Petra Sorg: Religionsunterricht im globalisierten Klassenzimmer, Positionierungen von Lernenden im multireligiösen Kontext beruflicher Schulen, Reihe Religious Diversity and Education in Europe, Band 43, Waxmann Verlag Münster 2020, ISBN 978-3-8309-4133-0, 344 Seiten, broschiert, 39,90 €
Religionsunterricht im globalisierten Klassenzimmer
Schon längst spiegelt das Schlagwort des Interreligiösen Lernens die Wirklichkeit an Schulen wider. Nicht nur an BBS wird evangelischer Religionsunterricht in Klassen erteilt, in denen evangelische Jugendliche in der Minderheit sind. Doch wie muss solcher Religionsunterricht gestaltet sein, wenn er angesichts dessen die Positionierung von Schüler*innen ermöglichen soll?
Dieser Frage geht Petra Sorg in ihrer Dissertation nach. Sie legt eine profunde, theoretisch umfangreich gestützte und methodisch vielfältig abgesicherte Studie vor, deren Herzstück eine Mixed-Methods-Studie an drei Frankfurter Berufsschulen ist. Leitend sind folgende Fragen: „Wie verhalten sich Lernende untereinander […]? Wie positionieren sie sich: Nehmen sie Neues auf, profitieren sie von der Pluralität oder wehren sie das andere, vielleicht Fremde ab?“ (o.S.)
Heterogenität sei eine Erfahrung, die Jugendliche tagtäglich machen würden; Sorg verwendet hier den Begriff der Glokalisierung, um zu beschreiben, wie sich bei Jugendlichen die „lokalen und globalisierten Religionsausprägungen“ (62) überlagern.
Ist das Ziel des Religionsunterrichts die eigene Positionierung vor dem Hintergrund solcher Globalisierungserfahrungen, so verweist dies bereits auf die für Sorgs Arbeit zentrale Raummetaphorik: Lernen ereigne sich im „Raum“, womit immer auch der aus den vielfältigen Beheimatungen der Lernenden mitgebrachte global ausdifferenzierte Raum gemeint sei – Religionsunterricht biete hier einen „Ermöglichungsspielraum“ (17).
Doch wie genau wird nun religiöses Lernen ermöglicht? Sorg bezieht sich auf zwei von Joachim Willems bzw. Mirjam Schambeck vertretene religionsdidaktischen Konzepte. Während Letztere über den trinitarisch begründeten Begriff der Liebe für einen konsensorientierten Zugang zu interreligiösen Themen plädiert, versteht Ersterer interreligiöse Kompetenz v.a. als Handlungsfähigkeit in Überschneidungssituationen. Beiden sei jedoch gemeinsam, dass sie, so Sorg, die Prozesse, die sich in einer Klasse als Lebens- und Lernraum abspielen, nicht hinreichend beachten würden. Dieses Desiderat möchte Sorg beseitigen. Ihr geht es darum, „durch die Befragung der Experten des eigenen Lebens genauer zu verstehen, wovon die eigene Positionierung im Religionsunterricht geleitet […] wird.“ (63) Sorg kommt zu der Erkenntnis, dass dabei die Verankerung der Identität wesentlich sei: Hat jemand eher eine sozial aktivierte Identität, braucht also seine*ihre Gruppe zur Selbstvergewisserung, so ist er*sie weniger offen für Neues als jemand mit einer personal aktivierten Identität. Religionsunterricht müsse dafür Sorge tragen, dass sich beide Identitätspräferenzen füreinander und zueinander öffnen könnten, um so miteinander zu lernen. Dazu gelte es, den Klassenraum als einen sicheren Raum zu etablieren, in dem ein doppelter Perspektivwechsel stattfinden könne: Zunächst müsse die „Ausräumung von Zuschreibungen durch inszenierte Individualität“ (280) geschehen; ist dies gelungen, könne es durch das „Einräumen von anderem durch inszenierte Begegnung“ (285) zu einem zweiten Perspektivwechsel kommen. Dafür brauche es didaktische Ansätze, die Individualität und Differenz inszenierten.
Petra Sorg hat eine umfassende und gründliche Arbeit vorgelegt, deren Lektüre ein Gewinn für alle ist, die an BBS Religionsunterricht erteilen. Erfahrungen, wie sie wohl alle Lehrkräfte mit Schüler*innen schon gemacht haben, werden hier theoretisch untermauert und empirisch belegt. Dies bietet eine gute Basis für die eigene didaktische Weiterarbeit – immer unter der Perspektive, dass die BBS eine Vorreiterrolle für eine Entwicklung einnehmen, die sich auch an anderen Schulen abzeichnet.
Michaela Veit-Engelmann