Rezension
Barbara Brüning, Adele Grill (Hg.):
Unterrichtsmodule für das Fach Ethik. Mensch – Natur – Gesellschaft
Trauner Verlag
Linz/Österreich 2022
ISBN 978-3-99113-757-3
180 Seiten, 24,90 €
Spannend: (Erst) Im Schuljahr 2021/22 wurde in Österreich „Ethik“ als Pflichtfach für all jene Schüler*innen in den Regelschulbetrieb eingeführt, die keinen Religionsunterricht besuchen. Das vorliegende Praxisbuch entstand als Beitrag zur didaktischen Gestaltung dieses neuen Bildungsangebotes an österreichischen Schulen, die laut Vorwort der Herausgeberinnen bewusst in der Lebenswirklichkeit und bei den Lebensperspektiven der Schüler*innen ansetzen möchte. In ihm bündeln sich Unterrichtsideen für das neue Fach, die aus der Zusammenarbeit verschiedener Referent*innen und ihrer Studierenden im Hochschullehrgang Ethik an der Privaten Pädagogischen Hochschule Burgenland entwickelt wurden. Adele Grill, Lehrgangsleiterin, und Barbara Brüning, Referentin mehrerer Module, haben diese Ideen nun als „Unterrichtsmodule“ herausgegeben, untergliedert in die drei thematischen Blöcke Mensch – Natur – Gesellschaft.
Der Aufbau des Buches folgt einem angenehm klaren Konzept: Unter dem Dach der drei Themenblöcke finden sich jeweils drei Beiträge verschiedener Autor*innen mit Unterrichtsmodulen zu inhaltlichen Schwerpunkten; bspw. im Themenblock „Mensch“ die Beiträge „Der Mensch liebt das Risiko“, „Mit Brüchen im Leben umgehen“, „Der Mensch als Grenzgänger“. Jeder der insgesamt neun Beiträge wiederum ist jeweils untergliedert in eine Hinführung zum Thema, Ideen für einen kreativen Einstieg, inhaltliche Bausteine sowie Vorschläge für die Weiterarbeit im Unterricht. Dieser klare Aufbau macht es für Lehrer*innen leicht, sich schnell einen Überblick zu den Inhalten und Fragestellungen zu verschaffen und sich daraus ggf. passende Bausteine für den eigenen Unterricht herauszunehmen.
Wer einen Blick in das Praxisbuch wirft, wird darin sehr schnell die von den Herausgeberinnen im Vorwort explizit angekündigte Lebenswelt- und Subjektorientierung wiederfinden. Die Unterrichtsideen knüpfen an Lebensgefühl, Ängste, Hoffnungen, Lebensperspektiven, Erfahrungen junger Menschen im Alter zwischen 14 und 19 an. Darüber hinaus geben die jeweiligen Autor*innen immer wieder Tipps für potenzielle fächerübergreifende Kooperationen und Projekte. Die Methoden und Materialien sind abwechslungsreich und haben einen hohen Aufforderungscharakter. Dabei gelingt es den Autor*innen hervorragend, die nah an den jungen Menschen orientierten Fragestellungen mit biografischen Informationen bedeutender Philosoph*innen und Textauszügen ihrer Werke zu verknüpfen. Als Beispiel sei die Philosophin Simone Weil genannt, deren Leben und Werk im Beitrag „Mit Brüchen im Leben umgehen“ als roter Faden für die Unterrichtsideen dient. Die Texte in allen neun Beiträgen sind eher kurz, aber anspruchsvoll; so wie bspw. die fünf Aphorismen aus der Sammlung „Cahiers“ mit persönlichen Aufzeichnungen Simone Weils. Nicht zuletzt daran wird deutlich, dass die Unterrichtsmodule mit den Textmaterialien vorrangig für den Unterricht mit Schüler*innen des Sekundarbereichs II gedacht ist, teilweise auch der Jahrgänge 9/10. Mit Blick auf die Aufgabenstellungen fällt auf, dass sie nur teilweise mit Hilfe der Operatoren aus den drei Anforderungsbereichen der Kerncurricula formuliert sind, so wie es im deutschen Raum in den letzten 10 bis 15 Jahren die Regel geworden ist. Insofern wären manche Aufgabenstellungen noch explizit einem Anforderungsbereich zuzuordnen und ggf. die Formulierungen anzupassen.
Schließlich sei auf die sehr gelungene Einführung zu dem Praxisbuch hingewiesen: vor allem auf den Abschnitt „Philosophieren auf der Grundlage fünf traditioneller Methoden“. Hier wird ein praxisorientierter Einblick in fünf zentrale philosophische Praktiken gegeben, die auch im Religionsunterricht zum festen Methodenhandwerkzeugs-Koffer gehören bzw. gehören sollten – nicht zuletzt deshalb, weil sich darin überwiegend die prozessorientierten Kompetenzen aus den Kerncurricula für das Fach Evangelische Religion wiederfinden lassen: wahrnehmen und darstellen (phänomenologische Methode), verstehen und deuten (hermeneutische Methode), urteilen und begründen (analytische Methode), argumentieren und am Diskurs teilnehmen (dialektische Methode), andere Perspektiven einnehmen und mit Gedanken experimentieren (spekulative Methode).
Daran anknüpfend möchte die Verfasserin dieser Rezension hervorheben, dass das vorliegende Praxisbuch mit den Unterrichtsmodulen zu Mensch, Natur und Gesellschaft auch für den Religionsunterricht im Sekundarbereich II eine wahre Fundgrube für Unterrichtsideen sein kann. Abschließend sei daher ein Zitat von Markus Bartsch aus dem Vorwort der Herausgeberinnen aufgegriffen: „Als Unterrichtsfächer, die sich der Erziehung zur Mündigkeit verpflichten, indem sie bekenntnisneutral Schülerinnen und Schüler von ganz unterschiedlichen ethnischen, nationalen und religiösen Selbstverständnis zum Diskurs anleiten, dienen Philosophie- und Ethikunterricht der Werteerziehung in der Weise, dass ein demokratisches Selbstverständnis als übergeordnetes und zugleich lebbares Konstrukt die Auseinandersetzung mit kulturellen und religiösen Gemeinsamkeiten sowie Differenzen ermöglicht.“ (6) Auch der Religionsunterricht sieht sich der Erziehung zur Mündigkeit verpflichtet, weil gelebter und lebendiger Glaube nie aus nachgeplapperten Glaubenssätzen ent- und bestehen kann, sondern nur in stetiger individueller Auseinandersetzung mit dem eigenen Weltzugang in wertschätzender und offener Auseinandersetzung mit anderen Weltanschauungen. Darin leistet der Religionsunterricht in Deutschland genauso wie der Philosophie- und Ethikunterricht einen Beitrag zur Entwicklung eines demokratischen Selbstverständnisses.
Christina Harder