Hilfebedürftige nicht im Regen stehen lassen!

von Silke Leonhard

Über 15 Jahre Ricarda und Udo Niedergerke Stiftung (1)

Was heißt Gerechtigkeit auf „diakonisch“? Gerecht wird es da, wo – buchstäblich um Gottes willen! – allen Menschenwürde garantiert wird, wo alle Menschen Zugang zu Lebens-Mitteln, medizinischer Versorgung, Bildung haben – kurzum: wo keine Armut, keine Not herrscht, in Katastrophen geholfen wird, Solidarität wächst und etliches mehr gelebt wird, was Dienst am Nächsten und Übernächsten bedeutet. Was dem Erhalt und der Förderung des Lebens zur Seite dient, sich dem unterstellt, ist diakonisch2  – was dem Wohl des Nächsten in Nächstenliebe zugutekommt, ist caritativ. Die Palette ist breit und reicht von Hilfe im Alltag bis zur Organisation von Unterstützung, um genau diese mit den nötigen Ressourcen wie Geld und Menschen überhaupt erst zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang hat mich die Begegnung mit einer Stiftung besonders berührt.

Was für manche besonders und ein „Zusätzlich“ zu sein scheint, ist für Ricarda und Udo Niedergerke logisch und damit in gewisser Weise selbstverständlich. Als Ärztepaar, Gynäkologin und Internist, haben sie ihre Tätigkeiten als Hilfe in Not verstanden und nach Kräften geholfen, medizinisch und darüber hinaus. Nach der Übergabe ihrer Praxen an die Nachfolgenden 2007 wollten sie diese Hilfe nicht beenden; so kam es zur Gründung der nach ihrem Namen benannten Stiftung, mit der sie „gesellschaftliche Teilhabe und ein selbstbestimmtes Leben in Würde“ mit Herzblut fördern. Damit kann auch von einem Ruhestand der beiden überhaupt nicht die Rede sein. Seit 2008 ist die Stiftung als Treuhandstiftung der Bürgerstiftung Hannover am Leben, um Menschen in Not bürgerschaftlich engagiert zu helfen, sich noch viel mehr für Gerechtigkeit im Hannoverschen Leben einzusetzen, als dies vermutlich vorher der Fall war. Seit nunmehr über 15 Jahren geht es darum, Menschen nicht im Regen stehen zu lassen und dafür zu sorgen: Wer durch die Maschen des Gesundheitsnetzes gerät, darf nicht fallen gelassen werden. Es gilt, Menschen in der gesundheitlich-sozialen Sackgasse so zu unterstützen, dass sie die Kurve zu einem würdigen Leben in Teilhabe kriegen.

Genauer zu Ziel und Tätigkeiten: Zentrum des Stiftungszweckes ist die Förderung der Wohlfahrtspflege durch finanzielle Mittel, die an gemeinnützige Einrichtungen gehen – aber ebenso an die individuelle Unterstützung von Menschen in Not. Obdachlose, Menschen ohne Krankenversicherung, Geflüchtete und andere Hilfebedürftige werden durch Gesundheitsmaßnahmen, Bildungsprojekte, Integrationsmaßnahmen und etliches mehr nicht nur bedacht, sondern ihnen wird konkret geholfen. Was in der Anfangsphase der Stiftung Kapital und die Unterstützung vieler prominenter Multiplikator*innen brauchte, ist im Laufe der Jahre nicht nur fortgesetzt worden, sondern hat sich im Raum Hannover auf berührende Weise bekannt gemacht. Immer wieder neue Bedarfslagen wurden nicht nur entdeckt, sondern unterstützt. Dabei spielt der Kontakt zu wohltätigen Organisationen, Kirche, Diakonie, Caritas und regionalen Initiativen eine große Rolle.

Wenn in der Stadt Hannover geschätzt bis zu 4.000 Menschen ohne festen Wohnsitz, viele davon aus Osteuropa, leben und etwa 500 davon regelmäßig ohne Dach über dem Kopf übernachten, ist Hilfe gefragt – für die akuten und die tiefer liegenden Bedarfe. Im Kontaktladen Mecki werden wohnungslose Menschen bedacht und ihnen wird zugehört; dank Spenden der Stiftung konnten die Öffnungszeiten erweitert und die Zugänge für Hilfebedürftige sicherer werden. In Straßenambulanzen wird unbürokratisch medizinische Hilfe geleistet. Der Verkauf des Straßenmagazins „Asphalt“ durch Obdachlose verhilft zur Wertschätzung und Anerkennung sozial benachteiligter Personen; die Verkäufer*innen haben in der dunklen Winterkälte leuchtende Funktionswesten erhalten. Der Kältebus der Caritas wird dank Spenden mit Schlafsäcken eingerichtet, die Wärme ermöglichen. Überhaupt wird an kleinen und großen Stellen Geld und medizinische Unterstützung geleistet. Integrationskurse, kostenfreie Schwimmkurse, die Einrichtung von Krankenwohnungen und etliches mehr an Projekten zur Beendigung von Wohnungslosigkeit und Armut werden durch Gelder der Stiftung mitfinanziert. Während der Zeit der Corona-Pandemie, als der Rückzug in die Häuser anstand, galt der Blick der Helfenden insbesondere der Beschaffung von Tests und Unterkünften für Obdachlose. Zwei Krankenwohnungen der Diakonie sind geschaffen worden, in Verbindung mit Kirchengemeinden, um obdachlosen Menschen vor allem im Anschluss an Klinikaufenthalte medizinische Betreuung und Pflege zukommen zu lassen; für die nächsten fünf Jahre stellt die Stiftung dafür rund 150.000 Euro bereit, um die Arbeit abzusichern. Dabei spielt die Frage eine Rolle: Was und wie geht es weiter, wenn die Entlassung aus dem Krankenhaus ansteht? Es gibt gute Chancen, auf diese Weise Wohnungslosen zu einer Wohnung zu verhelfen. Auch die medizinische Versorgung der Tiere der Obdachlosen wird durch Kooperation der Stiftungen unterstützt; ein ambulanter Veterinärdienst sorgt dafür, dass Impfungen und Behandlungen der tierischen Partner durchgeführt werden. Denn: Sind die Tiere wohlauf, tut dies auch den Obdachlosen gut!

Bei allem ist auch Kunst mehr als ein ästhetisches Medium: Eine Wanderausstellung mit Fotografien von der „Platte“ und einem Sonderheft der Straßenzeitung „Asphalt“ wird die Lage der Straße denen ansichtig, die bisher keinen Blick dafür hatten. Als Ziel benennen die beiden Niedergerkes: Straße ade. Man könnte es auch nennen: Welcome Gerechtigkeit!

Anmerkungen

  1. www.niedergerke-stiftung.de
  2. Vgl. auch kompakt das IöThE Argumentarium Nr. 5/2018: Was ist eigentlich gerecht?, hg. v. Ulrich Körtner, Autorin Anna Katharina Moser: https://kurzlinks.de/0z46