Rezension
Eine andere Geschichte
Adolfo Serra
Jumboverlag, 2020, 32 Seiten
ISBN: 978-3833741876
16,00 €
Auf den ersten Blick: Die Begegnung zwei ungleicher Lebewesen. Welten liegen zwischen ihnen: Riesige Unterschiede in der Größe, in der Bewegungs- und Lebensweise, verbunden nur durch ein Detail, das Nas-Horn. Was ausgelöst wird, wenn eines der größten Landtiere und ein kleines Insekt aufeinander treffen, das ist „eine andere Geschichte“. Man könnte auch sagen, es sind mehrere andere Geschichten, denn die Bilder und der Text erzählen jeweils auf eigene Weise davon. Gemeinsam werden sie zu einem eindrücklichen Gleichnis, das die Vielfalt und die Verbundenheit aller Lebewesen in Szene setzt.
Die Bilder bringen uns das Nashorn und den Nashornkäfer zunächst abwechselnd nahe. Der Nashornkäfer, wie aus Papier ausgeschnitten, das Nashorn, wie mit Buntstift gezeichnet und schraffiert. Bis eine behutsame Annäherung geschieht – und das Anderssein und Einzigartigkeit der beiden eindrücklich zu sehen ist. Bis auf einmal beim Umblättern eine weiße Doppelseite erscheint, und von links und rechts ein Horn ins Bild ragt – und die Gemeinsamkeit frappierend wirkt.
Im Text, in der Wir-Form erzählt, kommen die tierischen Akteure gar nicht vor. Sparsam, auf jeder Doppelseite nur ein Satz, werden wir auf die Vielfalt unserer Bedürfnissen und Situationen hingewiesen und an grundlegende Gemeinsamkeiten erinnert. Bilder und Text ergänzen sich in ihrer Wechselwirkung und vertiefen die Eindrücke.
Jede*r ist anders und einzigartig und trotz allem sind wir gleich. (Jesper Juul hätte vermutlich „gleichwürdig“ vorgeschlagen, das ist aber ‚eine andere Geschichte‘)
Diese existentielle Botschaft wird elementar und zugleich poetisch-philosophierend erzählt. Jede Seite lässt sich in Ruhe betrachten und regt zu Gesprächen an.
Was Kinder mit diesem Buch erleben können
In einem ersten Zugang können die Tiere und ihre Besonderheiten Raum gewinnen: Anregend ist, anschaulich zu machen, was ein Nashorn vom Nashornkäfer unterscheidet. Wie die Tiere jeweils leben. Was sie verbindet. Um dann ins Gespräch zu bringen, was der Satz „trotz allem sind wir doch so gleich.“ bei den Kindern im Blick auf die beiden Tiere auslöst.
Ein nächster Schritt kann darin bestehen, den Text in den Vordergrund zu rücken. „Angenommen der Text erzählt nicht von Nashorn und Nashornkäfern, sondern von uns (Menschen / unserer Gruppe)? Was davon passt zu uns?“
So können erlebte Vielfalt, Unterschiede in Vorlieben, Interessen, Verhalten zur Sprache kommen. Was uns unterscheidet – genauso, wie das, was wir gemeinsam haben.
Das Bilderbuch lässt sich auch einsetzen, um an biblische Gleichnisse/Metaphern anzuknüpfen.
Die Spannungen in einer Gruppe von Menschen, die unterschiedlich und vielfältig sind – und zugleich miteinander leben und voneinander lernen wollen, nimmt Paulus im Bild von einem Leib und vielen Teilen auf (1. Korintherbrief 12). Hier können sich weitere Gespräche anschließen, zu Konflikten in der Gruppe und zu Lösungsideen. Was uns verbindet, so unterschiedlich wir auch sind.
Gert Liebenehm-Degenhard