Tatort Ohr – Unterrichtsimpulse zu „True-Crime-Podcasts“ im Religionsunterricht an Berufsbildenden Schulen

von Bianca Reineke


Woher auch immer sie kommt, die Faszination an Kriminalgeschichten: Es ist ein generationsübergreifendes Phänomen, das sich seit Jahrhunderten durch die Menschheitsgeschichte zieht. Die Palette reicht von Schauergeschichten am Lagerfeuer hin zu Gruselromanen der Gotik, über „Cosy Crime“ à la Agatha Christie hin zu pathologisch sehr detaillierten Krimis. Das Medium Film hat dieses Genre noch weiter vertieft und um die Dimension des Sehens erhöht. Und nun hat sich im Smartphone-Zeitalter eine weitere Art der mörderischen Faszination etabliert, die ihre Anhänger fesselt und in Scharen an die kleinen weißen In-Ear-Kopfhörer treibt: True-Crime-Podcasts.

Dabei steht gar nicht das grausame Verbrechen im Mittelpunkt, obwohl auch das einen Schauer über den Rücken der Zuhörenden jagt; es geht vielmehr um die Motive für die Taten, es geht um den ungläubigen und angstvollen Blick in die tiefen Abgründe der menschlichen Seele, die Menschen zu Mördern macht. Es geht um die Geschichten, die vor der Tat passieren. Es geht um den Versuch, eine Erklärung dafür zu finden, warum manche nur noch eine Straftat als Ausweg aus ihren Problemen sehen.

Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen, die seit Jahrzehnten über Straftaten und Prozesse u.a. für den Spiegel berichtet, stellt klar: „Nichts interessiert die Menschen so sehr als das, was andere einander antun. Das sind auch Stellvertreter-Geschichten. Man hört, andere tun ihren Mitmenschen schreckliche Dinge an und werden dafür bestraft. Da kommt die Welt dann wieder in Ordnung, die durch das Verbrechen, durch die Tat in Unordnung gebracht worden ist. Es ist ein gewisses Bedürfnis, das man sieht: Das Böse passiert zwar, aber es erfolgt auch eine Reaktion darauf.“1

Vielen der Romane, Filme und der Podcasts fehlt aber eine andere, eine sehr besondere – auch theologische – Ebene des Verbrechens. Die meisten setzen vor der Tat an und schildern den Verlauf der Tat bis hin zur Urteilsverkündung. Sie analysieren und hinterfragen aber nicht, was aus denen wird, die mit den Auswirkungen eines derartigen Einschnittes in ihre Gegenwart weiterleben müssen. Bei aller Beschäftigung mit dem Motiv der Täter*innen findet die Situation der Opfer und der Hinterbliebenen oft wenig Raum. Hier kann der Religionsunterricht Ebenen eröffnen, die theologische Themen behandeln, seelsorgerlich-diakonische Angebote erschließen und Räume der Bewältigung schaffen.

Statistisch gesehen2 sind es junge Hörer*innen, oftmals weiblich, die True-Crime-Podcasts konsumieren. Die Erklärung dafür ist relativ simpel: Sie kommen den medialen Konsumgewohnheiten der jungen Menschen entgegen. Gehört werden können Podcasts, wann immer es zeitlich passt und gewünscht ist. „On demand“ ist das, was die Schüler*innen in ihrer Mediennutzung gewöhnt sind. Das Format Podcast ist niedrigschwellig, da neben kostenpflichtigen Anbietern auch unzählige freie Podcasts verfügbar sind, die eine Fülle von Hörmöglichkeiten erschließen, wenn auch mit Werbeunterbrechung, was aber den jungen Hörer*innen wiederum aus Streamingdiensten und YouTube bekannt und vertraut ist.

Für Berufsbildende Schulen bieten sich eine Unterrichtseinheit / Unterrichtsstunden dazu an. Das durchschnittliche Alter der Hörer*innen von True Crime Podcast ist 14 bis 29 Jahre3 und in dieser Altersspanne bewegt sich ein Großteil der BBS-Schüler*innen. Die Arbeit mit Podcasts ist also inmitten der Realität der jungen Menschen verortet. Leben sie doch größtenteils mit ihren Smartphones, sind wie mit einer Nabelschnur mit ihrem Device verbunden und bewegen sich mit ihren Kopfhörern in ihrer eigenen Welt. Gerade die Schüler*innen Berufsbildender Schulen, die sich in der Phase des Lebens befinden, in der sie sich beruflich orientieren und auf dem Weg in ihre Zukunft sind, stellen sich den elementaren Fragen des Daseins und suchen nach Erklärungen und Sinn für schwierige Momente und lebenseinschneidende Erlebnisse.

Auch wenn in den wenigsten Biografien (die Anzahl der gewaltkriminalistischen schweren Delikte im Jahr 2022 betrug laut Bundesministerium des Inneren 214.099 Fälle4 ) schwere und traumatische Verbrechen ihre Spuren hinterlassen, ist gerade die intensive Beschäftigung mit dem „worst case scenario“ für viele junge Menschen eine Art Ventil, um mit ihren Ängsten umgehen zu können. Psychologisch gesehen ist die Frage an das eigene Ich „Was ist das Schlimmste, was mir passieren kann?“ gefolgt von der Frage „Und was mache ich dann?“ eine anerkannte Methode, mit Zukunftsängsten und Weltschmerz umgehen zu können. „Defense Vigilanz“, also eine Art verteidigende Wachsamkeit, hilft dabei, sich den Risiken des Lebens zu stellen. Wer sich möglichst wachsam mit einem Thema beschäftigt, das Angst macht, gewinnt an Stärke.5 Die Auseinandersetzung mit dem, was uns am meisten Furcht bereitet, kann also aufbauend für die eigene Resilienz sein. Vielleicht kommt gerade daher die ungeheuer große Faszination besonders junger Menschen für True-Crime-Podcasts.

Im Unterricht kann damit auf die Lebenswirklichkeit und auch auf die Mediennutzung der Schüler*innen eingegangen werden. Zudem bieten die Niedrigschwelligkeit und die immens große Verfügbarkeit und Aktualität von True-Crime-Podcasts einen Zugang zu Schüler*innen, der auf dem neuesten Stand ist. Und nicht zu unterschätzen ist die Tatsache, dass mit diesem Medium auch diejenigen erreicht werden können, die mit schriftlichen Texten Schwierigkeiten haben, da es schwerpunktmäßig um Audiodateien und selbst geführte Interviews geht.

Die persönliche Betroffenheit bei True-Crime-Podcasts kann allerdings sehr intensiv sein, da einige der Geschichten im Milieu und in der Lebenswelt der Schüler*innen spielen und es Wiedererkennungsmomente in Situationen, Lebenskonstellationen und Geschehnissen geben kann. Hier muss immer darauf geachtet werden, dass durch die Lehrkraft deutlich gemacht wird, wie statistisch selten schwere Verbrechen in Deutschland sind und dass die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines solchen zu werden, sehr gering ist.6 Die Lehrkraft sollte die Schüler*innen der Klasse schon einige Zeit kennen und sicher gehen, dass es in den Biografien der zu Unterrichtenden keine persönlichen kriminalgeschichtlichen Erfahrungen gibt. Ob eine der True-Crime-Podcast Folgen einzelne und mehrere Schüler*innen triggert, ist im Bereich des Möglichen. Dies sollte im Vorfeld der Unterrichtseinheit thematisiert werden. Auch die Podcaster geben vor ihren Folgen und in den Shownotes diese Hinweise, daher kann bereits bei der Auswahl der Podcast-Episode darauf geachtet werden.


Lernfelder und Kompetenzen

Eingeordnet werden können die Unterrichtsimpulse in den Niveaustufen 2, 3, 4 und 6 sowie in folgende Lernfelder:
•    Den Menschen aus christlicher Perspektive wahrnehmen,
•    Verantwortungsbewusst handeln,
•    Menschen in Leid und Hoffnung begleiten.

Kompetenzbezüge ergeben sich wie folgt:

Die Schüler*innen nehmen hoffnungsstiftende Aspekte in der Lebensgeschichte und im Verhalten anderer Menschen wahr und setzen sich angesichts des Leids mit der Frage nach Gott auseinander, sie zeigen dabei die Bereitschaft, Glauben und Lebenserfahrung aufeinander zu beziehen und Konzepte für sich und andere zu entwickeln, die in Krisen und Katastrophen Gottes Hilfe und Kraft aufzeigen.
Sie beschreiben Lösungswege aus Krisensituationen des Lebens anhand von biographischen Brüchen und leiten die Bereitschaft zu solidarischem Miteinander in Bezug auf Gerechtigkeit aus der Orientierung am Wirken Jeus ab. Sie sind dadurch in der Lage, ihre eigene Zukunft resilient und gerecht gegenüber anderen zu gestalten.
Sie kennen Vergebung als christliche Antwort auf die Frage nach Schuld und Vergebung, können die Grenzen der menschlichen von denen der göttlichen Vergebung unterscheiden und entwickeln eine eigene Haltung, die ihnen und anderen dabei hilft, Situationen zum Thema Schuld und Gerechtigkeit zu meistern.
Die Schüler*innen entwickeln anhand der Botschaft Jesu Kriterien für den Umgang mit Werte- und Gerechtigkeitskonflikten im strafrechtlichen und opferschutzorientierten Kontext. Sie nehmen kritisch Stellung zur theologischen Frage der Gottesebenbildlichkeit von Straftätern und können eine Position dazu einnehmen.

Nicht zu unterschätzen ist die Förderung unterschiedlicher Arbeitsmethoden und der Medienkompetenz durch die kreative Arbeit mit Podcasts. In den Impulsen für den Unterricht wird die Erstellung eigener Podcasts behandelt. Blended Learning (eine Kombination aus E-Learning und klassischem Lernen im Präsenzunterricht) bietet sich bei diesem Format an.

Obwohl es juristisch in Ordnung ist, Podcasts in der Schule gemeinsam zu hören, ist es sinnvoller, nur einen Teil als Teaser einzuspielen und den gesamten Podcast zuhause weiter hören zu lassen. So können die Unterrichtsinhalte aus der Schule zuhause vertieft werden, um darauf schließlich in der nächsten Stunde wiederaufzubauen. („Flipped Classroom“).

Neben der Förderung der Medienkompetenz durch die Verwendung von Technik (jedes Smartphone und Tablet kann zur Podcast Aufnahme genutzt werden7) erfolgt auch eine Persönlichkeitsentwicklung. Die Arbeit an einem eigenen Podcast erfordert Kleingruppen- und Teamarbeit, sowie das Herausgehen aus der Komfortzone bei Interviews mit Externen. Die Festlegung des Schwerpunktes des Themas, die Faktenrecherche, die Aufgabenverteilung etc. schult die „Softskills“ der Schüler*innen.


Information zum True-Crime-Podcast „Mordlust – Verbrechen und ihre Hintergründe“

Die beiden Journalistinnen Paulina Krasa und Laura Wolters haben ihr deutschsprachiges Format, das sich größtenteils um Kriminalfälle mit deutscher Beteiligung dreht, im Juli 2018 gestartet und seitdem eine steile Erfolgskurve vorgelegt. Inzwischen (Stand Mai 2024) gibt es 151 Folgen, die anfangs vom ZDF produziert wurden8. „Mordlust“ ist auf Platz eins der beliebtesten deutschen True-Crime-Podcasts und hat seine eigene Instagram-Seite mit mehr als 300.000 Followern. Das Konzept des Podcast ist sehr zielgruppenorientiert, hat einen großen Wiedererkennungswert und wird in authentischer, gendergerechten Sprache zweier junger Erwachsenen gehalten. Er ist daher sehr gut für BBS-Schüler*innen geeignet.

Ein musikalischer Einspieler eröffnet die jeweilige Folge, die von liebevoll-freundschaftlichem Geplänkel über den Alltag der beiden Frauen kurz eingeführt wird. Das Oberthema des aktuellen Podcast wird vorgestellt und von einem Hinweis zum Umgang der Journalistinnen mit True Crimes begleitet. Hier sind es einmal die sensiblen Triggerwarnungen9 mit genauen Zeitangaben, die den Hörer*innen die Möglichkeit geben, diese Parts zu skippen, aber auch die offene Ansage, dass beide Frauen durchaus mal zu humorvollen und ironischen Aussagen neigen, dies aber „comic relief“ sei – also eine Art „Galgenhumor zur Verarbeitung“ aufgrund der oft grausamen, kaum zu ertragenden Fälle. Diese Kommentare seien „nicht despektierlich“ gemeint sei.

Die Autorinnen stellen jeweils das von ihnen erarbeitete und anonymisierte Verbrechen mitsamt der Vorgeschichte in erzählerischer Form vor. Zwischendurch wird die Handlung von beiden spontan kommentiert und es kommt auch zu Gefühlsäußerungen. Gerade hier finden sich die Schüler*innen oft in ihrer eigenen Betroffenheit wieder, was zu einer intensiven Beschäftigung mit den Themen, die angesprochen werden, führen kann. Am Ende der Schilderung werden Expert*innen zu verschiedenen Ebenen, die der Fall eröffnet, befragt.10 

Die Podcast-Folge 141 „Wir haben ihren Sohn“11 zu Gier, Neid und Entführung, sowie die Folge Nummer 142 „Der letzte Wille“12 zum Thema Liebe, Geld und Erbschaft bieten sich aufgrund der einerseits sehr lebensnahen Themen für den Religionsunterricht an. Gleichzeitig gibt es in beiden Episoden eine gewisse gesunde Distanz zu den Verbrechen, die ein Triggern der Klasse relativ unwahrscheinlich macht.


Ideen für den Unterrichtseinsatz

Im Mittelpunkt der Arbeit steht die Beschäftigung mit den o.g. Podcasts und der Erstellung eigener Podcasts mit dem Handy. Beide Episoden lassen die Hörenden vermutlich etwas fassungslos und auch schockiert zurück. Da es in allen Geschichten gezeichnete Überlebende und trauernde Hinterbliebene gibt, bieten sich verschiedene Herangehensweisen an, die auch gut dafür geeignet sind, in Gruppenarbeiten unterschiedliche Ergebnisse zu erstellen, die anschließend in der Klasse präsentiert werden.13

Interessanterweise stellen die Podcaster*innen in ihren Werken – und besonders in den beiden ausgewählten Folgen – religionsspezifische Fragen in den Mittelpunkt, weil kriminelle Taten und ihre Auswirkung die existenzielle Substanz des Menschseins anrühren. Von der Theodizee-Frage, gerade in Bezug auf Straftaten an Unschuldigen (Entführung in Folge 141) über die Frage der Definition von Sünde und Vergebung (Erberschleichung und räuberische Gewalt unter Eheleuten in Folge 142), die beide durch juristische Verfolgung nicht unbedingt befriedigende Antworten finden, wird hier alles angesprochen, von den Autorinnen aber unbeantwortet gelassen. Die angerissenen Themen reichen bis hin zu den Grundfragen nach Sühne und Gerechtigkeit, was den Schüler*innen beim Hören schnell klar wird. So können anhand wahrer Kriminalgeschichten theologische und religionspädagogische Themen im Unterricht behandelt werden.

Themen der zu erarbeiteten Aufnahmen/ Podcasts:14
•    „Was bleibt nach True Crime?“ Unterstützung, Trost und Hilfe für Opfer
     und Hinterbliebene15
•    „True Crime, also wahres Verbrechen. Und auch wahre Gerechtigkeit?“
     Wie unterscheiden sich juristische und christliche Gerechtigkeit?


Anmerkungen

  1.      https://kurzlinks.de/wwzj
  2.      https://kurzlinks.de/6jnm; https://kurzlinks.de/wubx
  3.      Ebenda
  4.      https://kurzlinks.de/gku0
  5.      Corinna Perchtold-Stefan im MDR zu „Die Faszination 
         True Crime“, https://kurzlinks.de/vend
  6.      Siehe unten 4.
  7.      Die meisten Tablets und Smartphones haben bereits eine
         App wie „Sprachmemos” oder „Sprachnotizen”
         vorinstalliert, mit der sich einfache Audio-Aufnahmen
         machen lassen. Für das reine Mitschneiden von
         Gesprächen für Podcasts reichen diese Apps aus. In
         iPad-Klassen bzw. mit Schul-iPad-Koffern ist das Ganze
         noch unkomplizierter umzusetzen. Link zu Apple: https://
         kurzlinks.de/6m81. Ziel der Erarbeitung muss nicht
         unbedingt die Veröffentlichung sein.
  8.      Website des Podcast: Mordlust-Podcast (podigee.io)
  9.      Gewarnt wird u.a. bei den Themen häusliche Gewalt,
         Kindesmissbrauch, Mord an Kindern, sexuelle Gewalt.
  10.      Hier äußern sich u.a. Fach Anwalt*innen,
         Psycholog*innen etc.
  11.      Infos und Shownotes zur Episode „Wir haben Ihren Sohn”:
         https://kurzlinks.de/cm3h
  12.      Infos und Shownotes zur Episode „Der letzte Wille”:
         https://kurzlinks.de/ojox
  13.      Befinden sich in der Klasse aber junge Menschen, die zu
         sehr von den wahren Kriminalfällen getroffen sind, ist als
         didaktische Reserve die Möglichkeit gegeben, einen
         Podcast zu gestalten, der Verbrechen aus der Bibel
         aufnimmt und präsentiert. Die Fülle der Bibel-Geschichten
         von Mord und Totschlag im Alten und Neuen Testament
         muss vorher sortiert und Schüler*innengerecht ausgewählt
         werden, damit auch hier kein Trigger ausgelöst wird.
         Traditionsabbruch und religiös-weltanschaulich gemischte
         BBS-Klassen haben oftmals keinerlei persönlichen Bezug
         mehr zu biblischen Figuren und Geschichten, so dass
         das Spannungsmoment und das Neue dieser
         Erzählungen eine große Chance zur Entdeckung von
         Bibel-Geschichten sind. Vom Mundraub Adam und Evas,
         über den Brudermord von Kain an Abel, hin zum Verrat an
         Jesus durch Judas oder dem Überfall zwischen Jerusalem
         und Jericho, wo ein Samariter zum Helden wird, gibt es
         eine bunte Vielfalt an Schilderungen voller Verbrechen.
         Die Beschäftigung damit impliziert auch immer die
         theologische und religionspädagogische Fragestellung
         nach Gerechtigkeit, Sünde, Vergebung und Sühne.
         (Literatur: Bertram Salzmann: Kriminalgeschichten der
         Bibel, Stuttgart 2003)
  14.      Siehe „Impulse für den Unterricht”.
  15.      Diakonie, Gemeinde, Weißer Ring etc.