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Bild: Rainer Sturm  / pixelio.de

Rezension

Heinz Klippert

Frieden? Sichern! Anleitung zur Belebung pazifistischen Denkens

Westend-Verlag, Neu-Isenburg 2024, 328 Seiten, 24 Euro

Die Kriegsgeschehnisse in der Ukraine haben den Ökonomen und Pädagogen Heinz Klippert motiviert, sich mit der Friedensfrage zu befassen (Seite 11). Wie der Untertitel verrät, geht es ihm in Zeiten massiver Aufrüstung und „Kriegsertüchtigung“ darum, das pazifistische Denken zu beleben. Nach jahrzehntelangem Entspannungsoptimismus komme es nun zu einer erneuten militärischen Blockbildung, die alten Feindbilder des Kalten Krieges gäben dem bellizistischen Denken neuen Auftrieb (12).
Dagegen steht seine Grunderkenntnis, dass Kriege mit allen Mitteln verhindert werden müssen, bevor sie entstehen. Hierbei habe nicht nur Russland, sondern auch der Westen versagt, der sich nach 1990 als Sieger des Kalten Krieges aufspielte und Russlands Sicherheitsinteressen sträflich ignorierte (12). Die Bösen und Schuldigen seien stets die Anderen, während die eigenen Waffengänge meist als moralisch geboten und alternativlos gesehen würden (12,13). Fragen nach den Vorgeschichten des Ukrainekriegs oder des Gazakriegs würden mit Killerbegriffen wie „Verschwörungstheorie“ oder „Antiamerikanismus“ abgewehrt.
Die zweite leitende Grundeinsicht Klipperts ist: Wer Frieden will, muss den Frieden vorbereiten. Das heißt, es müssten vor allem die Beweggründe und Prägungen der Gegenseite vorurteilsfrei analysiert und mögliche Kompromisse gesucht werden (14). Dies entspricht zum einen dem Ansatz Gandhis von der Ziel-Mittel-Relation: Es gibt keinen Weg zum Frieden. Frieden ist der Weg. Und zum anderen greift das Sich-hinein-Denken in die Gegenseite den Kerngedanken Jesu auf, der in seiner Goldener Regel (Mt 7,12) den Perspektivwechsel und die Anerkennung der Bedürfnisse der Mitmenschen als Handlungsmaxime empfohlen hatte (110).

Klippert steuert deshalb zwei konkrete Ziele an: Mit Daten und Fakten gelte es, einer begründeten Kriegsskepsis und einem reflektierten Pazifismus den Boden zu bereiten. (15) Das Bestreben, Kriege unbedingt zu verhindern, begründet Klippert in seiner Einleitung damit, dass mit Kriegsbeginn alle Gräueltaten schon vorprogrammiert seien. Denn zum Wesen des Kriegs gehörten Massaker, Bombardierungen, Vergewaltigungen und Zerstörungen (18/19). Deshalb gelte es die Alternativlosigkeit von Kriegshandlungen zu widerlegen, gleich ob es sich um Angriffs- oder um Verteidigungskriege handle (20).

„Der steinige Weg der Friedenssicherung“

Klippert sieht den Zweiten Weltkrieg mit seinen rund 70 Millionen Toten, darunter 24 Millionen toter russischer Menschen, als einen echten Kulminations- und Wendepunkt im jahrtausendelangen Hauen und Stechen der Völker. Er beschreibt die darauffolgende Entwicklung mit dem Marshallplan, den Vereinten Nationen samt Unterorganisationen sowie der Entwicklung der Europäische Union als wichtige Wegmarken für eine friedlichere Welt. Auch wenn die Platzhirsche im Sicherheitsrat mit ihrem Vetorecht vieles blockierten, sei die auf Diplomatie, Schlichtung, Prävention und Interessenausgleich setzende UN-Arbeit unabdingbar nötig (48). Im Gegensatz zu dieser Friedensentwicklung sei der Ukrainekrieg eine Folge geopolitischer Machtkämpfe, in deren Verlauf die europäischen Staaten sich den friedenspolitischen Optionen der USA vasallenartig untergeordnet hätten. Doch Sicherheit in Europa sei letztlich nur mit und nicht gegen Russland zu erreichen. (69) Wer Frieden wolle, müsse den Frieden vorbereiten. Mit Waffengewalt, Wirtschaftssanktionen und politischem Druck Frieden erreichen zu wollen, sei – wie viele historische Beispiele zeigten – eine Illusion (71).

Quellen menschlicher Feindseligkeit
Die aktuelle Waffen- und Kriegsbefürwortung in Politik, Medien und weiten Teilen der Bevölkerung spiegelt nach Klippert einen jahrtausendealten „archaischen Reflex“, demzufolge Gewalt mit Gewalt beantwortet werden müsse, und zwar ohne Rücksicht auf Verluste – Auge um Auge, Zahn um Zahn (75).

Deshalb beleuchtet Heinz Klippert in anschaulicher Weise die Erkenntnisse der Verhaltenspsychologie, der Individualpsychologie und des Behaviorismus zur Frage der Entstehung von Gewalt und Aggression. Er sieht in diesen unterschiedlichen psychologischen Ansätzen sich ergänzende Erklärungen menschlichen Verhaltens. Daraus ergäben sich dann Ansätze, um das naturwüchsige Aggressionspotential der Menschen besser zu kontrollieren und einzuhegen (98).

Erschwert würden solche Bemühungen jedoch durch die familiären, schulischen, medialen und gesellschaftlichen Lernumstände unserer Zeit, die eher das soziale Gegeneinander begünstigten. Dies ließe sich unter anderem am neuzeitlichen Singularisierungstrend, am Einfluss der audiovisuellen Medien, aber auch am ab- und ausgrenzenden Schulalltag ablesen. Typisch für Letzteren seien die Selektion der Schülerschaft am Ende der vierten Klasse, das mehrgliedrige Schulsystem (103) sowie die zusätzliche Binnendifferenzierung in den Klassen(107). Dadurch würde eher zum Gegeneinander als zum Miteinander erzogen. Mit Blick auf Politik und Medien beklagt Klippert die verbreitete Pflege von Feindbildern und Schwarz-Weiß-Mustern. Subtile Propagandamaßnahmen sollten der eigenen Bevölkerung das Gefühl vermitteln, dass Militäreinsätze alternativlos seien. Diese Praxis gebe es nicht nur in totalitären Staaten, sondern leider auch in Demokratien (135-138).

Kriegsprävention beginnt in den Köpfen
Auf diesem Hintergrund werden Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt, die helfen, Feindseligkeit und Destruktivität im Denken und Handeln von Menschen abzubauen. Dazu verweist Klippert auf die Notwendigkeit, das besagte Gut-Böse-Denken zu überwinden und etwaige Provokationen und Fehleinschätzungen der eigenen Seite kritisch zu beleuchten (142-143). Letzteres gelte z.B. für die seinerzeit von Verteidigungsminister Peter Struck getroffene Aussage, dass Deutschlands Sicherheit am Hindukusch verteidigt werde. Ebenso bedürfe es der kontroversen Diskurse und Debatten, die gegenwärtig in den Hauptmedien kaum vorkämen. (148-149). Wichtig sei ferner ein verstärktes soziales Lernen in den Familien, Schulen und politischen Gremien (160). Um des Überlebens willen müsse die Kriegslogik durch eine Friedenslogik ersetzt werden (162).

Gemeinsames Lernen als Friedensquell
Heinz Klippert plädiert anstelle schulischer Auslesevorgänge für eine kräftige Verschlankung des gegliederten Schulwesens sowie eine gezielte Förderung und Praktizierung kooperativen Lernens. Dies begünstige das Erlernen solidarischen Miteinanders, empathischen Verhaltens, konstruktiver Kommunikation und friedlichen Konfliktmanagements. Gerade diese Tugenden bedeuteten eine friedensethische Grundbildung, die sowohl dem Lernen zugutekomme als auch einen „reflektierten Pazifismus“ begründeten, der bei der Beurteilung und Lösung privater wie politischen Konflikte helfe (172-175).

Reflexionsanstöße für Friedensuchende
Das fünfte Kapitel wird vom Autor als der Hauptteil seines Werkes bezeichnet. Dort finden sich 24 Reflexionsbausteine zu ausgewählten Friedensfragen, die immer die gleiche Dreiteilung aufweisen: Jeder Baustein beginnt mit  einem inhaltlichen Problemaufriss, gefolgt von einer didaktischen Lernverlaufsskizze für Lehrkräfte (Lernspirale) sowie differenzierten Sachinformation für die Lernenden. Beispielhaft seien fünf Themen genannt: Wurzeln der Gewalt entschlüsseln. Wie man Konflikte wirksam schlichtet. Zur Vorgeschichte des Ukraine-Kriegs. Einsatz und Elend von Kindersoldaten. Ein zorniger Blick auf die Kriegsfolgen. Somit werden die grundlegenden Erörterungen und Analysen der ersten vier Kapitel auf gut 100 Seiten in friedensethische Reflexions-, Diskussions-, Kooperations- und Klärungsprozesse überführt, die ein Mehr an Kriegsskepsis und Friedensfantasie reifen lassen.

Resümee
Heinz Klipperts Buch eignet sich hervorragend sowohl zum Selbststudium in Sachen Friedensarbeit und Friedenspolitik wie auch als Praxishilfe für die friedensfördernde schulische und außerschulische Bildungsarbeit.

Dr. Theodor Ziegler