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Bild: Rainer Sturm  / pixelio.de

Bernd Vogel: „Alle Angst vor der Zukunft überwunden …“ Mit Dietrich Bonhoeffer im Gespräch, Kohlhammer, Stuttgart 2020, ISBN 978-3-17-038671-6, 162 Seiten, 19,00 €

„Alle Angst vor der Zukunft überwunden …“

Ein gutes, ein echtes Gespräch: Wann kann davon die Rede sein? Aus der Kommunikationstheorie gibt es dazu viel zu sagen. Was aber kann ein Theologe zu dieser Frage beitragen; ein hingerichteter

Widerstandskämpfer, weltweit verehrter, oft auch verklärter evangelischer Pastor: Dietrich Bonhoeffer? Und worin könnte die Bedeutung dieser Frage für die Gegenwart und die Zukunft des 21. Jahrhunderts liegen?
Bernd Vogel, als Gemeindepastor und viele Jahre auch als Schulpastor tätig, darüber hinaus Vorsitzender des Dietrich-Bonhoeffer-Vereins, beantwortet beide Fragen gleich zu Beginn der kurzen Hinführung seines Buches: „Er war ein Meister des Gesprächs. Wir leben in einer Zeit, in der die Zukunft der Menschheit gelingende Kommunikation über Wesentliches erfordert.“ (7) Aus diesem Grund möchte Vogel den*die Leser*in des 21. Jahrhunderts mit Bonhoeffer ins Gespräch bringen.

Es ist charakteristisch für Gespräche, dass die beteiligten Personen in der Regel nicht vorher wissen, wie das Gespräch verläuft und was am Ende für sie selbst dabei herauskommt. Damit ließe sich auch ein echtes Gespräch von einem inszenierten und unechten Gespräch abgrenzen. In einem echten Gespräch passiert also etwas – mit den beteiligten Personen selbst und unmittelbar: auf vielen verschiedenen Ebenen, nicht nur auf der reinen Sachebene des gesprochenen Inhaltes, sondern ganz entscheidend auch auf der subjektiven Beziehungsebene. Das wissen wir spätestens seit Friedemann Schulz von Thuns „Miteinander reden“. Insofern ist jedes echte Gespräch immer zugleich ein Abenteuer. In diesem Sinne ist dann wohl auch der letzte Satz der knappen Hinführung zu verstehen: „Und damit geht das Abenteuer los.“ (7)

Das Abenteuer startet für mich als Leserin in der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek in Berlin mit einem kleinen Stück vergilbtem Papier: einem Notizzettel Bonhoeffers aus dem Juli 1944. Über diese kleine handschriftliche Notiz versucht Bernd Vogel die Person Bonhoeffers für mich lebendig werden zu lassen. Denn ein echtes Gespräch ereignet sich zwischen echten Personen: also zwischen mir, der evangelischen Theologin während einer Pandemie im freiheitlich-demokratischen Deutschland Anfang des 21. Jahrhunderts, und ihm, dem evangelischen Theologen während des Zweiten Weltkrieges im nationalsozialistischen Deutschland. So werde ich als Leserin zu den zentralen Gedanken Bonhoeffers geführt, die sich in seinem letzten Lebensjahr, in dem er täglich mit existenziellen Grenzerfahrungen konfrontiert war, auf einige immer wiederkehrende Begriffe verdichteten: Wahrheit, Bibel und Hermeneutik, Gewissen, Glauben, Leben in Christus, Toleranz.

Nachdem ich so zunächst in Bonhoeffers Gedanken- und Gefühlswelt mit hineingenommen worden bin und mir bereits nach den ersten Seiten zahlreiche Fragen auf der Zunge brennen, werde ich vom Autor zur zweiten Station des Gesprächs geführt. Aha, hier wird das Versprechen der Hinführung eingelöst, aktuelle Tagesbezüge herstellen zu wollen zur Zeit und Wirklichkeit, in der ich lebe: zum 21. Jahrhundert, mittendrin in einer Pandemie, Klimakrise, Krise der westlichen Demokratien. Die Erwartungshaltung steigt: Vielleicht erhalte ich in diesem imaginierten Gespräch tatsächlich einen neuen Zugang zu Bonhoeffer und darüber mögliche Antworten auch auf zwei meiner zentralen Fragen: Welche Relevanz hat der christliche Glaube heute noch in unserer Welt für die Fragen und Probleme unserer Zeit? Wie lässt sich diese Relevanz in den religionspädagogischen Handlungsfeldern vermitteln? Doch das Gespräch mündet erst einmal in einer weitgehend pauschalen Reihung einiger exemplarischer Problemfelder wie „Chauvinismus und Sexismus mächtiger Männer“ und „zwielichtige(n) Aspekte von moderner Humanmedizin“ (20). Schade, das Gespräch nahm gerade an Fahrt auf. Aber, ich verstehe, dass Bernd Vogel noch nicht konkreter wird, sondern erst einmal einen biografischen Umweg gehen möchte, um vertiefend zu erläutern, warum die Worte und Texte Bonhoeffers auch heute noch zum Gespräch reizen. Er versucht, mir dies mit persönlichen Kindheitserfahrungen Bonhoeffers näherzubringen. Ich führe das Gespräch ja mit einer Person, die für mich möglichst lebendig und anschaulich werden soll. Aber kaum bin ich mit in Bonhoeffers Kindheit hineingenommen, werde ich auch schon zur evangelischen Kirche nach 1945 und Bonhoeffers Ideen für eine Nachkriegskirche geführt. Moment, da komme ich nicht richtig mit. Ich kann zwar nicht nachfragen, aber ich kann einfach noch mal eine Seite zurückspringen, um den gedanklichen Faden wieder aufnehmen zu können. Das gelingt mir dann auch, wenn allerdings mit etwas Mühe. Am Ende dieser zweiten Station steht schließlich die Frage: Wem gehört Bonhoeffer? Und: Wer war dieser Mensch? Erneut ist mir der gedankliche Faden verloren gegangen, stelle ich fest. Doch passiert das nicht häufig auch in echten Gesprächen? Dass die Gesprächspartner*innen auf einmal fragend feststellen: Wo waren wir noch mal?

Ich versuche also, weiter im Gespräch zu bleiben und lasse mich zur dritten Gesprächsstation führen; im Hinterkopf die Frage: Wer war dieser Mensch? Eine wichtige Frage für mein Gespräch mit Bonhoeffer, finde ich.

Der leidenschaftliche Ausruf der 17-jährigen Schülerin: „Ich liebe Bonhoeffer“, mit dem das dritte Kapitel beginnt, weckt in mir die Erinnerung an meine eigene Schulzeit. Mir ging es als Schülerin nämlich ähnlich. Ja, Bonhoeffers Leidenschaft, seine Authentizität wirken durch seine Texte hindurch auch auf heutige junge Leser*innen. Seine Begeisterung und sein Bemühen um Echtheit sind ansteckend und inspirierend, immer wieder aufs Neue. Das macht Bernd Vogel zu Beginn des dritten Kapitels sehr deutlich, um dann nochmals zu betonen, wie wichtig die Person Bonhoeffer selbst sei, um den Charakter seines Lebenswerkes verstehen zu können: Er habe kein „theologisches System im Sinne einmal gefundener Koordinaten und Begriffe“ entwerfen wollen. Er sei ein „in der Begegnung ‚konkret Denkender‘“ gewesen. Ich erinnere mich, dass genau das es war, was auch mich schon als Schülerin so begeistert hatte. Ich bin wieder drin im Gespräch, merke ich. Aber – waren wir nicht eigentlich woanders im Gespräch? Es ging um den Menschen Bonhoeffer, um seine Person. Passt also doch, naja, irgendwie. Weiter geht es schließlich mit den Erzählungen über Bonhoeffer nach seinem Tod, in denen er zu einem Heiligen wurde.

Im Folgenden werde ich von Bernd Vogel über vier weitere Stationen bzw. Kapitel durch das Gespräch mit Bonhoeffer geführt. Es geht mir dabei durchgehend wie schon an den ersten drei Gesprächsstationen: Mal bin ich mit meiner ganzen Person mittendrin im Gespräch, fühle mich erinnert, verstanden, inspiriert, begeistert. Im nächsten Moment aber habe ich wieder den Gesprächsfaden verloren: Wo waren wir noch mal? Also gehe ich ein, zwei Seiten zurück, um den Faden wiederzufinden. Irgendwann merke ich, dass es ein anstrengendes Gespräch ist; eben weil ich immer wieder den Faden verliere, aber auch weil immer mehr Fragen in mir brennen und meine Ungeduld wächst: Was konkret hat Bonhoeffer denn nun zu den Fragen unserer, meiner Wirklichkeit im 21. Jahrhundert zu sagen? Vieles verwirrt mich. Gerade weil er ein in der Situation „konkret Denkender“ war, aber kein Systematiker, kann er zwar durch und durch als echter Mensch begegnen, mit all seinen Widersprüchlichkeiten und Geheimnissen, dabei aber nur wenig beitragen, sich heutigen (!) Fragen aus christlicher Perspektive zu nähern. Denn gerade weil er in seiner (!) konkreten existenziellen Situation, in seiner Zeit und Wirklichkeit jeweils konkret gedacht hat, lassen sich viele seiner Gedanken nicht ohne Weiteres auf meine Situation(en) in der Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts übertragen. Das ist mir jetzt in diesem von Bernd Vogel initiierten Gespräch mit Dietrich Bonhoeffer erstmals deutlich geworden, obwohl mit dem Buch sicher Anderes beabsichtigt war.

Bernd Vogel hat mir mit seinem Buch die Möglichkeit eröffnet, 76 Jahre nach Bonhoeffers Tod mit diesem besonderen Menschen ins Gespräch zu kommen. An einigen Stellen ist ihm das wirklich gut gelungen, an anderen Stellen wieder nicht. Doch auch, wenn es ein anstrengendes Gespräch war, an dessen Ende ich mehr neue Fragen als Antworten habe, werde ich das Buch sicher in nächster Zeit wieder in die Hand nehmen und hier oder da erneut quer ins Gespräch einsteigen. Es kann nämlich sein, dass sich dann in (m)einer ganz konkreten Situation etwas ganz Neues in meinem Gespräch mit Bonhoeffer ereignet.

Kurzum: Das Buch von Bernd Vogel kann ich Religionspädagog*innen, Religionslehrer*innen und Theolog*innen ebenso wie theologisch Interessierten empfehlen, die offen sind für ein echtes Gespräch mit Dietrich Bonhoeffer, in dem sich Neues und Unerwartetes ereignen kann. Die dabei aber auch zu einem teilweise zähen und anstrengenden Gesprächsverlauf bereit sind, der am Ende möglicherweise mehr neue Fragen hinterlässt als Lösungsansätze.

Christina Harder