Ein (un)vollkommenes Krippenspiel

von Anne Köster

Wenn die Weihnachtsferien in einer kleinen Gemeinde im Nordwesten von Niedersachsen beginnen und der Schulstress einer vorweihnachtlichen Aufregung weicht, beginnen für die Konfirmand*innen dieser Gemeinde die alljährlichen Krippenspielproben für den Heiligabendgottesdienst. Statt also nach den Herbstferien wöchentliche Proben für die Aufführung anzusetzen, hat sich in dieser Gemeinde ein Probenzeitraum von insgesamt vier aufeinanderfolgenden Tagen etabliert, an denen jeweils circa drei Stunden geprobt wird. Doch wie kann innerhalb von vier Tagen ein gesamtes Krippenspiel auf die Beine gestellt werden?

Hierfür ist im Vorfeld die Auswahl des Stückes1 bedeutsam, die von der Leitung der Krippenspielproben bereits einige Wochen vor Probenbeginn vorgenommen werden sollte. Bei der Wahl des Stückes sollte darauf geachtet werden, dass es eine Erzähler*innenrolle gibt, deren Text folglich nicht auswendig gelernt, sondern vorgelesen werden kann. Im besten Fall ist diese Rolle relativ groß, sodass sie durch das Stück führen kann und Orientierung für die anderen Spielenden ermöglicht. Wenn die Erzähler*innenrolle groß ist, kann diese auch zwischen mehreren Jugendlichen aufgeteilt werden. Zudem kann die Leitung bei frühzeitiger Stückauswahl gegebenenfalls das Stück um eine Erzähler*innenrolle erweitern oder diese vergrößern, wenn die Rolle bereits vorhanden ist. Grundsätzlich gilt, dass mit der Textgrundlage flexibel gearbeitet werden sollte. Diese Flexibilität sollte auch an die Konfirmand*innen weitergegeben werden. Demnach reicht es aus, wenn sie während der Probenzeit Sicherheit darüber gewinnen, was in den einzelnen Szenen passiert und die Anfangs- und Abschlusssätze der einzelnen Szenen von den Spielenden beherrscht werden. Dadurch kann im Notfall die Passage zwischen diesen Sätzen improvisiert werden und die Angst vor einem Texthänger an Heiligabend kann minimiert werden. Damit die Jugendlichen diesen Mut zum Improvisieren entwickeln, ist der Aufbau der einzelnen Proben bedeutsam.

Folglich sollten während der ersten Probe neben dem Kennenlernen der Gruppe theaterpädagogische Übungen im Fokus stehen, die die Spielfreude und Improvisation der Gruppe unterstützen. Hierzu eignet sich eine Übung zum Namenlernen, bei der die Gruppe im Kreis steht, eine Person ihren Namen nennt und diesen mit einer Bewegung unterstützt, die ein Hobby bzw. Interessensgebiet der Person darstellt. Sobald die Person ihren Namen genannt und die Bewegung ausgeführt hat, wiederholt die gesamte Gruppe gemeinsam den Namen und die Bewegung. Danach ist die nächste Person dran. Der Ablauf wird so oft praktiziert, bis reihum alle Konfirmand*innen ihren Namen genannt und eine Bewegung gezeigt haben. Durch diese Übung erfährt die Leitung alle Namen der Jugendlichen, was zentral ist, wenn sie bei den Proben zum ersten Mal in Kontakt mit der Gruppe kommt, die durch die Übung einen niederschwelligen Zugang zum Improvisieren und Theaterspielen erhalten.

Danach sollte eine Übung durchgeführt werden, die das Gruppengefühl stärkt und somit den Gedanken intensiviert, dass die Jugendlichen gemeinsam ein Krippenspiel proben, bei dem die gegenseitige Unterstützung insbesondere für die Aufführung bedeutsam ist. Als Übung eignet sich hierfür die Welle. Bei der Welle steht die Gruppe im Kreis. Eine Person klatscht mit beiden Händen der Person ein, die in linker Richtung an übernächster Stelle im Kreis steht. Die Person, die zwischen den Abklatschenden steht, begibt sich in die Hocke. Nachdem sich die Außenstehenden eingeklatscht haben, stellt sich die Person in der Mitte wieder hin. Danach klatscht diese Person die aus ihrer Perspektive übernächste Person ab und der Ablauf wiederholt sich, bis die Welle einmal durch den Kreis gerollt ist. Dann können immer wieder neue Wellen gestartet werden, denn das Ziel des Spieles ist es, die Geschwindigkeit des Abklatschens stetig zu erhöhen.

Eine weitere Übung, die die Spielfreude der Gruppe stärkt, ist Ha, So, Ka. Bei dieser Übung stehen die Konfirmand*innen weiterhin im Kreis. Eine Person zeigt mit ausgestreckten Armen auf eine andere Person im Kreis und unterstützt diese Geste durch ein „Ha“. Die Person, die angespielt wurde, hebt anschließend ihre beiden Arme nach oben und sagt: „So.“ Danach bewegen die Spieler*innen, die neben dieser Person stehen, ihre Arme diagonal nach unten zur Person, die zwischen ihnen steht, und sagen: „Ka.“ Die mittlere Person beginnt anschließend wieder mit der „Ha“-Bewegung, spielt eine neue Person an und der Ablauf wiederholt sich.

Nachdem diese Übungen zu Beginn der ersten Probe durchgeführt worden sind, stellt die Leitung den groben Aufbau des Stücks und die einzelnen Rollen vor. Diese sollten aufgrund der geringen Probenzeit direkt bei der ersten Probe eingeteilt werden, wodurch bei der Probe bereits die ersten Szenen eingeübt werden können. Zusätzlich sollte bei der ersten Probe abgeklärt werden, ob die Konfirmand*innen mögliche Kostüme für ihre Rollen zu Hause haben. Sollte dies zu Schwierigkeiten führen, haben viele Gemeinden einen Kostümfundus, an dem sich bedient werden kann. Sollten sich dort keine Kostüme finden, bietet es sich an, alle Spielenden zu bitten, schwarze Kleidung bei der Aufführung zu tragen. Diese bietet einen neutralen Untergrund, der den Fokus auf das Spiel der Jugendlichen unterstützt. Erfahrungsgemäß kommt es jedoch selten zu Kostümschwierigkeiten, da die Konfirmand*innen aufgrund ihrer angebrochenen Ferienzeit die zeitlichen Kapazitäten und Lust haben, um Initiative und Eigenaktivität hinsichtlich der Mitgestaltung zu zeigen. Während der Schulzeit mit dem adventlichen Klassenarbeitsstress ist dies für die Jugendlichen oftmals schwieriger zu realisieren.

Am Ende der ersten Probe bietet es sich an, einen gemeinsamen Abschluss zu gestalten, der ritualisiert bei allen Proben durchgeführt werden sollte. Hierfür eignet sich die Übung Hooligan. Für die Übung stellen sich die Konfirmand*innen in einen Kreis. Gemeinsam heben sie die rechte Faust in die Luft und zählen laut von eins bis acht. Bei jeder Nennung einer Zahl bewegt sich die Faust mit. Dann senken die Spieler*innen die Faust wieder. Anschließend wird die linke Faust nach oben ausgestreckt und im Rhythmus des Zählens bewegt. Danach wird das rechte Bein angehoben und kickt bei der Nennung jeder Zahl nach vorne. Das rechte Bein wird wieder auf den Boden gestellt, und dann wird das linke Bein acht Mal nach vorne gekickt, während gleichzeitig bis acht gezählt wird. Der Ablauf wird anschließend mit einem Zählen bis zur vier, drei, zwei und eins wiederholt. Die Übung endet mit einem lauten Schrei aller Spieler*innen, bei dem sie ihre Hände in die Mitte des Kreises ausstrecken. Danach verabschiedet sich die Gruppe.

Bei der zweiten Probe sollten zu Beginn als Warm-up einige der bereits bekannten theaterpädagogischen Übungen durchgeführt werden und anschließend die Szenen geprobt werden, die in der ersten Probe noch nicht geübt worden sind. Eventuell können erste Szenen bereits wiederholt werden, sodass bei der dritten Probe nach dem Warm-up ein Feinschliff der Szenen durchgeführt werden kann. Danach kann in derselben Probe ein erster Durchlauf des gesamten Stücks gemacht werden. Hierbei sollte die Leitung insbesondere auf die Übergänge zwischen den Szenen achten, sodass die Szenen nicht einfach nur aneinandergereiht sind. Das Entwickeln von Übergängen kann durch einfache Tricks erfolgen und führt dazu, dass der rote Faden in einem Stück sichtbarer wird. Außerdem können sich die Zuschauer*innen durch Übergänge einfacher auf das Stück einlassen. Ein Trick zum Stellen von Übergängen bezieht den gesamten Raum ein, in dem das Krippenspiel aufgeführt wird. Meistens werden Krippenspiele in einer Kirche aufgeführt, die dazu einlädt, dass sie in ihrer Größe bespielt wird. Mögliche Szenenwechsel können demnach zum Beispiel dadurch entstehen, dass eine Szene vor dem Altar gespielt wird und die nächste Szene direkt im Anschluss auf der Kanzel startet. Auch kann der Gang zum Altar oder die Empore für Szenen verwendet werden. Diese Szenenwechsel entstehen also durch Ortswechsel und sollten dann eingesetzt werden, wenn in den aufeinanderfolgenden Szenen verschiedene Rollen auftreten, denn dann kann direkt an den letzten Satz der ersten Szene der erste Satz der zweiten Szene anknüpfen. Des Weiteren sind für die Entwicklung von Übergängen festgelegte Schlagwörter wichtig, die verdeutlichen, wann die nächste Szene beginnt, sodass die Szenenwechsel schnell erfolgen, was den Fluss des Stücks unterstützt.

Die letzte Probe sollte nach dem Warm-up für weitere Durchläufe genutzt werden und zum Austausch über Organisatorisches zum Heiligabendgottesdienst dienen, sodass sich die Jugendlichen sicher für ihre große Premiere am Heiligabend fühlen.

Für eine gelingende Aufführung am Heiligabend ist es wichtig, dass sich die Leitung an diesem Tag bereits circa eine Stunde vor Gottesdienstbeginn mit der Gruppe trifft. Hier kann sie noch mal Fragen klären und den Jugendlichen ein wenig Nervosität nehmen, indem sie zum Beispiel eine Atemübung oder eine andere Entspannungsübung anleitet. Die Leitung sollte den Jugendlichen verdeutlichen, dass sie sich keine Sorge um Texthänger machen sollte, denn sie können gegebenenfalls improvisieren. Zudem könnte die Leitung den Jugendlichen eine kleine Aufmerksamkeit geben, um sich für ihr Engagement der Jugendlichen zu bedanken. Gewöhnlich freuen sich die Jugendlichen sehr darüber und das Gruppengefühl der Spieler*innen wird noch mal gestärkt. Als mögliches Dankeschön können zum Beispiel Postkarten mit einem Premierengruß dienen, die individuell zu den Jugendlichen ausgesucht werden. Bei Bedarf könnten als Warm-up am Premierentag noch einige der bekannten theaterpädagogischen Übungen durchgeführt werden. Kurz vor Beginn des Gottesdienstes sollte dann erneut das Ritual (Hooligan) ausgeführt werden, wodurch das Gruppengefühl und die Konzentration unterstützt werden.

Auch wenn das Krippenspiel bei der Aufführung am Heiligabend eventuell nicht Wort für Wort der Stückvorlage entspricht und die Jugendlichen möglicherweise den ein oder anderen Übergang anders als in den Proben gestalten, kann darauf vertraut werden, dass die Heiligabendgemeinde viel Freude haben wird und die Konfirmand*innen in ihre Ferien mit einem Erfolgserlebnis starten. Denn am Ende zählt nicht, dass ein perfektes Krippenspiel präsentiert wird, sondern dass sich sowohl die Konfirmand*innen als auch die Gemeinde auf Weihnachten einstimmen – und dafür braucht es keine Perfektion.

Anmerkungen

  1. Stückgrundlagen finden sich unter anderem beim Gottesdienstinstitut der der Ev.-Luth. Kirche in Bayern (https://ogy.de/bazd).