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„Are you living an Insta lie?“ – Menschliche Identität im digitalen Zeitalter

von Petra Höft und Michaela Veit-Engelmann


„Schöner, höher, weiter!“ oder geliebtes Gotteskind – Didaktische Vorüberlegungen

Hand aufs Herz: Wer hat noch nicht mit dem Gedanken gespielt, ein Selfie noch etwas schöner zu gestalten, um für diese Selbstoptimierung die größtmögliche Anzahl an Likes abzugreifen? In jedem Fall 50 Prozent der Autorinnen dieses Beitrags 😉.

Für Schüler*innen an Berufsbildenden Schulen gehört Posten zum Alltag einfach dazu. (Fast) Alle von ihnen sind das, was man als Digital Natives bezeichnet, sie sind selbstverständlich in den sozialen Netzwerken unterwegs und dort oft besser vernetzt als analog. Im Digitalen sind die meisten Jugendlichen zu Hause, während ihnen Fragen der theologischen Anthropologie als eines der typischen Themen des Religionsunterrichts meist fremd bleiben.

Denn: Das Bekenntnis zur unverwechselbaren Würde jedes einzelnen Menschen als eines Kindes Gottes braucht den Gottesbegriff, der oft zu einer Leerstelle geworden ist. Zudem trägt diese Vorstellung einen Gedanken ein, der die Leistungsgesellschaft des 21. Jahrhunderts zu konterkarieren scheint: nämlich den, dass jedes menschliche Leben einen Wert hat unabhängig von Selbstinszenierung und Selbstoptimierung. Allzu oft machen junge Menschen die genau entgegengesetzte Erfahrung: Je mehr Follower, desto beliebter! Und aus der Schule, dem Ausbildungsbetrieb oder dem Sportverein kennen Schüler*innen die einfache Gleichung: Je mehr Leistung, desto mehr Anerkennung.

Dagegen vermag der Religionsunterricht eine befreiende Erkenntnis zu setzen: Der Wert menschlichen Lebens besteht unabhängig von dem, was man leistet! Wie es wäre, wenn das auch außerhalb dieses Unterrichts gelten würde – die Tragfähigkeit dieses Gedankens kann man hier gleichsam spielerisch erproben. Die vorgestellten Unterrichtsideen1 sind anschlussfähig an die Lebenswelt der Jugendlichen und tragen Aspekte ein, die sicher geglaubte Gewissheiten in Frage stellen. So verhelfen sie dazu, zu neuen Erkenntnissen über den Wert menschlichen Lebens und des eigenen Lebens zu gelangen.


„Wenig niedriger gemacht als Gott!“ – Vorbemerkungen zur christlichen Anthropologie

Jeder Mensch ist ein geliebtes Kind Gottes. Mit diesem Satz lässt sich die christliche Lehre vom Menschen zusammenfassen. Die Bibel weiß, dass Gott zu jedem Menschen eine besondere Beziehung hat: „Du [Gott] hast meine Nieren bereitet und hast mich gebildet im Mutterleibe. Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele.“ (Ps 139,13f.)

1Sam 16,7b bekräftigt das Wissen um diese besondere Nähe; der Verfasser legt Gott sogar den Satz in den Mund: „Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; der HERR aber sieht das Herz an.“ Auch Psalm 8 bringt das Staunen über diese besondere Position des Menschen auf den Punkt: Wie kommt es, dass der Mensch, der angesichts der Größe der Schöpfung doch winzig klein ist, so hervorgehoben wird? „Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast; was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt.“ (Ps 8,4–6)

Die Tradition hat dafür den Begriff der Gottebenbildlichkeit geprägt (vgl. Gen 1,26–28). Die protestantische Theologie betont: Der Mensch ist nicht Gottes Ebenbild – etwa, weil er mit besonderem Verstand oder ähnlichem begabt ist –, sondern er wird von Gott selbst zu seinem Ebenbild gemacht. Die Gottebenbildlichkeit des Menschen ist also relational zu verstehen. Sie wird von Gott zugesprochen und zeigt sich deshalb im Verhältnis jedes Menschen zu Gott als seinem Schöpfer, zu seinen Mitmenschen als Mitgeschöpfen und zu seiner Umwelt, die Gott ihm anvertraut hat.

Doch die Bibel weiß: Der von Gott als Ebenbild geschaffene und mit der Herrschaft über die Erde beauftragte Mensch ist (fast) von Beginn an Sünder*in. Die sogenannte Sündenfallgeschichte gibt Antwort auf die Frage, warum der Mensch als Teil der guten Schöpfung Leiden und Tod unterworfen ist: Die Verantwortung dafür liegt nicht bei Gott, so sagt es Gen 3 am Beispiel von Adam und Eva und deren Hunger nach der verbotenen Frucht: Gott wollte die Welt gut. Doch seine Geschöpfe missbrauchten das Geschenk der Freiheit. Lange hat die Theologie die Frage beschäftigt, ob der Mensch durch den Sündenfall der beiden Ureltern auch die Gottebenbildlichkeit insgesamt verloren habe. Heute würde man sagen: Gott wollte den Menschen „gut“ – und dieser Wille Gottes gilt unverändert, auch wenn der Mensch sich nicht gut verhält.


Gotteskindschaft im 21. Jahrhundert – Methodische Anregungen

Im Folgenden werden drei Unterrichtsbausteine beschrieben, anhand derer anthropologische Fragen im Religionsunterricht thematisiert werden können. Jeder Baustein umfasst mindestens eine Doppelstunde, sollten bei den Bausteinen 2 und 3 die vorgeschlagenen Möglichkeiten zur Weiterarbeit unterrichtlich realisiert werden, dürfte dies mehr Zeit in Anspruch nehmen. Die Bausteine können nacheinander oder einzeln zum Einsatz kommen.

  • Baustein 1: Zitatebox: Was ist der Mensch?

Mithilfe der Methode Think-Pair-Share nähern sich die Schüler*innen der biblischen Frage an: „Was ist der Mensch?“ (vgl. Psalm 8). In Einzelarbeit (Think) versehen sie jeden der Sinnsprüche2 (M 1) mit einem Like- oder Dislike-Symbol. In einem zweiten Schritt (Pair) tauschen sie sich mit einem*einer Partner*in über ihre Bewertungen aus, verständigen sich über Gemeinsamkeiten und Unterschiede und begründen ihre jeweilige Entscheidung. In einem dritten Schritt (Share) erhalten die Schüler*innen zu zweit ein Zitat in Großdruck (M 2) und ordnen es an der Tafel dem Like- oder Dislike-Symbol zu. Im Plenum begründen sie ihre Entscheidung, gegebenenfalls auch gegen Anfragen von Mitschüler*innen.

Im Anschluss an den Austausch im Plenum versuchen sich die Schüler*innen – je nach Niveaustufe entweder alle gemeinsam oder in Einzelarbeit – an einer eigenen Definition des Menschseins: Was zeichnet menschliches Leben aus? (Oder etwas suggestiver gefragt: Was macht menschliches Leben besonders und wertvoll?)

  • Baustein 2: Sarah Connor: Wie schön du bist

Das Lied „Wie schön du bist“ von Sarah Connor3 stammt aus dem Jahr 2015; es ist die erste deutschsprachige Single der Sängerin, die vorher auf Englisch sang. Gewidmet ist das Lied ihrem Sohn, der damals in die Pubertät kam. Der Song zeugt von der typisch jugendlichen Suche nach Identität und Selbstvergewisserung; ein Thema, das auch Schüler*innen an berufsbildenden Schulen beschäftigt. Doch während der Liedtext eine mutmachende Botschaft enthält – „Weißt du denn gar nicht, wie schön du bist?“ –, trägt das Video eine andere Perspektive ein: Es zeigt ein junges Mädchen und dessen zerstörerisches Potenzial: Sie klaut, spuckt Menschen an, zerstört Autos und einen Rollator. Friedlich ist erst der Schluss des Videos. Diese junge Frau weiß offensichtlich nicht, dass sie schön ist – mit all ihren Narben und all ihren Farben. Wüsste sie es, wäre sie eine andere.

Dies gilt es im Unterricht mit den Schüler*innen herauszuarbeiten, indem Video und Text miteinander ins Gespräch gebracht werden. Je nach Niveaustufe der Klasse sollte der Fokus zunächst auf einem von beidem liegen: Entweder hört man das Lied samt Text und fragt nach dem dort verwendeten Schönheitsbegriff und der Bedeutung von Narben für das eigene Leben. Oder man betrachtet zunächst das Video ohne Ton und stellt Vermutungen über die Emotionen dieser jungen Frau an. Video und Musik lassen sich zusammenführen unter der Fragestellung: Was würde sich ändern, wenn die junge Frau wüsste, dass sie schön ist? Dass diese Aussage „du bist schön“ nicht begründet wird und also eine unbegründete Setzung bleibt, verspricht dabei spannende Diskussionen: Wieso ist diese junge Frau denn eigentlich „schön“ (und dass damit nicht äußerliche Attraktivität gemeint ist, dürfte allen Schüler*innen einleuchten)? Worin gründet ihre Schönheit? Und wie gelingt es, dass sie das wirklich glaubt?

Im Anschluss erstellen die Schüler*innen gegebenenfalls eine eigene Bodymap, d.h. sie zeichnen den Umriss ihres Körpers auf Tapetenrollen (Tapetenreste gibt es preiswert im Baumarkt). Auf dieser tragen sie zunächst selbst ein, was sie „schön“ macht. Das können Äußerlichkeiten sein, kann aber auch auf Charaktereigenschaften abzielen. In einem zweiten Schritt dürfen die Mitschüler*innen weitere positive Aspekte ergänzen. (Hat die Lehrkraft dabei Sorge, dass hier auch negative oder unangemessene Bemerkungen notiert werden könnten, bittet sie um die Verwendung von Post-Its, die notfalls leicht entfernt werden können.) Ein Museumsrundgang rundet diesen Baustein ein.

  • Baustein 3: Are you living an Insta lie?

Gemeinsam betrachtet die Lerngruppe den kurzen Videoclip „Are you living an Insta lie?“.4 Darin sind junge Menschen zu sehen, die bei ihren Selfies nicht vor Täuschungen zurückschrecken. Kein Bild zeigt die Realität, sondern alle sind dem Drang zur Selbstdarstellung untergeordnet. Nach der gemeinsamen Betrachtung des Videos erfolgt im Plenum die inhaltliche Aufarbeitung. Mögliche Leitfragen hierzu sind: Was haben Sie wahrgenommen? Wie fühlen sich die Protagonist*innen des Videos? Welche Herausforderungen und Gefahren einer solchen Selbstdarstellung sehen Sie?

Die exemplarischen Impulse machen deutlich, dass die Inszenierung im Internet den Druck zur Perfektion immer weiter erhöht. Der*die Einzelne kann sich nicht mehr so zeigen, wie er*sie ist, sondern muss scheinbar bestimmten Kriterien entsprechen und verliert so nicht nur seine Authentizität, sondern setzt auch andere unter zusätzlichen Druck. Wo und wie findet sich noch das wahre Ich? Und was macht es mit unseren Beziehungen, wenn wir – wie in dem Video – auch dann, wenn wir Zeit mit unseren Freund*innen verbringen, eigentlich nur bei uns selbst sind?

Dagegen kann die Lehrkraft 1Sam 16,7b setzen (gegebenenfalls als Zitat an der Tafel visualisieren): „Der Mensch sieht nur auf das Äußere, der HERR (Gott) aber sieht auf das Herz!“ Kann diese Aussage als befreiend erlebt werden – oder warum vielleicht auch nicht?

In einem zweiten Schritt werden die Schüler*innen zu einem Gedankenexperiment eingeladen: Sie alle sind die Außenminister*innen Gottes und vertreten die göttlichen Interessen auf Erden. In diesem Zusammenhang sollen sie angesichts der Ausstrahlung des Videoclips „Are you living an Insta lie?“ ein kurzes Grußwort halten. Um dieses dann schreiben zu können, arbeiten die Schüler*innen in Gruppen mit einer leicht abgewandelten World-Café-Methode einzelne Aspekte des biblischen Menschenbildes heraus.

Wichtig ist es, bei der Besprechung der Ergebnisse im Plenum folgende Aspekte herauszuarbeiten und als Ergebnissicherung gegebenenfalls zusammenfassend zu visualisieren: Wo bestehen Gemeinsamkeiten, wo Unterschiede in den Menschenbildern von Video und Bibel? Welche Bedeutung kann es für Menschen haben, sich als geliebtes Kind Gottes zu fühlen? Inwiefern verändert das die Einstellung gegenüber einer medialen Selbstinszenierung – oder vielleicht auch nicht?

Abschließend sollen die Schüler*innen in Einzel- oder Partnerarbeit in die Rolle der Außenminister*innen Gottes schlüpfen, vor dem Hintergrund der aus den Bibeltexten gewonnenen Erkenntnisse ein „Grußwort“ zu dem Clip „Are you living an Insta lie?“ schreiben und darin die theologische (göttliche) Sicht deutlich werden lassen. (Leitfragen könnten dabei sein: Was gefällt Ihnen als Außenminister*innen Gottes an diesem Video, was missfällt Ihnen? Was würden Sie den Menschen, die dieses Video schauen, gerne mit auf den Weg geben? Auf welche biblischen Texte können Sie sich stützen und was können Sie daraus für Impulse gewinnen?)

Zusätzlich wäre ein „alternatives Fotoshooting“ denkbar. Die Schüler*innen fotografieren sich selbst oder ein Detail ihrer Person, auf das sie besonders stolz sind. Teil jedes Fotos ist einer der folgenden Sätze: „Ich bin Gottes Augenstern“ – „Ich bin Gottes geliebte Sehenswürdigkeit“ – „Ich bin Gottes Ebenbild“. Ob die Lehrkraft die Schüler*innen dazu ermutigt, auf eine Bearbeitung der Bilder zu verzichten oder nicht, wäre zu überlegen. Spannende Erkenntnisse verspricht in jedem Fall die gemeinsame Betrachtung der Bilder und die Reflexion: Verändert der Spruch etwas für diejenigen, die diese Bilder anschauen? Nehme ich dadurch Menschen anders wahr? Oder nochmal allgemeiner gefragt: Warum könnte es Menschen etwas bedeuten, sich als Gottes „Sehenswürdigkeit“ oder sein „Ebenbild“ zu fühlen?

Anmerkungen:

  1. Dieser Text bietet keine vollständige Lernsituation, sondern stellt unterschiedliche Zugänge zum Thema nebeneinander, die je nach Niveaustufe und Neigung von der Lehrkraft kombiniert und zum Einsatz gebracht werden können. Besondere Anschlussfähigkeit besteht zu Lernfeld A der Rahmenrichtlinien für den Religionsunterricht an Berufsbildenden Schulen. 2A2: Die Schüler*innen beschreiben das christliche Verständnis, ein von Gott geliebter Mensch zu sein. 3A1: Die Schüler*innen leiten Aspekte des christlichen Menschenbildes aus der Botschaft Jesu Christi ab. 4A2: Die Schüler*innen verstehen die Gottebenbildlichkeit des Menschen als theologisch-anthropologische Grundaussage und erörtern Konsequenzen, die sich daraus ergeben. 6D2: Die Schüler*innen leiten aus der theologisch-anthropologischen Grundaussage der Gottebenbildlichkeit Konsequenzen in Bezug auf ihre Identität ab.
  2. Aus der Fülle der Zitate ist unbedingt eine Auswahl zu treffen; dabei ist die Niveaustufe der Klasse zu berücksichtigen. Die Zitate für Baustein 1 sind auch als digitales Tool abrufbar: https://padlet.com/rpiloc cum/cmr2t8bewrlq40ln. Achtung: Bitte vor Verwendung unbedingt klonen. Zum Klonen wird ein eigener Padletzugang benötigt; von dort aus auf den hier angegebenen Link zugreifen und dann ist das Klonen (als Option oben rechts genannt) problemlos möglich. Wichtig: Bitte nicht nur das Design klonen, sondern auch Texte und Posts mitanklicken.
  3. https://youtu.be/1gDbpWC_9pE
  4. www.youtube.com/watch?v=0EFHbruKEmw

 

Methode „WorlD-Café”


Auf maximal vier vorbereiteten Gruppentischen liegt ein Bibeltext aus, der mithilfe von Leitfragen (siehe Materialien, ggf. anpassen) zu deuten ist.

Die Ergebnisse werden auf einer Art Tischtuch (z.B. Flipchartbogen) notiert. Nach einer festgesetzten Erarbeitungszeit wechseln die Teilnehmenden die Tische, allerdings bleibt ein*e Gastgeber*in am Tisch zurück und ist Moderator*in für die nächste Runde. Für diese Rolle sollten kommunikative Schüler*innen ausgewählt werden.

Die folgenden Gruppen erhalten eine Zusammenfassung durch den*die Gastgeber*in. Sie ergänzen die Ergebnisse auf dem Tischtuch mit ihren eigenen Gedanken.

Die Methode lebt vom Austausch in chilliger Kaffeehaus-Atmosphäre. Daher empfiehlt sich eine gute Raumplanung, eventuell mit Hintergrundmusik.

Am Ende werden alle Tischtücher präsentiert; so erhalten auch die Gastgeber*innen einen umfassenden Überblick.