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Bild: Rainer Sturm  / pixelio.de

Rezension

„Niemand darf verloren gehen…?!“
Interdisziplinäre Perspektiven im Schnittfeld von Bildungsgerechtigkeit und evangelischem Bildungshandeln
Juliane Ta Van, Katharina Biermann, Janine Wolf und Jens Dechow (Hg.)
Waxmann Verlag Münster 2024
ISBN 978-3-8309-4826-1
138 Seiten, 34,90 €

»„Niemand darf verloren gehen!“ Ausgrenzung problematisieren – Bildungsgerechtigkeit fördern! So lautete das Motto der Tagung im Frühjahr 2023 an der Universität Münster, deren Beiträge nun in diesem Sammelband nachzulesen sind. Die Vorträge und Workshops setzten sich dabei mit einem Plädoyer der 11. Synode der EKD von 2010 für mehr Bildungsgerechtigkeit auseinander. Wie sieht es 2023 aus und was hat sich in gut einem Jahrzehnt geändert? Ist ‚Bildungsgerechtigkeit‘ der passende Begriff für die Thematisierung bildungsbezogener Ausgrenzungen, wenn Handeln ermöglicht werden soll? Welche Handlungsmöglichkeiten gibt es und welche Erfahrungen, von denen gelernt werden kann? Aus theologischer sowie erziehungs- und sozialwissenschaftlicher Perspektive werden diese Fragen im Schnittfeld von Bildungsgerechtigkeit und evangelischem Bildungshandeln diskutiert.

Mit Beiträgen von Melissa Aust, Lilo Brockmann, Stefan Heuser, Markus Hölscher, Gudrun Quenzel, Silke Reindl, Antje Roggenkamp, Marlon Stermann, Barbara Strumann, Caroline Teschmer, Vera Uppenkamp und Ulrike Witten.«

So beschreibt der Waxmann-Verlag in seinem Programm das im April 2024 erschienene Buch.

Zu Beginn führen Jens Dechow und Katharina Biermann ins Thema ein und berichten, wie die evangelische Perspektive und das Ziel, Bildungsgerechtigkeit zu fördern und Ausgrenzungen zu benennen, die Motivation für die Tagung gaben (7-13). Die Autor*innen der Einführung benennen die Corona-Pandemie als verstärkenden Faktor für die ungleichen Bildungsverhältnisse sowie die durch die PISA-Studie von 2022 belegte These, dass der schulische Erfolg eines Kindes in hohem Maße vom Bildungsstand der Eltern, dem sozialen Milieu, dem Geschlecht usw. abhängen. Dechow und Biermann geben einen sorgfältigen Überblick über die folgenden Beiträge, von denen sich die meisten auf Vorträge und Workshops beziehen, die während der Tagung im April 2023 gehalten wurden. Um einen Überblick über den Ablauf der Tagung und die angesprochenen Themenbereiche zu erhalten, eignet sich insbesondere der Beitrag von Melissa Aust, Markus Hölscher und Marion Stermann (117ff.), die als Student*innen teilgenommen haben und ihre persönlichen Eindrücke wiedergeben.

Es war sicherlich für alle Autor*innen spannend, die im Plädoyer der 11. Synode der EKD genannten Thesen zur Bildungsgerechtigkeit unter den aktuellen Gegebenheiten zu untersuchen und insbesondere bezogen auf den Religionsunterricht auf ihre Aktualität und Sinnhaftigkeit hin zu überprüfen. Die Beiträge sind nicht nur für Lesende aus dem universitären Bereich und die Teilnehmer*innen der Tagung lohnend, sondern sicherlich auch für Religionslehrkräfte, die sich für den aktuellen Stand der Forschung interessieren. Allen Beiträgen liegt zugrunde, dass die Begriffe Bildungsgerechtigkeit, Ungleichheit, soziale Ungerechtigkeit, Chancengleichheit usw. heute neu verstanden und gelesen werden und dabei die Krisen der letzten Jahre mitbedacht werden müssen. Die Subjektorientierung (Caroline Teschmer, 33ff.) und das Mitgefühl als eine zu fördernde Fähigkeit, die Wichtigkeit von kritischer Selbstwahrnehmung und einer notwendigen Haltungsänderung (Ulrike Witten, 93ff.), beide hier beispielhaft herausgegriffen, bieten Handlungsperspektiven mit Blick auf die Zukunft. Auch der Ansatz der Inklusiven Religionspädagogik der Vielfalt (Vera Uppenkamp, 21ff.) zeigt unter anderem Perspektiven auf, wie Bildungsgerechtigkeit verstanden und ihrem Anspruch begegnet werden kann.

Die Ergänzungen der Thesen von 2010, neu ausgelegt und auf die Zukunft ausgerichtet von Antje Roggenkamp, geben sicherlich die Intention der Tagung von 2023 wieder: „Niemand, aber wirklich niemand, darf verloren gehen“, schreibt sie zum Schluss ihres Beitrages und des Buches.

Sabine Schroeder-Zobel