„Der war‘s“ … Und wer war es wirklich? - Impulse zur Arbeit mit einem Kinderroman

von Sabine Schroeder-Zobel

In der 6a herrscht große Aufregung. Zum wiederholten Mal hat jemand Maries Schulbrot gestohlen. Nein, nicht einfach nur ein Schulbrot, sondern ein Supersandwich, denn Maries Mutter kreiert die besten Sandwiches der ganzen Klasse. Niemand sonst hat Avocado-Sellerie-Wraps oder Vollkornbrot mit Auberginen-Couscous-Petersilien-Aufstrich in der Brotdose. Marie ist empört, und mit ihr die ganze Klasse. Wer macht so etwas? Schnell finden sich eine ganze Reihe von Kindern, die nach Verdächtigen, nach Spuren und Beweisen suchen. Vor allem Torben fühlt sich dazu berufen, sein Vater ist bei der Polizei und Marie mag er ganz besonders gern.

Im spannenden Kinderbuch von Juli Zeh und Elisa Hoven sind die Rollen in der Klasse eindeutig verteilt. Marie ist das beliebteste Mädchen, Torben der coolste Junge, Miko ist ein stiller und besonders schlauer Schüler. Die drei „Supergirls“ Elfi, Pinar und Chloe kleiden sich gleich, denken das gleiche und sind auch sonst kaum zu unterscheiden. In den Pausen spielen sie das, was Marie ihnen sagt. Und dann ist da noch Konrad, der Pummelige, der gerne isst und sich besonders für Tiere interessiert. 
Kein Wunder, dass Konrad sehr schnell als verdächtig gilt, schließlich hat er kurz nach dem zweiten Diebstahl Krümel auf dem Shirt. Noch viel schlimmer aber ist, dass Torben ihn irgendwann dabei beobachtet und fotografiert, wie er sich gerade an Maries Schulranzen zu schaffen macht.

Ohne Hilfe und besonderes Interesse der Lehrkräfte versuchen die Kinder, den Fall zu lösen. Dabei legen sie zunächst keine große Sorgfalt an den Tag. Vielmehr gewinnen Vorurteile, ungerechte Verurteilungen und Unterstellungen die Oberhand. Die einzige Intervention des Klassenlehrers ist die Verordnung einer Gruppenstrafe – Mathe statt Sportunterricht – als sich kein Täter und keine Täterin freiwillig stellen will. Damit verstärkt er die Wut auf Konrad, der nun auch noch als Verantwortlicher für den verpatzen Sportunterricht gilt.

Juli Zeh und Elisa Hoven arbeiten eindeutig mit Klischees. Nicht nur bei der Charakterisierung der Kinder, sondern auch bei der Beschreibung der Schule, der technischen Ausstattung, der Lehrkräfte. Das Smartboard funktioniert schon seit Wochen nicht, es gibt so viel Vertretungsunterricht, dass sich die Kinder kaum noch an ihren Klassenlehrer erinnern, die Biologie-Lehrerin ist Quereinsteigerin und eigentlich Fußpflegerin und der Referendar darf keine kompetitiven Spiele im Sportunterricht anbieten, weil er sonst schlecht benotet wird. Das ist schon dick aufgetragen, aber entspricht eben auch der Erfahrung vieler Schüler*innen, Eltern und Lehrkräfte, wenn auch nicht unbedingt in dieser Dichte. 
Äußerst realistisch wirkt hingegen die Darstellung des Verhaltens der Schüler*innen gegenüber dem Verdächtigen Konrad. Als Leserin habe ich im Verlauf der Erzählung ein immer mulmigeres Gefühl. Konrad wird, ganz klassisch, gemobbt. Wir lesen, wie Gerüchte entstehen, wie beleidigt und sich dabei eifrig der sozialen Medien bedient wird. Es ist gar nicht so einfach auszuhalten, wie Konrad immer weiter in die Ecke gedrängt wird, bis es sogar zu körperlicher Gewalt kommt. 

So geht es auch Mika, der sich selbst nicht unbedingt als Konrads Freund sieht, aber trotzdem ein komisches Gefühl im Bauch bekommt: „Er kennt auch ein Wort dafür: Ungerechtigkeit. Er wusste gar nicht, dass einem von Ungerechtigkeit übel werden kann, sogar dann, wenn sie einen nicht selbst betrifft.“ 

Als Konrad körperlich von vier Kindern aus der Klasse angegriffen wird und andere dies auch noch mit ihren Handys filmen, greifen Mika und auch Marie ein. 
„Verprügeln geht gar nicht!“ schreit Marie. (…) „Vier gegen einen“, sagt sie. „Total unfair.“
„Wieso vier gegen einen?“ Mika hat Konrads Schuh aufgehoben und gibt ihn zurück. „Ihr seid doch hundert gegen eins mit euren Smartphones und Chats.“ 
Nun kommt ein Stein ins Rollen und die Schüler*innen überlegen gemeinsam, wie sie Konrads Schuld wirklich beweisen können. Sie diskutieren dabei auch Strategien, die eher an mittelalterliche Methoden und Orakel erinnern. Es ist dann wieder der kluge Mika, der vorschlägt, eine Gerichtsverhandlung durchzuführen.

Das Buch vermittelt Kindern ab acht Jahren auf unterhaltsame und spannende Weise eine Menge Wissen über Strafverfolgung, Ermittlung und ein Strafverfahren. Die Schüler*innen der Klasse organisieren selbstständig eine „Gerichtsverhandlung“, die schließlich zu Konrads Entlastung führt. So wird gezeigt, wie irreführend, ungerecht und gefährlich Selbstjustiz sein kann und welcher Schaden angerichtet wird, wenn nicht gründlich recherchiert und untersucht wird und Vorurteile ans Ruder geraten. 
Der wirkliche Täter wird hier nicht verraten. Aufmerksame Leser*innen werden vielleicht schnell einen Verdacht haben. Wichtig ist aber, dass die Gerichtsverhandlung und die zufällige Entdeckung des wahren „Täters“ die Klassengemeinschaft retten, Konrads Integrität wiederherstellen und neue Freundschaften entstehen lassen. So heißt das letzte Kapitel des Buches dann auch „Eine richtig tolle Klasse“.

Die Autorinnen von „Der war‘s!“ kennen sich mit Gerichtsverhandlungen aus. Juli Zeh ist neben ihrer Tätigkeit als Schriftstellerin auch noch Richterin am Verfassungsgericht in Brandenburg. Elisa Hoven arbeitet als Richterin am Sächsischen Verfassungsgerichtshof und ist außerdem Professorin für Strafrecht an der Universität Leipzig. Der letzte Teil des Buches mit dem Titel „Nachgefragt – Wie funktioniert ein Strafverfahren?“ verlässt die Geschichte und stellt in einer für Kinder verständlichen Sprache interessante Informationen zum Thema zusammen. 

Das Buch bietet viele Möglichkeiten für den Unterricht. Als Klassenlektüre oder von der Lehrkraft vorgelesen, werden die Kinder schnell in die Handlung miteinbezogen. Schüler*innen, die noch besondere Hilfen im Lesen benötigen, haben einmal die aussagekräftigen Illustrationen von Lena Hesse als Verständnishilfe. Außerdem gibt es auch ein Hörbuch, das leseschwachen Kindern zur Verfügung gestellt werden könnte. 


Impulse für den Bereich „Lesen“

Die Akademie für Leseförderung bietet auf ihrer Website eine Vielzahl von Praxis-Tipps für den Unterricht.1  Für „Er war‘s“ eignen sich unter anderem folgende Methoden:
•    Einen Video-Buchtipp erstellen: Auch in heterogenen Kleingruppen
     können Kinder mit unterschiedlichen Leistungsniveaus ein Kurz-Video
     zum Buch erstellen. Im Video können z.B. die Hauptfiguren vorgestellt
     werden. (https://kurzlinks.de/jtvu)
•    Eine Möglichkeit, sich kreativ mit einem Buch auseinanderzusetzen,
     bieten sogenannte „Zines“, kleine selbstgebastelte Magazine: https://
     kurzlinks.de/gzxi. Und bei YouTube wird gezeigt, wie es geht: https://
     kurzlinks.de/w4e6.
•    Um insbesondere die Leseflüssigkeit der Schüler*innen zu fördern,
     kann das Hörbuch eingesetzt werden. Für viele Kinder ist es zudem
     spannend, beim Vorlesen auch mal eine andere Stimme als die der
     Lehrkraft zu hören und dann einen gehörten Text „mitzulesen“. Diese
     Methode fördert insbesondere Schüler*innen, die Deutsch als
     Zeitsprache lernen, aber auch andere Kinder. Einen entsprechenden
     Tipp findet man hier: https://kurzlinks.de/ofi2.
•    Um bestimmte Fragestellungen oder Auszüge des Buches zu
     diskutieren, eignet sich auch die Methode „Chatten auf Papier“. Hier
     wird nicht digital gechattet, sondern jede*r Schüler*in legt ein Heft an
     und stellt eine bestimmte Frage, klebt einen Text oder ein Bild ein oder
     kommentiert etwas. Diese Hefte werden dann in der Gruppe
     herumgereicht und alle dürfen kommentieren, etwas hinzufügen, ihre
     Meinung äußern usw. Wichtig ist, dass diese Hefte nicht für die
     Kontrolle durch die Lehrkraft gedacht sind; es geht nicht um Korrektheit
     und Fehler, sondern lediglich um einen lebendigen Austausch. Hier wird
     die Methode beschrieben: https://kurzlinks.de/2ej7. 


Impulse zum Thema „Gerücht“

Als Einstieg in dieses Thema kann das Spiel „Gerüchteküche“ dienen. Dabei schreiben alle Schüler*innen in Kurzform ein Gerücht auf, das sie auf den Weg bringen wollen. Alle laufen durch den Raum und erzählen dann eine*r Partner*in ihr Gerücht. Diese*r erzählt das Gerücht dem*der nächsten Partner*in, allerdings etwas spannender, übertriebener, gefährlicher usw. Nach ein paar Minuten schreiben alle das zuletzt gehörte Gerücht auf einen Zettel. Anschließend sind diejenigen Schüler*innen die Erzähler*innen, die in der ersten Runde bisher noch kein eigenes Gerücht einbringen konnten.

Im Plenum werden dann die Endgerüchte an einer Pinnwand befestigt und vorgelesen. Diejenigen Schüler*innen, die das Gerücht in die Welt gesetzt haben, stellen den Ursprung dem Endgerücht gegenüber. 
Anschließend kann im Klassengespräch oder in Kleingruppen ein Austausch über folgende Fragen stattfinden: 
•    Wie entsteht ein Gerücht? Welchen Weg kann es nehmen?
•    Warst du schon einmal Thema eines Gerüchts? Wie hast du dich
     gefühlt, als du es herausgefunden hast? Wie kann man ein Gerücht
     richtigstellen?
•    Welche Folgen kann ein Gerücht haben? Gibt es auch „gute“
     Gerüchte?
•    In Kleingruppen kann ein Plakat zum Thema „Gerüchte“ angefertigt
     werden. 
•    Schüler*innen, die Schwierigkeiten haben, ein Gerücht aufzuschreiben,
     können im Kreis ein Gerücht erzählen und verstärken. Ein Einstieg
     kann auch das Spiel „Stille Post“ sein. 


Impulse zum Thema „Vorurteil“

Zunächst eine Partner*innenübung: Zwei Kinder stehen einander gegenüber und haben nacheinander die Aufgabe, sich gegenseitig zu beschreiben. Sie dürfen nur benennen, was sie sehen, nicht interpretieren und nicht werten. Anschließend berichten die Schüler*innen über ihre Erfahrungen mit dieser Übung. Vermutlich ist es gar nicht so einfach, nur zu sagen „Tina trägt einen Schal“, ohne den Schal noch zu bewerten („Tina trägt einen tollen“ Schal“ oder zu interpretieren („Tina trägt einen Schal, weil ihr immer kalt ist“).

Die Schüler*innen sammeln Vorurteile, die sie schon einmal gehört haben („Mädchen sind schlechter in Mathe als Jungs“) und diskutieren ihren Wahrheitsgehalt.

Die Aktion Schulstunde zur ARD-Themenwoche „Toleranz“ hat Arbeitsblätter zum Thema „Vorurteile“ entwickelt,. Sie sind hier zu finden: https://kurzlinks.de/dt53.

Die Schüler*innen könnten den Text des Buches auf Vorurteile hin untersuchen. Zu finden ist dann z.B. „Benisha ist neu zugewandert und spricht und versteht deswegen auf keinen Fall Deutsch“, oder „Konrad ist dick und hat bestimmt deswegen das Supersandwich geklaut“. Die Auswirkungen dieser Vorurteile können dann in der Klasse besprochen werden.


Impulse zum Thema „Mobbing“

Dieser Themenbereich erfordert besonderes Fingerspitzengefühl und Empathie der Lehrkräfte. Viele Kinder sind von Mobbing betroffen oder haben Angst davor, gemobbt zu werden. Insbesondere die Angst, zum Opfer zu werden, bringt Schüler *innen mitunter auch dazu, als Täter*innen zu handeln, auch wenn sie selbst „nur“ als Mitläufer*innen oder Zuschauer*innen agieren. 
•    Dieses Video von ZDFtivi erklärt Kindern in einfacher Sprache und
     eindrücklichen Bildern, was sich hinter dem Begriff „Mobbing“ verbirgt:
     https://kurzlinks.de/fx15. 
•    Anhand des Buches „Der war‘s“ kann mit der Klasse herausgefunden
     werden, wo Mobbing gegenüber Konrad beginnt, welchen Verlauf es
     nimmt und auch, wie es beendet wird.
•    Wichtig ist sicherlich auch ein Gespräch über persönliche Erfahrungen
      mit Mobbing in einer vertrauensvollen Atmosphäre. Lehrkräfte sollten
      besprechen, an wen sich Kinder wenden können, wenn sie gemobbt
      werden und Hilfe benötigen. Auch das Thema „Cybermobbing“ sollte
     dabei nicht ausgespart werden, ebenfalls ein Thema der 6a in „Er
     war‘s“.

•    Um weiterhin „Anti-Mobbing“ zu trainieren, kann das Buch „Die 50
     besten Anti-Mobbing-Spiele“ von Robert Rossa und Julia Rossa eine
     Hilfe sein: https://kurzlinks.de/uagn


Impulse zum Thema „Gerichtsverhandlung“

Im Buch informieren sich die Kinder über Gerichtsverhandlungen, die unterschiedlichen Rollen der Beteiligten und den vorgegebenen Ablauf. Eine vereinfachte Methode zur Konfliktlösung ist der Klassenrat.

Eine Beschreibung der Methode „Klassenrat“ und viele Tipps und Hinweise finden sich in dem kleinen Buch von Cornelia Wolf: „Der Klassenrat – Konflikte demokratisch lösen“.

Auf www.materialwiese.de können kostenlos begleitende Grundschul-Materialien zur Einrichtung eines Klassenrates heruntergeladen werden, z.B. Rollenkarten, Vorlagen für eine Tagesordnung usw.: https://kurzlinks.de/mv2e. 


 … und noch ein Impuls

Wenn dann noch Zeit bleibt, könnte die Klasse noch „Supersandwiches“ kreieren. Es muss ja kein „Dinkeltoast mit Rote-Beete-Petersilienwurzel-Creme“ oder „Tofuwurstbrot mit Granatapfelkernen“ werden. Guten Appetit! 

Anmerkung

  1. Diese Einrichtung des Niedersächsischen Kultusministeriums, des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur und der Stiftung Lesen hat ihren Sitz in der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek in Hannover. Vgl. hierzu www.alf-hannover.de/materialien/praxistipps.

Literatur

  • Zeh, Juli/ Hoven, Elisa: Der war‘s, Hamburg 2023
  • Rossa, Julia/Rossa, Robert: Die 50 besten Anti-Mobbing-Spiele, München 2016
  • Wolf, Cornelia: Der Klassenrat – Konflikte demokratisch lösen (Spickzettel für Lehrer/ Systemisch Schule machen), Heidelberg 2016