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Cause I love you for infinity: Der leidenschaftlich liebende Mensch.

von Christina Harder

Unterrichtsbausteine für den Sekundarbereich II

Baby, this love. I’ll never let it die. Can’t be touched by no one. I’m a mad for your touch, girl. I’ve lost control. I’m gonna make this last forever, don’t tell me it’s impossible. ‘Cause I love you for infinity. I love you for infinity.” 1

Worte voller Leidenschaft und Liebe. Es knistert, Energie pur, unbeschreiblich. Wenn ein Mensch ergriffen ist von dem, was Liebe genannt wird, dann kommen Worte an ihre Grenzen. Worte, die das Unbeschreibliche erklärend (be-)greifen wollen, können die Grenze zu dem Gefühl leidenschaftlicher Liebe nicht überschreiten (lat. transcendere). Das Transzendieren dieses unbeschreiblichen Gefühls schaffen nur Worte der Poesie, die wie Töne klingen. Transzendierende Worte wie in dem Lied „Infinity“ von Jaymes Young finden sich auch in der Bibel, z.B. im Hohelied des Salomo im Alten Testament: „Trage mich wie ein Siegel auf dem Herzen, binde mich wie eine Siegelschnur um deinen Arm! Denn die Liebe ist stark wie der Tod, unersättlich wie das Totenreich ist die Leidenschaft. Sie entflammt wie Feuerflammen, wie der Blitz schlägt sie ein.“

Was die erotische Liebe2  in einem Menschen auslösen, wie sie ihn verändern kann, davon erzählt auf charmant-humoristische Weise der Roman „Das Rosie-Projekt“ von Graeme Simsion:

Der Genetiker Don Tillmann sucht eine Ehefrau. Er ist hochintelligent, sportlich und erfolgreich. Doch es gibt ein Problem: Menschliche Beziehungen empfindet er in der Regel als höchst verwirrend und irrational. Durch einen Zufall kommt er auf die Idee, aus der Suche nach der passenden Partnerin ein Projekt zu machen. Für sein Ehefrauen-Projekt entwirft er einen 16-seitigen Fragebogen, mit dem er auf wissenschaftlich-exakte Weise die ideale Frau für sich finden möchte. Die ideale Frau für ihn muss nämlich u.a. Nichtraucherin und immer pünktlich sein, darf nicht trinken und keine Veganerin sein. Doch dann kommt Rosie. Sie ist unpünktlich, Barkeeperin, Raucherin, chaotisch, also ganz offensichtlich ungeeignet. Doch wie das mit Gefühlen und der Liebe eben ist: Sie sind unberechenbar und haben ihre eigene Logik. Und das wirft Dons Leben komplett aus der Bahn …


Person-Sein als Grundbegriff christlicher Anthropologie

Der überzeugte Naturwissenschaftler Don Tillmann kennt sich ausschließlich in der Welt beweisbarer Fakten aus. Die Welt jenseits rational-logischen Denkens, empirischer Datensammlungen und Statistiken ist ihm unbekannt. Deshalb verunsichert ihn jegliche Form von Emotionen, vor allem der Gedanke an eine romantische Liebe. Dennoch möchte er gerne eine Partnerin fürs Leben finden, fest davon überzeugt, dass er diese nach streng wissenschaftlichen Kriterien finden kann.

Erst im Laufe seines Ehefrauen-Projekts und vor allem, nachdem Rosie in seinem Hirn ein kräftiges Tohuwabohu ausgelöst hat, stellt Don allmählich entsetzt fest, dass er mit seinem Kriterienkatalog potenzielle Kandidatinnen im Grunde ausschließlich unter dem Aspekt des objektiven Nutzens auswählen oder eben aussortieren wollte. Damit hat er Frauen letztlich zum Objekt gemacht, selbst unter Berücksichtigung der Freiwilligkeit beim Ausfüllen des 16-seitigen Fragebogens. Denn ein Auswahlverfahren nach strengen Kriterien macht einen Menschen austauschbar. Er ist nicht mehr einzigartige, unverwechselbare Person mit einer ganz eigenen, bedingungslosen Würde, sondern lediglich die Summe rein objektiv-rational passender Charaktereigenschaften und Gewohnheiten.

Christliche Anthropologie hingegen sieht jeden Menschen uneingeschränkt und bedingungslos als Person. Was bedeutet das? Was bedeutet das konkret für die erotische Liebesbeziehung?

„Gott schuf den Menschen als sein Abbild, als Ebenbild Gottes schuf er ihn.“ (Gen 1,27) Als Ebenbild Gottes ist jeder Mensch von Geburt an eine einmalige, unverwechselbare, nicht austauschbare Person. Als solche sind jedem Menschen ohne jede Vorbedingung, ohne jede (Vor-)Leistung seine unantastbare Würde und sein einmaliger Wert geschenkt. Daraus folgt: Da, wo einem Menschen ein Gebrauchswert gegeben und er nach Aspekten des Nutzens beurteilt wird; da, wo ein Mensch wie ein austauschbares Objekt gesehen und behandelt wird, da wird er tief in seinem Person-Sein und damit in seiner Würde angetastet.

„Es ist nicht gut für den Menschen, dass er allein ist.“ (Gen 2,18) Das Person-Sein ist jedem Menschen geschenkt, doch es vollzieht sich erst und wird für die einzelne Person erfahrbar in der Beziehung zu anderen Personen. Erst in der Ich-Du-Beziehung erfährt ein Mensch, wer er ist, sein könnte und sein möchte. Im Gesicht des anderen, im Spiegel seines Gesichtes, kann eine Person quasi ihr eigenes Gesicht entdecken.

Von besonderer Bedeutung ist dabei die erotische Liebesbeziehung. Im Spiegel des Gesichtes des sehnsuchtsvoll geliebten Menschen erfährt sich ein Mensch als einmalige Person. Tiefenpsychologisch ausgelegt3  kommt zu Beginn des Zweiten Schöpfungsmythos in Genesis 2,4-25 das Verlangen des Menschen nach sich selbst in einem anderen Menschen zum Ausdruck, das in jedem Menschen wesenhaft liegt. Dem Menschen als Person ist demnach die Sehnsucht nach Ganzheit, Vollständigkeit eingepflanzt. Diese wiederum äußert sich in der tiefen menschlichen Hoffnung, in der erotischen Liebesbeziehung zu einer anderen Person genau das auch zu erfahren: nicht austauschbar, sondern eine unverwechselbare und einzigartige Person von unbezahlbarem Wert – einfach wundervoll zu sein.


Didaktische Überlegungen

In der Qualifikationsphase des Sekundarbereichs II sind im Kompetenzbereich Mensch als zu fördernde inhaltsbezogene Kompetenzen u.a. vorgesehen:

Die Schüler*innen
•    erläutern die biblische Auszeichnung des Menschen als Geschöpf und Ebenbild Gottes;
•    vergleichen das biblische Menschenbild mit anderen anthropologischen Entwürfen.4

Beide formulierten Kompetenzen werden in den hier vorgestellten Unterrichtsbausteinen gefördert. Darüber hinaus bietet die exemplarische Auseinandersetzung mit dem Person-Sein als einem Grundbegriff christlicher Anthropologie im Kontext der Frage nach dem Menschen in der erotischen Liebesbeziehung zahlreiche points of engagement für Schüler*innen im Sekundarbereich II.

Viele von ihnen haben mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits erste Erfahrungen mit dem Verliebtsein und der erotischen Liebe gemacht, sehnen sich nach einer liebevollen Beziehung, sind aktuell verliebt oder fragen sich, ob das, was sie gerade für eine andere Person fühlen, schon die Liebe ist. Möglicherweise haben sie auch bereits Enttäuschungen in einer Liebes-Beziehung erlebt, weil sie sich nicht gesehen, ausgenutzt und zu einem austauschbaren Objekt degradiert fühlten.

An der Haltung zueinander und dem Umgang miteinander in einer Liebes-Beziehung bildet sich sehr gut das Selbstbild genauso wie das Bild vom anderen Menschen ab: Wird in dem anderen Menschen lediglich die Möglichkeit gesehen, eigene Wünsche und Bedürfnisse zu erfüllen? Soll der andere womöglich vor allem das eigene Ansehen, das Prestige in der Öffentlichkeit erhöhen und erfüllt darin einen rein objektiven Nutzen? Wird der andere als austauschbar angesehen, nach dem Motto: Wir bleiben so lange zusammen, bis ich ‚etwas‘ Besseres finde? Oder wird der andere in der Liebes-Beziehung als einzigartige, unverwechselbare Person gesehen? Können sich beide Seiten in der Liebes-Beziehung als bedingungslos geliebt und deshalb als einzigartige Person mit einer einmaligen Würde erfahren?

Die Schüler*innen erhalten mit dem im Folgenden vorgestellten Material und den Aufgaben den Raum, diese Fragen zu erörtern und sich dabei grundsätzlich mit dem christlichen Menschenbild im Vergleich zu anderen anthropologischen Entwürfen auseinanderzusetzen.


Das Ehefrauen-Projekt

Für alle Schüler*innen sichtbar wird der erste Satz aus dem Roman „Das Rosie-Projekt“ von Graeme Simsion angeschrieben bzw. gezeigt: „Ich denke, ich habe eine Lösung für das Ehefrauen-Problem gefunden.“ Sie werden um spontane Gedanken und Gefühle zu dem Satz gebeten. Voraussichtlich werden sie recht schnell darüber spekulieren, worin im Zusammenhang mit „Ehefrau“ ein Problem liegen könnte; außerdem, wie eine entsprechende „Lösung“ aussehen könnte. Außerdem ist davon auszugehen, dass einige Schüler*innen bereits auf eine wertende Ebene gehen, ihr Unbehagen über die Aussage zum Ausdruck bringen und womöglich auch Gründe für ihre innere Distanz zu dem Satz erläutern können; wie z.B.: „Es ist frauenverachtend, wenn Frauen in einen direkten Zusammenhang mit einem Problem gebracht werden, das in irgendeiner Weise gelöst werden muss.“

Nach diesem ersten Diskurs, in dem also möglicherweise bereits Aspekte wie „Würde“, „Respekt“ oder „Wert/Abwertung“ eine Rolle gespielt haben könnten, wird der Ausschnitt aus dem Roman „Das Rosie-Projekt“ (M 1) gelesen. Daran schließt die erste Aufgabe an: ein kurzes Gedankenexperiment zu der Frage, ob die Schüler*innen den 16-seitigen Fragebogen Don Tillmanns ausfüllen würden. Nach dem Austausch in Murmelgruppen erhalten die Schüler*innen die Aufgabe, die Haltung Dons gegenüber seiner potenziellen Ehefrau sowie sein Verständnis von einer erotischen Liebes-Beziehung herauszuarbeiten und das darin zum Ausdruck kommende Menschenbild gemeinsam zu erörtern. Dabei werden sie bereits zentrale Aspekte eines Menschenbildes herausarbeiten, das Menschen in erster Linie im Lichte von Nutzen und Leistung, äußeren Merkmalen und möglichst positiven Charaktereigenschaften sieht und beurteilt: austauschbar, ersetzbar, Objekt, Summe positiver Eigenschaften ohne Ecken und Kanten, ‚perfekt‘.


Eine Collage von der Liebe

Über eine Collage (M 2) aus sachlichen und poetischen Texten, einem Lied, einem Bild und ggf. einem YouTube-Video erhalten die Schüler*innen weitere Impulse, sich mit verschiedenen Menschenbildern vertiefend auseinanderzusetzen, die in der Haltung zum anderen in der Liebesbeziehung ebenso wie im Verständnis von der erotischen Liebe zum Ausdruck kommen. In dem Textausschnitt aus Molières „Don Juan“ werden Frauen zu austauschbaren Objekten, die Don Juan vor allem zur Befriedigung seiner Eitelkeit dienen. Im Kontrast dazu bringt das Lied „Infinity“ von Jaymes Young eine leidenschaftliche Liebe zum Ausdruck, in der die Geliebte als einzigartige Person und die Liebe zu ihr als einmalig und „unendlich“ gesehen wird.

Der Sachtext „Liebe ist eine Kosten-Nutzen-Analyse“ wiederum entzaubert die erotische Liebe komplett und sieht die Partnerwahl – wie Don Tillmann in dem Roman „Das Rosie-Projekt“ – ausschließlich unter rein rationalen ebenso wie streng empirischen Gesichtspunkten. Einen erneuten Kontra-Punkt setzt hier schließlich ein biblischer Textauszug: nämlich aus dem Hohelied des Salomo (AT). Hier beschreiben die beiden Liebenden in wunderschöner poetischer, bildreicher Sprache ihre tiefen Gefühle zum jeweils anderen und wie sie den bzw. die Geliebte sehen: nämlich als einmalig wundervolle, bezaubernde Person. Last but least unterstreicht das Bild „Der Kuss“ von Gustav Klimt diese Haltung und Auffassung von einer leidenschaftlichen Liebesbeziehung, die die Grenzen zum Geheimnis- und Wundervollen des Lebens transzendiert.


Du bist einmalig und wundervoll!

Die Schüler*innen erhalten einen eigens für diesen Praxisartikel verfassten Sachtext über einen Grundbegriff christlicher Anthropologie: Person-Sein (M 3)5 . Sie haben die Aufgabe, die Informationen daraus über die Bedeutung des Person-Seins in der christlichen Anthropologie in Beziehung zur Collage zu setzen, schließlich zu der christlichen Vorstellung jedes Menschen als Person – insbesondere in der erotischen Liebesbeziehung – Stellung zu nehmen.

Zu guter Letzt reflektieren die Schüler*innen ihre eigenen Standpunkte und Ansichten zur Liebe ebenso ihr darin abgebildetes eigenes Menschenbild noch einmal vertiefend, indem sie eine eigene Fortsetzung des Romans „Das Rosie-Projekt“ gestalten. Sie können weitere Auszüge aus dem Roman als Anregungen nutzen; z.B.: „Mein Verstand hatte ausgesetzt. Natürlich ist das eine Standardphrase und damit eine heillose Übertreibung der Situation. Mein Hirnstamm funktionierte weiterhin, mein Herz schlug noch, und ich vergaß auch nicht zu atmen. Ich konnte meine Tasche packen, auf dem Zimmer frühstücken, zum Flughafen JFK fahren, einchecken und das Flugzeug nach Los Angeles besteigen. Ich schaffte es auch, so weit mit Rosie zu kommunizieren, um diese Aktivitäten zu koordinieren. Doch meine Fähigkeit nachzudenken hatte ausgesetzt. Der Grund lag auf der Hand: emotionale Überlastung! (…) Für mein Hirn war es wie ein Amoklauf, der meine Denkfähigkeit lähmte. Dabei hätte ich all meine Denkfähigkeit gebraucht, um das Problem zu analysieren.“6

 

Anmerkungen

  1. Strophe aus dem Refrain des Liedes „Infinity“ von Jaymes Young; www.youtube.com/watch?v=RY607 kB2QiU
  2. In diesem Praxisartikel geht es um die erotische Liebe zwischen zwei Menschen, den Eros. Während das griech. Wort agape die nicht sinnliche, meistens selbstlose Liebe meint (z.B. die Liebe Gottes, die Nächstenliebe, die Feindesliebe), geht es bei dem lat. Wort eros um die leidenschaftliche, sehnsuchtsvoll sinnliche Liebe.
  3. Vgl. Drewermann, So rätselhaft und unbezwingbar.
  4. Kerncurriculum Evangelische Religion gymnasiale Oberstufe, 20.
  5. Einige Ausführungen sind an Texten aus dem Schulbuch „Neue Akzente Religion 2, Wegweisungen” angelehnt. Dort finden sich weitere Texte und Materialien zu anthropologischen Grundfragen, insbesondere auch zu Fragen nach dem liebenden Menschen.
  6.  Simsion, Das Rosie-Projekt, 271.

 

Literatur

  • Drewermann, Eugen: So rätselhaft und unbezwingbar, in: Publik Forum extra. Liebe, Bayreuth 1990, 3-4
  • Bubolz, Georg / Otto, Klaus (Hg.): Auf der Suche nach gelingendem Leben. Arbeitsbuch Religion – Sekundarstufe II, München 2013
  • Niedersächsisches Kultusministerium (Hg.): Niedersächsisches Kerncurriculum Evangelische Religion für das Gymnasium – gymnasiale Oberstufe, die Gesamtschule – gymnasiale Oberstufe, das Berufliche Gymnasium, Hannover 2017
  • Simsion, Graeme: Das Rosie-Projekt, 5. Aufl., Frankfurt am Main 2014

 

Rosi-Projekt Cover

Graeme Simsion

Das Rosie-Projekt

Fischer Taschenbuch
Frankfurt am Main 2015
ISBN 978-3-596-52083-1