –, so hilft ein solches Gebet doch, die eigene Perspektive auf Welt zu relativieren. Wenn ich bete, weiß ich: Ich bin nicht allein in dieser Welt und mit meinen Sorgen und Problemen. Und ich weiß: Das, was ich tue und habe, verdanke ich nicht mir selbst. Wer betet, der*die ordnet sich selbst ein in eine Beziehung zu Gott – und damit in eine Relation, die weit über den eigenen Horizont hinausreicht.
Wissenschaftler*innen haben herausgefunden: Regelmäßiges Beten senkt den Blutdruck und fördert den Stressabbau. Das, was Beten bewirkt, lässt sich also sogar messen. Die Gewissheit, gehört zu werden, wirkt. Und sie hat Auswirkungen: Ein Gebet eröffnet einen neuen Blick auf die Welt. Wer Gott um Frieden bittet, der*die beginnt sich zu fragen, was er*sie selbst zu diesem Frieden beitragen kann. Wer Gott für das dankt, was er ihm*ihr an Glück und Lebensqualität geschenkt hat, der*die sieht seine Mitgeschöpfe mit einem anderen Blick an.
Martin Luther hat das in seiner Auslegung des Vaterunsers im sogenannten Kleinen Katechismus so zusammengefasst: „Die vierte Bitte: Unser tägliches Brot gib uns heute. Was ist das? Gott gibt das tägliche Brot auch ohne unsere Bitte allen bösen Menschen; aber wir bitten in diesem Gebet, daß er's uns erkennen lasse und wir mit Danksagung empfangen unser tägliches Brot.“
Michaela Veit-Engelmann