Hannover und der Kirchentag – eine Liebesgeschichte
Kirchentage gehören zu den Höhepunkten im Leben einer Landeskirche und im Leben einer Stadt. Sie befruchten die interne Zusammenarbeit der gastgebenden Landeskirche ebenso wie die Kooperation mit gesellschaftlichen Partner*innen. Sie üben ein in Gastfreundschaft und befördern ehrenamtliches Engagement. Sie bilden Vertrauen und Gemeinschaft, machen Stimmung und verbreiten gute Laune. Sie verströmen Zuversicht angesichts der Herausforderungen, mit denen wir global zu kämpfen haben. Sie stellen ein umfassendes Bildungsangebot dar und gehören für die Teilnehmenden zu den wichtigsten Orten informellen Lernens – auch religionspädagogisch.
Der Kirchentag kommt zum fünften Mal nach Hannover. 1949 wurde der Kirchentag in Hannover durch Gustav Heinemann proklamiert. Landesbischof Hanns Lilje ermöglichte diese Zusammenkunft. Reinold von Thadden-Trieglaff, der den Kirchentag gegen viele Widerstände in der EKD durchsetzte, war sein erster Präsident. Die Losung lautete: „Kirche in Bewegung“. Sie brachte das zur Geltung, was Thadden-Trieglaff von Beginn an mit dem Kirchentag beabsichtigte: Kirchenreform einer evangelischen Amtskirche, die ihre erst 1918 endende staatskirchliche Vergangenheit noch mächtig in den Knochen hat, allzu oft das Potenzial ihrer Laien unberücksichtigt lässt und dadurch die Kommunikation des Evangeliums schwächt. 1949 stand die Kirche wider Erwarten gut da als eine der wenigen Institutionen, die nicht total von den Nationalsozialisten vereinnahmt worden bzw. durchseucht war. In gewisser Weise war dies ein Wachsen gegen den Trend, denn schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte die evangelische Kirche mit deutlichem gesellschaftlichem Bedeutungsverlust und innerkirchlichem Partizipationsschwund zu tun, was sich durch die Kriegs- und Leiderfahrung der NS-Zeit kurzfristig wieder änderte, bevor diese Entwicklung dann ab Mitte der 1960er-Jahre z.T. rasant wieder zunahm.
1967 kam der Kirchentag erneut nach Hannover. Lilje war immer noch Landesbischof. Die Nachkriegszeit war Geschichte. Deutschland hatte sich mit dem Ende der Adenauer-Ära gewandelt. Die Popkultur machte auch vor den Toren der Kirchen nicht halt. Der Kalte Krieg mit Mauerbau, Kubakrise und Vietnamkrieg bestimmte das Weltgeschehen. Keine zwei Wochen vor dem Kirchentag hatte der Sechstagekrieg zwischen Israel und seinen Nachbarn stattgefunden. Angesichts drohender Kriegsgefahr lautete die Losung: „Der Frieden ist unter uns“ – Voraus-Setzung und starke Ansage zugleich. Aus der gesamtdeutschen Gemeinschaftserfahrung hatte sich der Kirchentag zu einem Forum des Protestantismus gewandelt, auf dem diskutiert und gestritten wurde. Nicht mehr die Kundgebung, sondern das Gespräch bestimmte die Kirchentagsatmosphäre. Knapp 15.000 Dauerteilnehmende und 40.000 Teilnehmende bei der Schlussversammlung zeigten, dass auch ein kleiner werdender Kirchentag gebraucht wird und Wirkung entfalten kann.
Das Thema Frieden war auch 1983 beim Hannoverschen Kirchentag allgegenwärtig. Mit seiner Losung „Umkehr zum Leben“ bewegt er über 100.000 Dauerteilnehmende. Erhard Eppler ist Kirchentagspräsident, Eduard Lohse Landesbischof. Der Kirchentag wird zu einem Forum der Friedensbewegung. Die Popkulturalisierung der Kirche ist mittlerweile weit vorangeschritten, unüberhörbar z.B. an einem neuen flächendeckenden Musikstil, dem sog. Sacropop. Erstmals wird im Stadion ein Schlussgottesdienst mit Abendmahl gefeiert, was popkulturell wie liturgisch höchst bedeutsam ist. Die Abendmahlsfrömmigkeit hat sich gewandelt vom individualisierenden Sündenvergebungsritual zu einer Gemeinschaft feiernden Ermutigung zur Weltgestaltung. Umkehr zum Leben wird gemeinschaftlich und strukturell verstanden, was das Individuelle inkludiert. Der Kirchentag ist zum Forum derjenigen geworden, die sich als fromm und politisch verstehen und dies auch feiern wollen. Die meisten Kirchentagsteilnehmenden fühlen sich in ihren Gemeinden oft in der Minderheit. Fast zwei Drittel der Teilnehmenden sind jünger als 25 Jahre. Diese Klientel, jugendlich, fromm und politisch, dem Event zugeneigt und in der Heimatgemeinde oft in der Minorität, kann der Kirchentag nachhaltig fast 40 Jahre lang ansprechen, so dass er bis 2017 100.000 Dauerteilnehmende erreicht.
Diese Kirchentagsgemeinde, die die ungeheure Transformation des deutschen landeskirchlichen Protestantismus im 20. Jahrhundert von einer Politik ergebenen zu einer Gesellschaft aktiv gestaltenden Kirche verkörpert, gewinnt in Hannover eines ihrer zentralen Kennzeichen: das lila Tuch. Es verbindet das Thema Umkehr/Buße (Kirchenfarbe lila) mit den Anliegen der Friedensbewegung und auch 1983 schon mit der ökologischen Bewegung. Aufgrund seiner politischen Symbolkraft wurde darum gebeten, das lila Tuch auf dem Schlussgottesdienst nicht zu zeigen. Das Gegenteil geschah. Der Schlussgottesdienst versank in einem lila Meer, friedlich, fröhlich, zuversichtlich. 1983 war zugleich Lutherjahr mit dessen 500. Geburtstag. In der DDR gab es deshalb sieben Kirchentage, die mit ihrer Losung „Vertrauen wagen“ den Boden mitbereiteten für das, was dann 1989 geschah. In Wittenberg gab es die ikonische Schmiede-Aktion „Schwerter zu Pflugscharen“. Hüben wie drüben befand sich der Kirchentag auf einem Höhepunkt gesellschaftlicher Zeitansage und Wirkung.
2005 ist der in Hannover geborene Mediziner Eckhard Nagel Präsident und Margot Käßmann Landesbischöfin. Der Kirchentag hat erstmals eine Losung, die weder eine Aufforderung noch einen Aussagesatz enthält: „Wenn dein Kind dich morgen fragt…“ Die Welt nach der Wiedervereinigung ist in jeglicher Hinsicht komplexer geworden. Hier helfen keine An‑, Zu- oder Abweisungen mehr, sondern hier ist Bildung gefragt. Der Kirchentag leistet seinen gesellschaftlichen Beitrag zur Wahrnehmung der globalen Zukunftsherausforderungen, möglichst klug und möglichst so, dass alle mitgenommen werden. Es gibt Themenhallen, die interdisziplinär angelegt sind und damit die Komplexität der Probleme abzubilden versuchen, z.B. Kunst – Bildung – Wissenschaft.
Dieses globale, im wahrsten Sinne des Wortes ökumenische, weltumspannende Projekt hat in den letzten 20 Jahren aus verschiedensten Richtungen enormen Gegenwind erhalten und hat mit herben Rückschlägen zu kämpfen. Der Kirchentag 2025 sieht sich in der Pflicht, weiterhin Menschen auf diesem Weg zu ermutigen, die globalen Herausforderungen zuversichtlich anzugehen und sich ihnen nicht willenlos, gekränkt oder wirklichkeitsverweigernd einfach nur auszuliefern. Wer, wenn nicht Christ*innen, kann in dieser apokalyptisch anmutenden Situation Mut machen? Das Christentum ist ja selber in einer solch apokalyptisch wahrgenommenen Weltsituation entstanden und richtet sich an alle Welt. Der Kirchentag lädt daher alle Menschen ein, die mutig, stark und beherzt diese Situation angehen und Mut, Stärke und Beherztheit erleben und tanken wollen.
Das biblische Rückgrat des Hannoverschen Kirchentags – Mutmachgeschichten
Für diesen Event Kirchentag gibt es Rituale. Eines davon ist die biblische Losung mit den dazu gehörenden Bibeltexten, die während eines Kirchentages in Gottesdiensten, Bibelarbeiten und Gebeten bedacht, begangen, gefeiert und ausgelegt werden – so wie man Teppiche auslegt. Die Bibel erscheint hier als Auslegeware, die man betreten darf und die einen wohnlichen und zugleich gastfreundlichen Raum eröffnet. So vermag das Ensemble biblischer Texte Kraft zu spenden, so dass Menschen frohgemut ins Freie gehen und dort bestehen können. Bei den Teilnehmenden wirken diese Bibeltexte und ihre Auslegungen meist nachhaltig. Daher macht es Sinn, dieses biblische Rückgrat eines Kirchentages in seiner Power im Vorfeld einmal versammelt wahrzunehmen. Dazu ist es aus religionspädagogischer Sicht elementar wichtig, die entsprechenden Bibelstellen1 laut zu lesen oder sich vorlesen zu lassen und sie nicht nur im Stillen an sich vorbeihuschen zu lassen. Denn die meisten Bibeltexte sind zuallererst zum lauten Vorlesen geschrieben worden, nicht für das stille Kämmerlein.
„Mutig – stark – beherzt“. So lautet die biblische Losung 2025 aus dem Grußteil des 1. Korintherbriefes: „Seid wachsam, seid fest in eurem Vertrauen, verhaltet euch mutig, seid stark. Alles, was ihr tut, tut mit Liebe.“ (1. Kor 16,13-14) Drei Adverbien, drei Worte, die als Tuworte zu verstehen sind, nicht nur als Beschreibungen, als Adjektive. Mutig, stark und beherzt handeln und sein braucht eine Basis: Wachsamkeit und Vertrauensbildung. Zu beidem lädt der Kirchentag ein und hofft, dass die Teilnehmenden dort Mut schöpfen, Stärke fühlen und Beherztheit erleben. Das Herz ist auch im biblischen Denken das Organ der Liebe, aber das Herz ist hier weniger ein Organ des Fühlens als vielmehr das Organ des Denkens, der Haltung, des Charakters, des Mitgefühls. Deshalb bezeichnet die Liebe, von der der 1. Korintherbrief in den höchsten Tönen schwärmt (mit seinem Hohelied der Liebe 1. Kor 13), nicht nur ein Gefühl, sondern vor allem Erkenntnis, Verstand, Wohl-Tat, Tat-Sache. Das alles schwingt mit in den drei Adverbien am Ende dieses Paulusbriefes, der einen Konflikt nach dem andern behandelt: mutig – stark – beherzt. Als Aufforderung zur Tat bedarf dieser Dreiklang unserer Ergänzung.
Der Schlussgottesdienst mit Röm 8,31-39 ist geprägt durch die Frage, die zugleich friedliche Kampfansage ist: „Ist Gott für uns, wer kann gegen uns sein?“ (V. 31). In seinem großen Kapitel über den Geist Gottes, welches auch das Seufzen der Schöpfung (V. 22) anklingen lässt, kommt Paulus zu einem Schluss, der mir bis heute Tränen des Glücks, der Zuversicht und der Dankbarkeit in die Augen treibt: „Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.“ (V. 38-39). Welch eine Ent-Scheidung! Welch eine Klugheit, die eben all dies Unberechenbare und Unwägbare des Kosmos ebenso wie der Menschen mit im Blick hat! Hier geht es nicht nur um Prognosen, Wahrscheinlichkeitsrechnungen und menschliche Erkenntnisse, die wir natürlich dringend benötigen – und zwar so wirklichkeitsnah wie möglich! Sondern hier geht es auch um Verheißungen, Machtgelüste und Abgründe, die Paulus als Engel, Mächte und Gewalten bezeichnet – da darf die KI durchaus mitgelesen werden! All diese uns fundamental und existenziell bewegenden Kreaturen rückt Paulus evangelisch an ihren Ort: Sie können uns nicht scheiden von der Liebe Gottes. Wer dessen gewiss ist, kann die Probleme angehen, die vor der Tür und auf der Hand liegen – mutig, stark, beherzt, im Kleinen wie im Großen – auch und gerade dann, wenn die Lösung dieser Probleme als schier aussichtslos erscheint.
Durch den Kirchentag und unsere Zeit trägt der Kirchentagspsalm 27. Er eröffnet Räume des Vertrauens und Zutrauens. Da ist der Wunsch, ein Leben lang im Hause Gottes bleiben zu können und die schönen Gottesdienste zu schauen (V. 4). Aber dieser Wunsch ist nicht weltfremd, denn es sind zugleich die Feinde im Blick, die Angst einjagen. Daher hält die Beterin Gott sein Wort vor, dass er sein Antlitz nicht verberge. Sie bekennt: „Mein Vater und meine Mutter verlassen mich, aber Gott nimmt mich auf.“ (V. 10) So mündet der Mut machende Psalm in den Aufruf: „Hoffe auf die Ewige, sei stark, fasse dir ein Herz! Hoffe auf die Ewige!“ (V. 14).
Der erste Arbeitstag des Kirchentags 2025 ist der Tag der Arbeit. Das wird in der Programmgestaltung besonders berücksichtigt werden. Der Ökumenische Gottesdienst am 1. Mai wird Röm 12,1-9 zur Grundlage haben. Am Ende seines Römerbriefs verknüpft Paulus Gottesdienst und Ethik, wird er fromm und politisch. „Vernünftiger Gottesdienst“ (V. 1) findet im Alltag der Welt statt. Luther hat von hier aus den Beruf der Menschen als Berufung verstanden. Nicht nur die Geistlichen sind berufen, sondern alle Menschen in ihren Berufen. Dort findet ihr Gottesdienst statt – als Gottes Dienst an der Welt und als der Menschen Dienst an Gott. Deshalb lobt auch Paulus die verschiedenen Gaben der Menschen als Vielfalt, die den gesamten Leib Gottes ausmachen. Dem Leib Gottes geht es dann gut, wenn alle in ihrer Unterschiedlichkeit zum Zuge kommen können und die Gaben auch als Aufgaben wahrgenommen werden. Paulus denkt hier Inklusion als vernünftigen Gottesdienst. Dabei weiß er: Wo Liebe ist, da ist auch Hass. Daher sein bedenkenswertes Plädoyer: „Die Liebe sei ohne Falsch. Hasst das Böse, hängt dem Guten an.“ (V. 9).
Die Bibelarbeiten deklinieren den Dreiklang „mutig – stark – beherzt“ mit folgenden Texten: Am Donnerstag wird Mk 7,24-30 ausgelegt, die mutige Syrophönizierin, die Jesus dazu veranlasst, seine Grenzen zu öffnen. Das Ganze spielt in der Nähe von Tyros, ein Ort, der wieder in aller Munde ist. Eine nichtjüdische Griechin dringt zu Jesus durch, der eigentlich seine Ruhe haben und mal auftanken will. Sie erbittet Heilung für ihre Tochter. Jesus macht sie darauf aufmerksam, dass es nicht gut ist, wenn er seine Grenzen überschreitet und sich um Menschen kümmert, zu denen er nicht gesandt ist, bevor er nicht die eigenen Leute versorgt hat. Und so weist er die Bitte schroff ab: „Es ist nicht recht, dass man den Kindern das Brot nehme und werfe es vor die Hunde.“ (V. 27). Doch die Frau bleibt stark und macht aus den abfälligen Hunden Schoßhündchen, zu denen Menschen seit jeher herzliche Beziehungen unterhalten: „Herr, aber doch essen die Schoßhündchen unter dem Tisch von den Brosamen der Kinder.“ (V. 28). Aufgrund dieser beherzten Antwort kann Jesus die Heilung der Tochter feststellen. Eine Geschichte voller Wunder, die zugleich das Wunder offenlässt und dazu ermutigt, Grenzen offen zu halten und so wundersame Begegnungen zu ermöglichen, die zu heilen imstande sind.
Am Freitag wird Jeremias Brief an die Exilierten in Babylon (Jer 29,1-14) ausgelegt. Seine Überschrift könnte lauten: „Mut zur Zukunft“. Nach der Eroberung Jerusalems und der Zerstörung des Tempels 587 v. Chr. hatten die Babylonier die Oberschicht ins Exil nach Babel gebracht. Diesen Exilierten schreibt Jeremia einen Brief, der es in sich hat. Denn er ermutigt sie im Namen Gottes, dort in Babel ein normales Leben zu beginnen, sich mit der Umgebung zu arrangieren, ja mehr noch, für die Stadt und ihre Bewohner zu beten: „Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum HERRN; denn wenn’s ihr wohl geht, so geht’s euch auch wohl.“ (V. 7). Derselbe Prophet, der vor der Eroberung Jerusalems nichts als Unheil für Israel prophezeite, fordert nun auf, das Exil als einen Zufluchtsort zu betrachten, den es zu gestalten gilt, und nicht nur als einen Fluchtort, den man irgendwie überdauern bzw. überleben muss. Das ist mutig angesichts der Mutlosigkeit der Exilierten. Das ist eine starke Perspektive auf das Leben, egal wie herausfordernd oder erdrückend die Fremde erlebt wird. Und das ist beherzt, weil es nicht zulässt, aus dem eigenen Herzen eine Mördergrube zu machen. Jeremia prophezeit, dass das Exil 70 Jahre dauern und Gott sein Volk danach wieder zurückbringen wird. Etwa fünf Generationen werden dort wohnen und ein neues Leben begonnen haben, bevor es wieder zurückgeht. Das wirft eine berechtigte Frage auf, die Jeremia nicht stellt: Wo wird dann in 70 Jahren das Zuhause der Exilierten sein? Dennoch macht die Gewissheit einer Rückkehr Sinn, auch wenn sie so lange auf sich warten lassen wird, dass niemand der jetzt Exilierten dies erleben wird. Denn mit dieser Gewissheit im Rücken kann Jeremia Gottes Anspruch deutlich machen: „Ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der HERR: Gedanken des Friedens und nicht des Leids, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.“ (V. 11). Übrigens: Jeremias Prophezeiung hat sich nicht erfüllt. Denn die Rückkehr der Exilierten geschah schon nach knapp 50 Jahren, also zwei Generationen früher. Und wie zu erwarten war, sind nicht alle wieder zurückgekehrt, so dass sich in Mesopotamien eine große jüdische Gemeinde bildete, die theologisch sehr aktiv war und das Judentum stark geprägt hat.
Der Kirchentag 2025 beginnt sehr früh – eineinhalb Wochen nach Ostern. Daher wird am Samstag die matthäische Ostergeschichte als Mut zum Aufbruch statt Verzweiflung ausgelegt (Mt 28,1-10). Die Frauen am Grab, die nach antiken Maßstäben juristisch nichts bezeugen konnten, werden zu den ersten Zeuginnen des Auferstandenen. Die Auferstehung selber wird nicht geschildert, sondern nur deren apokalyptische Randerscheinungen: Erdbeben, Engel, Blitze, Wächter, die wie tot umfallen. Diesem furchteinflößenden Szenario tritt ein Engel, auf dem weggerollten Grabstein sitzend, entgegen und fordert die beiden Frauen auf, sich ins Grab zu begeben, um dessen Leere wahrnehmen zu können. Dabei liegt in seinen Worten das ganze Evangelium als Osterbotschaft begründet: „Fürchtet euch nicht!“ (V. 5). Alles, was danach kommt, hat seinen Grund und Anfang in dieser zugesprochenen Furchtlosigkeit. Natürlich bleibt den Frauen das noch in den Knochen hängen, als sie „mit Furcht und großer Freude“ (V. 8) vom Grab weg eilen, den Jüngern entgegen. Doch unterwegs stellt sich ihnen der Auferstandene in den Weg mit den Worten: „Seid gegrüßt“ (V. 9), „Chairete!“ Dieser Gruß lässt im Griechischen die Freude anklingen (vgl. dasselbe Wort in Phil 4,4), die so bei den Frauen verstärkt wird, dass sie seine Füße ergreifen und ihm huldigen. Erneut spricht Jesus sie mit der Osterbortschaft an: „Fürchtet euch nicht!“ (V. 10). Und er macht sie zu Zeuginnen, die den Jüngern sagen, dass sie nach Galiläa gehen sollen, um dort den Auferstanden zu sehen. Damit beginnt die Sache Jesu dort, wo sie auch schon begonnen hatte, an den Rändern, im Alltag der Welt. Dort wird Jesus seinen Jünger*innen auf einem Berg begegnen und sie zur Mission in aller Welt befähigen und beauftragen (V. 16-20). Religionspädagogisch ist dabei hervorzuheben, dass Lehren und Lernen in diesem Missionsauftrag die entscheidende Rolle spielen, der allerdings nachhaltig nur wahrgenommen werden kann aufgrund der Osterbotschaft: Fürchtet euch nicht! Dass dies eine Kritik an lange vorherrschenden Missionsmethoden der Kirchen beinhaltet, wird auf dem Kirchentag eine Rolle spielen, wenn die Missbrauchsgeschichte(n) der Kirche zur Sprache kommen.
Mutig – stark – beherzt: Das will und muss auch gefeiert werden. Deswegen liegt dem Feierabendmahl mit Spr 15,13-17 ein Bibelabschnitt zugrunde, der die Osterbotschaft weisheitlich und menschlich umschreibt: „Ein guter Mut ist ein tägliches Fest.“ (V. 15). Die Bibel in gerechter Sprache übersetzt hier Luthers Gutmütigkeit durchgehend mit „Herz“ und macht so die Zusammengehörigkeit der drei Kirchentagsadverbien noch einmal deutlich – bis hin zum gläsernen Restaurant.
Herzlich willkommen zum Kirchentag Hannover 2025!
Anmerkungen
- Zitate aus: Bibel in gerechter Sprache, https://www.bibel-in-gerechter-sprache.de/die-bibel/bigs-online (23.10.2024) © 2006, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, in der Verlagsgruppe Random House GmbH.