Jedes Kind als geliebtes Kind Gottes sehen

von Gerd Brinkmann

Bildungsgerechtigkeit herzustellen ist seit Jahrzehnten das erklärte Ziel des deutschen Bildungssystems. Als beim sog. „Pisa-Schock“ deutlich wurde, dass der Bildungserfolg in unserem Land wesentlich stärker vom sozialen Status des Elternhauses abhängt als in anderen Ländern, wurde dies deutlich beklagt und Besserung gelobt.

Die aktuelle Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung (Ifo-Institut) belegt leider, dass hier kaum Fortschritte erzielt wurden. Bis heute hängt die Wahrscheinlichkeit für den Besuch eines Gymnasiums stark vom Einkommen und dem Bildungsniveau der Eltern ab.1

Dieses Ergebnis gilt eindeutig auch für Niedersachsen. Die Kluft zwischen Bildungsgewinnern und Verlierern wächst sogar noch.

Was ist dagegen zu tun? In meiner Studienzeit in Schweden betrachteten die dortigen Lehrkräfte und Dozenten das deutsche dreigliedrige Schulsystem als ein Relikt der Kaiserzeit. Es versuche eine Gesellschaftsformation abzubilden, die längst überholt sei. Das skandinavische Gesamtschul-System sei da fortschrittlicher, weil eben ein „Abschulen“ in eine andere Schulform nicht möglich sei. Die Schule habe Verantwortung für den Bildungserfolg jedes Kindes und müsse dafür mit den nötigen Ressourcen ausgestattet werden.

Über diese Grundsatzfragen kann man lange diskutieren und stellt dabei fest, wie stark verankert das Gymnasium im deutschen Bildungssystem ist. Der Elternwille bildet hier eben eine entscheidende Größe. Und gute Schule ist in jeder Schulform möglich.

Alle Studien zur Entstehung der Bildungsungerechtigkeit weisen zudem darauf hin, dass die frühe Kindheit viel entscheidender ist als die Schulzeit. Am Ende der Bildungsverläufe Gleichheit erzielen zu wollen, ist längst nicht so effektiv wie die Förderung von Anfang an. Kinder müssen von Beginn an gezielt gefördert werden, um herkunftsbedingte Abhängigkeiten abzuschwächen. Frühe Hilfen, Familienförderung, Sprachunterricht und eine Qualitätsoffensive für gute Kitas sind entscheidende Bausteine für mehr Bildungsgerechtigkeit. Das Leitbild der gerechten Teilhabe aller an der Gesellschaft sollte hier prägend sein. Alle Talente und Begabungen zu fördern, ermöglicht Chancen- und Teilhabegerechtigkeit.
Genau dies ist das zentrale Credo der evangelischen Schulen. Jedes Kind als geliebtes Kind Gottes zu sehen, ist hier Anspruch und Aufgabe allen pädagogischen Handelns. Dafür braucht es viele engagierte Menschen, eine gute Ausstattung und förderliche Unterstützungssysteme. Das reicht von der Schulsozialarbeit, der Schulpsychologie, genügend Lehrkräften und pädagogischen Mitarbeitenden bis zur guten IT-Ausstattung. Das kostet richtig Geld. Und da die Finanzhilfe und Personalkostenerstattung im Land Niedersachsen begrenzt ist, müssen die Schulen in freier Trägerschaft ein Schulgeld von den Eltern erheben, um diese Dinge finanzieren zu können. An den kirchlichen Schulen gibt es vielfältige Möglichkeiten zur Schulgeld-Ermäßigung oder Schulgeld-Befreiung, damit der Geldbeutel der Eltern kein Kriterium für den Besuch unserer Schulen ist. Auch die Religionszugehörigkeit ist kein Kriterium. So soll jedem Kind der Schulbesuch ermöglicht werden. Leider sind die Anmeldezahlen aber so hoch, dass wir nicht alle Schülerinnen und Schüler aufnehmen können. Ein hoher Prozentsatz unserer Schüler*innen zahlt kein oder weniger Schulgeld. Dies zeigt, dass es bei uns keine Sonderung nach Besitzverhältnissen der Eltern gibt. Wir bilden an den Schulen also eher den Durchschnitt der Gesellschaft ab.

Bei der sehr zu begrüßenden Einführung eines Sozialindex in Niedersachsen2 sind auch kirchliche Schulen in der engeren Auswahl für die Aufnahme in das Startchancen-Programm.

Der Sozialindex soll helfen, zusätzliche Ressourcen gezielt dort einzusetzen, wo der Unterstützungsbedarf besonders hoch ist. Er ist damit ein wichtiger Beitrag für mehr Bildungsgerechtigkeit in Niedersachsen. Hier zitiere ich gerne unsere Kultusministerin, Frau Julia Willie Hamburg: „Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass der Bildungserfolg zukünftig vom Engagement eines Kindes abhängt, nicht vom Geldbeutel seiner Eltern.”3

Ihr Wort in Gottes Ohr!
 

Anmerkungen

  1. https://kurzlinks.de/p7gl
  2. Zur Erläuterung siehe den Beitrag „Das Startchancen-Programm (SCP) – ein Weg zu mehr Chancengerechtigkeit in der Schule?“ von Sabine Schroeder-Zobel, in diesem Heft, 62.
  3. Presseerklärung des Nied. Kultusministeriums Nr. 025/24 vom 15.05.2024; https://kurzlinks.de/8t6g (03.08.2024)