Die Norwegische Kirche als ehemalige Staatskirche
Das letzte Jahrzehnt war in der Geschichte der Norwegischen Kirche ein entscheidendes und aufreibendes Jahrzehnt. 2008 wurde im Parlament der Entschluss verabschiedet, Staat und Kirche zu trennen. Und 2012 wurde das Grundgesetz dementsprechend geändert. Damit waren wichtige Schritte getan, aber es blieben Fragen nach der Organisationsstruktur. Hier steht an ganz zentraler Stelle das Ziel, die Kirche auch als Arbeitgeberin zu vereinheitlichen und zu professionalisieren; und daneben stehen viele komplizierte Einzelfragen zur Diskussion.
In den letzten Monaten hat ein Ausschuss intensiv mit diesen Fragen gearbeitet, hat seinen Vorschlag zur Stärkung der mittleren Ebene vorgelegt. Es gab harsche Kritik und engagierte Zustimmung. Doch ist nichts entschieden, der Vorschlag liegt zur Anhörung aus.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Diese Fragen bedürfen der Bearbeitung, sie müssen geregelt sein. Und doch wird Kirche für mich von einem anderen Ausgangspunkt aus zum Sehnsuchtsort: nämlich von unten, von den Menschen her.
Im Schatten der Kirche
Die Kirche Østre Aker wurde 1860 geweiht. Sie lag damals außerhalb Oslos, umgeben von ein paar Bauernhöfen und langsam aufkommender Industrie. Doch seit etwa 1950 wuchs Oslo über seine Grenzen. Es wurde heftig gebaut, das Auto galt als Ausdruck des Fortschritts. Und die Anhöhe, auf der neben der Kirche ein Friedhof gewachsen war, wird heute von zwei Autobahnen umgrenzt.
Das historische Ensemble, bestehend aus Kirche, Friedhof, Pfarrhaus, Küsterwohnung und Kirchenstall, ergänzt durch ein Gemeindehaus, das in den 1970er-Jahren gebaut wurde, ist in Norwegen bald einzigartig. Die Anbindung an den Pilgerweg zum Nidarosdom (Trondheim) ist wertvoll. Und doch: Über die Jahre fiel die Teilnahme am Gottesdienst und an den Aktivitäten der Gemeinde stetig, der Kontakt zum Lokalmilieu nahm immer mehr ab.
Gleichzeitig wurde in den letzten Jahren und in direkter Nachbarschaft ein Stadtentwicklungsprojekt angestoßen. Im Laufe der nächsten vierzig Jahre sollen etwa dreißigtausend neue Wohnungen gebaut und Tausende Arbeitsplätze geschaffen werden.
Im Herbst 2018 nahm ich Kontakt mit dem Netzwerk Pådriv (etwa: Antrieb, Anstoß) auf. Pådriv hat sich verpflichtet, eine nachhaltige Stadtentwicklung voranzubringen. Im März 2019 organisierten wir einen Workshop in der ehrwürdigen Kirche. Über vierzig Menschen unterschiedlicher Fachrichtungen, Branchen und Sektoren teilten Kompetenzen, Ideen und Engagement, um eine neue Entwicklung für Østre Aker zu initiieren.
Während einige der in der Gemeinde Aktiven auf eine Revitalisierung des Kirchengebäudes hofften, offenbarten der Workshop und die folgende Projektarbeit, in die viele Akteure eingebunden waren, dass sich das Interesse auf das Friedhofserweiterungsland, durch das der Pilgerweg führt, konzentrierte. Østre Aker, ein christlich konnotierter Ort, sollte weltanschaulich offen sein. Das Religiöse wurde ins Spiel gebracht, zur Aneignung, Refusion und Revision. Die Idee war, einen Garten anzulegen.
Im Frühjahr war es soweit. Die Friedhofsbehörde kam mit einem Bagger und half, Platz zu schaffen, Bodenproben wurden von der Norwegian University of Life Sciences initiiert. Das Bistum Oslo finanzierte in Kooperation mit Pådriv die Projektleitung, eine engagierte Masterstudentin. Etwa 60 Jugendliche sind durch eine Kooperation mit zwei Stadtteilen den Sommer über engagiert, sodass der Garten gepflegt und ein Café im Gemeindehaus organisiert wird. Ein neu gegründeter Trägerverein engagiert Menschen aus dem Lokalmilieu und bindet diese und dieses ein.
So ermöglicht Kirche Sehnsuchtsorte, wächst Kirche als Sehnsuchtsort. Dort, wo die Gemeinde Räume zur Verfügung stellt und Gestaltungsmacht abgibt, sich etwas sagen lässt und zuhört. Nein, das alte Kirchengebäude füllt(e) sich trotz wiederholter Einladungen nicht mit Leben. Denn die Menschen agieren und engagieren sich anders. Sie sind nicht notwendigerweise Kirchenmitglieder, sie sind anderen Glaubens oder ohne Glauben, und sie sind doch für die Kirche wichtig. Kirche wird unschärfer und zentriert sich doch – im Garten.
Im Schatten der Kirche blüht ein Garten und wächst Kirche. Neu, unerwartet und fern ab organisatorischer Zu- und Einschreibungen.