Rezension
Manfred L. Pirner
Wie Religionslehrkräfte ticken. Eine empirisch-quantitative Studie
Kohlhammer, Stuttgart 2022, Reihe: Religionspädagogik innovativ, Band 44, ISBN 978-3-17-039347-9, 238 Seiten, 49,00 €
Mit diesem Buch legt Manfred L. Pirner, Professor für Religionspädagogik und Didaktik des Evangelischen Religionsunterrichts an der Universität Erlangen-Nürnberg, die erste umfassende empirische Befragung von Lehrenden vor, die in Bayern das Fach Evangelische Religion erteilen. Angelegt als quantitative Survey-Studie und online durchgeführt, umfasst die Befragung eine Vielzahl von Themen. Durchgeführt wurde die Studie bereits 2016, also lange vor der Corona-Pandemie; jetzt ist ihre Auswertung erschienen. Teilgenommen haben 850 Kolleg*innen aller Schulformen, darunter nicht nur staatliche Lehrkräfte, sondern auch Katechet*innen, Schulpastor*innen oder Gemeindepfarrer*innen, so dass sich ein stimmiges Querschnittsbild ergibt.
Der vorliegende Band stellt die Ergebnisse der Studie vor, deutet sie und bietet flankierende Kommentierungen aus anderen Bundesländern und vor dem Hintergrund dortiger Religionslehrkräftestudien. Der Buchaufbau ist ausgesprochen benutzerfreundlich; die Monografie wird mit einer auch als Lesehilfe dienenden Kurzzusammenfassung eröffnet, daran schließen sich Erläuterungen zum theoretischen Hintergrund, zum Forschungsstand und zur Methodik an.
Der Hauptteil des Buches enthält die detaillierte Auswertung der Studie. Die Ergebnisse überraschen vielfach nicht, da vergleichbare Lehrkräftestudien aus anderen Bundesländern bestimmte Verteilungen erwarten ließen. Zusammenfassend ist festzuhalten (11–20 sowie die Einzelauswertungen): Den bayrischen Lehrkräften sind die diskursiven und glaubensorientierten Ziele ihres Unterrichts besonders wichtig; es besteht ein überwiegend gutes Verhältnis zwischen kirchlichen und staatlichen Lehrkräften; die meisten Befragten legen Wert auf das evangelische Profil und die eigene Positionalität; die Verbundenheit mit der Kirche ist hoch. Relativ breit wurde nach der Mediennutzung im Religionsunterricht gefragt; hierzu merkt Pirner allerdings selbst an, dass diese Ergebnisse durch die Coronakrise sicher eine deutliche Veränderung erfahren hätten.
Eine gewisse Zögerlichkeit im Hinblick auf konfessionelle Kooperationen lässt die niedersächsische Leserin aufhorchen (75: über 20 Prozent der Befragten lehnen den konfessionell-kooperativen zugunsten eines rein konfessionellen Religionsunterrichts ab), doch mag dies an der besonderen bayrischen Situation und der Position der dortigen Kirchen liegen.
Spannend sind die Antworten der Befragten auf eine in der Forschung bisher vernachlässigte Fragestellung – nämlich der, inwieweit sich der Glaube der Befragten im Laufe des Studiums und der Berufspraxis verändert hat. So sagen 80 Prozent, ihr Glaube sei reflektierter geworden, und immerhin 44 Prozent gaben an, ihr Glaube sei tiefer geworden. Einige wenige Lehrkräfte geben aber auch zu, dass sich die Beschäftigung mit der wissenschaftlichen Theologie negativ auf ihren Glauben ausgewirkt habe. Es fällt außerdem auf, dass das Studium und vor allem sein Praxisbezug von den Befragten keine besonders gute Bewertung erhalten (126ff.).
Mit großem Interesse hat die Rezensentin gelesen, welche Bedeutung viele Lehrkräfte dem eigenen Glauben bei der Bewältigung beruflicher Krisen- oder Stresssituationen zumessen (118ff.). Für vielversprechend hält sie auch den von Pirner unterbreiteten Vorschlag, die bisher vorherrschende Kategorisierung religionsunterrichtlicher Ziele, nämlich „learning in religion“, „learning from religion“ und „learning about religion“, um eine „diskursiv-dialogische Kategorie“ zu erweitern: „learning inter religion“ (11f.). Dies kann auch für die aktuelle niedersächsische Diskussion um den Christlichen Religionsunterricht (CRU) einen wichtigen Impuls setzen, muss es dabei doch stärker, als es bisher der Fall war, um ein interkonfessionelles – und in einem nächsten Schritt vielleicht sogar interreligiöses – Lernen gehen.
Uta Pohl-Patalong bemerkt in ihrer Kommentierung dieser Studie: „Der Religionsunterricht gehört zu den Gegenständen ‚semper reformanda‘ – was durchaus sachgemäß ist: Seine Schüler*innenorientierung erfordert eine kontextuelle Ausgestaltung, um ihren jeweiligen Lebenswelten gerecht zu werden, und seine theologische Orientierung erfordert ebenfalls eine beständige Reflexion auf seine kontextuelle Angemessenheit hin, da das Evangelium nie kontextlos, sondern immer nur mit bestimmten Menschen kommuniziert werden kann.“ (193) Was das bedeutet, hat Manfred Pirner in seiner Studie für das Bundesland Bayern durchbuchstabiert und dabei viele Denkanstöße geliefert, die sich auch innerhalb der aktuellen niedersächsischen Diskussion fruchtbar machen lassen.
Michaela Veit-Engelmann