Vom 01. November 2009 bis 06. Januar 2010
Requiem - Gedanken zu den Gemälden Bernhard Kocks
Der Begriff Requiem, der bis heute die feierliche Totenmesse benennt, leitet sich vom ersten Wort des Introitus Requiem aeternam dona eis, Domine ab, was soviel heißt, wie „Ewige Ruhe schenke ihnen, o Herr“. Zumindest in der christlichen Liturgie ist das Begleiten des Toten einem strengen Reglement unterworfen, das sich über Jahrhunderte nur wenig verändert hat. Weniger streng aber nicht minder konzentriert beschäftigt sich Bernhard Kock seit 2003 mit diesem Thema, das er vom allgemeinen Menschheitsthema zur künstlerischen Fragestellung wendet.
Zunächst begann Bernhard Kock – ausgelöst von der Diagnose einer unheilbaren Krankheit, die sich später zum Glück als falsch erwiesen hatte – sich stärker mit sich selbst zu beschäftigen. Die Diagnose, die ihn auf sich selbst und die Vergänglichkeit seiner selbst zurückgeworfen hatte äußerte sich in unzähligen Selbstportraits, die später in einen Portraitzyklus mündeten, der Bilder wie „Dark Face“ und „Kindertotenlieder“ hervorbrachte.
Diese Bilder sind verstörend, da sie das realistische Portrait hinter Schlieren zu verbergen scheinen und somit keine Personen abbilden – sie manifestieren sich allenfalls als Schemen realer Menschen auf der Leinwand, fast so als habe ein Geist seine Abdrücke auf einem Film hinterlassen. Es könnten flüchtige Geisterbilder sein, wenn der verwischten Flüchtigkeit nicht eine delikat präzise Malweise entgegenstünde, die alles andere als beiläufig ist. Im Gegenteil; mit Hilfe von Linealen und feinsten Pinseln zieht der Maler exakte Spuren in die pastose Farbe und legt in einem Verfahren, das fast schon als bildhauerisch bezeichnet werden kann, die Motive hinter dem zuvor aufgetragenen Materialberg frei.
Eng verwandt mit dem Portraitzyklus sind die Horizontbilder, die in seinem Werk als Mittler zwischen abstrakten und realistischen Bildwelten gelten können. Die gemalten Horizonte setzt er gezielt als Pufferzone ein, die Lichtreflexe bündelt, den Blick des Betrachters lenkt und eine Art minimale Erzählung auslöst, die im Gewand der Landschaftsmalerei die bekannte Geschichte von Sehnsucht und Kontemplation erzählt. So sind die Horizontbilder für ihn beides, sowohl Begrenztheit, als auch Überschreitung. Er selbst sagt dazu „Die Betrachtung dieser Bilder führt zur Wiedererkennung oder Erinnerung an Lichterfahrungen, wie wir sie von Morgen- und Abenddämmerungen kennen.“
Als vor zwei Jahren sowohl sein Vater als auch die Großmutter seiner Frau starben, bekam das Thema des Todes noch einmal eine stärkere Bedeutung und eine neue formale Ausprägung in seinem Werk. Fortan entstanden Werke mit den Titeln „Am Grab“, „Geleit“, „Frau mit rosafarbenem Kleid“, „Vater“ und „Nach einem langen Leben“ die seine Auseinandersetzung mit Trauer zeigen. Diese Bilder haben zwar vordergründig die Grenze zum Realismus überschritten, nahmen allerdings die pastos-abstrakte Farbbehandlung früherer Bilder in sich auf.
Offensichtlich verwischen angesichts des Todes die Grenzen der Malweisen, wenn zum Beispiel die Farbe in „Toter Vater“ (2008) aus dem gemalten Körper herauszudrängen scheint. Der Tod, dem Bernhard Kock seine Bilder sowohl durch wilden Farbauftrag als auch durch präzise Malweise abtrotzt, wird bei ihm somit einerseits als schmerzhafter Auflösungsprozess und nicht nachvollziehbare Grenzverletzung gezeigt und andererseits als im Prozess der Auflösung fixiert. Derlei Widersprüche sind jedoch nicht Makel sondern Gütesiegel seiner Malerei - seine Bilder schwanken heiter zwischen dem Eindruck von Strenge und Eruption, zwischen kalkulierter Bildgebung und konzentriertem Malakt, und bilden letztlich keine Wirklichkeit ab, sondern schaffen selbst Wirklichkeit. Eine Wirklichkeit, die Raum lässt – sich selbst und dem Betrachter.
Frank-Thorsten Moll