Eine Predigt über Mt 18,1-3
Die Bibel bringt uns zum Spielen. Das macht sie so besonders und wertvoll. Wie geht das?
„Zu derselben Stunde traten die Jünger zu Jesus und fragten: Wer ist doch der Größte im Himmelreich? Jesus rief ein Kind zu sich und stellte es mitten unter sie und sprach: „Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.“ (Mt 18,1-3)
„Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder.” – So naiv, so bedingungslos vertrauend – oder vielleicht auch so spielend? Kinder sind vor allen Dingen: spielend Mensch! Könnte es sein, dass Jesus auch oder gerade das Spiel der Kinder im Blick hatte, als er sie uns als Vorbild hinstellte? Kinder erobern sich spielend das Leben. Und wir als Erwachsene? Nur spielend ins Himmelreich? Da könnte das Spiel mit der Bibel uns helfen.
Wisst ihr noch, wie es früher war, als wir spielend die Welt eroberten, frei und ungebunden? Wie es war, als wir uns in die Möglichkeiten des Lebens hineinspielten und von uns selbst ganz selbstverständlich absehen konnten? Wisst ihr noch, wie es war: das Spiel in den Rollen, die wir uns selbst zuschrieben und auf den Leib schneiderten; und dann unterwarfen wir uns den Regeln, die wir uns selbst gegeben hatten? Als wir so unsere Welt veränderten und geradezu Unglaubliches in sie hineinstellten und in Zauberwelten eintauchten – wie hat es sich angefühlt?
Umfassender Frieden und geheimnisvolle Verwandlungen, feindseliger Kampf und überraschende Versöhnung, traurige Niederlagen, rätselhafte Wendungen, plötzlicher Tod und zügige Auferstehung.
Was damals im Spiel alles möglich gewesen ist! Eine ganze Welt innerer Unendlichkeit, gegenwärtig im Augenblick. Im Spiel gelang uns dies als Kind, im Spiel mit der Bibel wird all das auch für mich als Erwachsene wieder lebendig.
Und noch mehr: Die Erfahrung, dass eine andere Wirklichkeit aufleuchtet und sich wirksam entfalten kann, wenn auch nur als Ahnung, als Glauben, brüchig und bezweifelbar.
Die Hoffnung, dass wir uns geheimnisvoll verwandeln dürfen und nicht so bleiben müssen, wie wir geworden sind, weil uns unser Leben eben so oder so mitgespielt hat. Dass wir auf Frieden hoffen angesichts des Leides unserer kleinen und großen Welt, das uns so ganz gefangen nehmen kann. Dass es möglich ist, in die Rolle der Liebenden zu schlüpfen, dass wir mutig sein können, obwohl wir vor Angst starr geworden sind. Dass wir wieder lachen können, obwohl der Tod uns einen lieben Menschen nahm? Spätestens dies gelingt uns nicht mehr spielend.
Trotzdem. Dies alles ist angesehen vor Gott, allezeit im Himmel. Er möchte uns wie ein Kind mit unserer Hoffnung spielen sehen – vor seinem Angesicht.
Gott, lass uns jeden Tag auch heute dein Licht sehen
lass uns nicht uns selbst verzwecken
und nur das Notwendige das Ernste tun
spiel mit uns Gott und lass uns mit dir spielen,
bittet Dorothee Sölle.1
Ja, nicht nur das Ernste tun, sich nicht selbst verzwecken, sondern spielen und das Licht Gottes erfahren, das lässt uns wirklich leben.
„Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, könnt ihr nicht ins Himmelreich kommen” (Matthäus 18,3) sagt Jesus. Übertragen von Rabindranath Tagore: „Gott ehrt uns, wenn wir arbeiten, aber er liebt uns, wenn wir spielen.“
Amen
Anmerkung
- Dorothee Sölle, aus: „Loben ohne Lügen“.