Freiwillig, um etwas Positives für die Gesellschaft zu tun

Kirsten Rabe im Gespräch mit Florian Rabe

„Ich glaube, es gehört zu den schwierigsten Dingen von Erziehung, einem jungen Menschen beizubringen, was Respekt ist."

Kirsten Rabe: Als wir in der Redaktion gemeinsam überlegt haben, welche Artikel wir uns für ein Heft zu Biografien und Vorbildern vorstellen könnten, war am Wochenende gerade eure 72-Stunden-Aktion gelaufen. Was genau verbirgt sich dahinter und wie sah euer Wochenende aus?

Florian Rabe: Die 72-Stunden-Aktion ist – wie der Name schon sagt – eine 72 Stunden andauernde Aktion verschiedener öffentlicher Vereine und Gemeinschaften.1  Auch unsere Landjugend hat daran teilgenommen, inzwischen zum dritten Mal. Inhalt dieser Aktionen sind Unternehmungen und Projekte, die der Allgemeinheit dienen. Das können bauliche Projekte sein, aber auch Veranstaltungen oder bestimmte Tätigkeiten mit sozialem Schwerpunkt.
Um die uns gestellte Aufgabe zu erfüllen, sind wir als Landjugend bisher jedes Jahr handwerklich tätig geworden und haben zum Beispiel Spielplätze innerhalb unserer Gemeinde aufgebaut und erneuert. Das Spannende dabei ist, dass besagte Projekte innerhalb von drei Tagen, sprich 72 Stunden, abgeschlossen sein sollen. Am Ende der Aktion wird das Ergebnis dann Interessierten der Gemeinde präsentiert. Ein nicht ganz abgeschlossenes Projekt wäre zwar kein ernsthaftes Problem, würde aber doch ein unbefriedigendes Gefühl zurücklassen. Außerdem möchte sich bei aller gesunden Hassliebe zwischen den einzelnen Gruppen einer Gemeinde natürlich niemand der Schmach hingeben, die auferlegte Aufgabe nicht abgeschlossen zu haben. Wir sind glücklicherweise immer pünktlich fertig geworden und konnten einem kleinen lokalen Skandal entgehen – an so einem Wochenende geht es dann aber schon stressig zu und der Umgangston wird auch mal etwas lauter. Was diesen Aktionen noch lange nachklingt, sind das tolle Gefühl, seinen Mitmenschen nachhaltig etwas Gutes zu tun, und das Gefühl von Gemeinschaft und Unterstützung. Kurzum also eine echt sinnvolle Aktion.

Kirsten: Landjugend – das klingt ja doch erstmal ein bisschen spießig. Die Homepage der Niedersächsischen Landjugend verrät allerdings, dass sich inzwischen mehr als 10.000 Jugendliche und junge Erwachsene dort engagieren – selbstverständlich ehrenamtlich. Wie erklärst du dir diese Motivation?

Florian: Wie viele Dinge in der Welt der Vereine und Gemeinschaften lebt auch die Landjugend von einer gewissen Tradition. Viele Mitglieder sind Kinder von Landwirten und kennen von zu Hause aus eine gewisse Form des freiwilligen Engagements, ohne das so ein Hof eben nicht läuft. Hier spielt auch die Familientradition eine Rolle: Wenn der große Bruder oder die große Schwester schon Mitglied einer Landjugend waren, so werden es eben auch die kleinen Geschwister. Bewährtes muss so schlecht eben nicht sein. Tradition ist wohl in vielen Bereichen des Alltags im ländlichen Raum präsenter als in der Stadt, das zeigt sich auch in der Wahl der Freizeitgestaltung in Vereinen oder der Selbstverständlichkeit von Ehrenämtern.
Tradition ist aber sicher nicht der einzige Punkt. Ich denke, ein nicht unerheblicher Teil der Motivation, Mitglied zu sein, resultiert aus dem Wunsch, etwas Positives für die Gesellschaft zu tun. Anfangen kann dies bei Naturschutz-Aktionen, enden bei der Organisation von Landjugendfeten, um das ländliche Nachtleben etwas aufzuhübschen. Und schließlich ist man Teil einer Gruppe, die sich für gemeinsame Ziele einsetzt, die ja auch Sicherheit und Rückhalt bietet. Schlicht gesagt: gute Freunde, auf die man sich verlassen kann (und die gelegentlich auch mal ein gekühltes Getränk bereithalten).

Kirsten: Viele Schüler*innen entscheiden sich nach dem Schulabschluss zunächst für ein freiwilliges Jahr, häufig ist es ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ), aber auch ein Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) oder auch Freiwilliges Jahr in der Denkmalpflege (FJD). Du selbst hast dich nach dem Abitur für ein FSJ entschieden. Welche Bedeutung kann ein solches Jahr für die eigene Biografie bekommen?

Florian: Ich unterstelle einem Großteil derjenigen, die einen Freiwilligendienst leisten, mal ganz vorsichtig eine Unsicherheit darüber, wie sich ihr berufliches Leben entwickeln soll. Ich halte das nicht für eine Schwäche, im Gegenteil. Insbesondere die erst vor Kurzem in Niedersachsen revidierte G8-Regelung hat sehr junge und wenig lebenserfahrene Abiturient*innen hervorgebracht. Unter anderen mich. Ich war, wie viele andere auch, unsicher: Studium oder doch Ausbildung? Welcher Beruf macht mir Spaß? Wo liegen meine Stärken? Mein FSJ im Rettungsdienst hat mir – an den meisten Tagen zumindest – deutlich gemacht, dass „Arbeit“ nicht negativ konnotiert sein muss. Das war gut. Auch, wenn es sehr anstrengende Tage gab, an denen ich doch lieber zu Hause im Garten gelegen hätte.
Mich hat mein FSJ außerdem vor einem für mich nicht passenden Beruf „gerettet“. Nach meinem Abitur und vor meinem FSJ saß ich nämlich bereits in einer großen, wenig schönen Stadt im Ruhrpott in der Firmenzentrale eines großen deutschen Unternehmens, um möglichst erfolgreich einen Eignungstest zu absolvieren. Der damals so erhoffte Erfolg hielt sich – rückblickend betrachtet: glücklicherweise – in Grenzen und ich orientierte mich neu. Das dann folgende FSJ öffnete Türen für einen Beruf im Rettungsdienst beziehungsweise der Feuerwehr. Andererseits kann ein Freiwilligendienst einem jungen Menschen auch zeigen, dass er sich sein Berufsleben definitiv anders vorstellt und es gerade nicht dieses Berufsfeld werden soll.
Hinter einem Freiwilligendienst steht eine „gute Sache“. Zugleich ist die Arbeit häufig sehr anstrengend; finanzielle Vergütung wird nur zur eigenen Versorgung gewährt. Viele junge Menschen nehmen diese Aufgabe dennoch an, weil sie mit diesem Dienst etwas Gutes und Sinnvolles leisten wollen. Ich selber muss an dieser Stelle so ehrlich sein und zugeben, dass neben dem Dienst am Menschen genauso die berufliche Orientierung maßgeblich für meinen Entschluss zum FSJ war.
Welche Bedeutung ein solches Jahr für die eigene Biografie hat? Es ist eine Chance, sich nicht direkt ins Freischwimmerbecken des Berufslebens zu begeben, sondern sich im flacheren Becken auszuprobieren, Sicherheit und Selbstbewusstsein zu gewinnen. Menschen, die ihre Arbeitskraft und Zeit gerne in eine gute Sache investieren, wird eine wertschätzende Chance für ihr Engagement gegeben. Die eigenen Stärken werden deutlich und man merkt, dass man etwas bewirken kann. Häufig trifft man im Rahmen solcher Dienste auch Gleichgesinnte und mit etwas Glück entstehen langjährige Freundschaften. Ganz nebenbei verbessert ein abgeleistetes FSJ übrigens auch die Abiturnote und erleichtert den Weg zum Numerus Clausus.

Kirsten: Du bist mit elf Jahren der Jugendfeuerwehr beigetreten, hast die Berufsausbildungen zum Rettungsassistenten, Brandmeister und Notfallsanitäter gemacht und arbeitest nun auf der Rettungswache. Verändert man sich, wenn man in einem solchen Berufsfeld unterwegs ist?

Florian: Diese Frage könnte mein Umfeld vermutlich besser beantworten als ich. Ich hoffe jedenfalls, dass ich mich, wenn, dann zum Positiven hin verändert habe. Ich habe im Rahmen unseres Berufes Situationen erlebt und Momente durchlebt, die dem Großteil der Gesellschaft fremd oder höchstens durch beeindruckend schlecht nachgestellte Notfallszenarien im Privatfernsehen bekannt sind. Als Mitarbeiter im Rettungsdienst sieht man vielleicht einige Dinge mit anderen Augen. Zum Beispiel Trunkenheit im Straßenverkehr, die Folgen von Alkoholismus oder sonstigen Suchterkrankungen. Auch der Umgang mit Tod und Sterben ist vermutlich ein anderer. Wir begegnen Menschen in Extremsituationen. Das fordert uns, unsere Sozialkompetenz und Empathiefähigkeit.

Kirsten: Zwei Fragen habe ich noch an dich: Gibt es Vorbilder, an denen du dich orientiert hast bzw. orientierst? Und: Verstehst du dich selbst als Vorbild für andere?

Florian: Mein größtes Vorbild ist tatsächlich mein Vater, der einen großen Teil seines Berufslebens ebenfalls auf dem Rettungswagen bzw. der Rettungsleitstelle tätig war. Seine berufsethischen Grundsätze und sein Verantwortungsbewusstsein haben mich schon geprägt. Ich kann behaupten, dass ich überhaupt in einem Umfeld aufgewachsen bin, in dem ich mir eine gewisse Sozialkompetenz abgucken konnte. Ich glaube, es gehört mit zu den schwierigsten Dingen von Erziehung, einem Kind bzw. jungen Menschen beizubringen, was Respekt ist. Das hat bei mir, glaub ich, ganz gut funktioniert. Die Frage, warum ich eigentlich Respekt vor jemandem haben soll, stellte sich mir nie. Warum auch? Andere berufliche Vorbilder hatte ich und habe ich definitiv: meine Kolleg*innen, die schon länger im Dienst sind und die eine Menge Erfahrungen mitbringen.
Ob ich mich selbst als Vorbild für andere sehe? Ich würde mal sagen: Jein. Ja, vielleicht im Durchhaltevermögen, meine Ziele zu erreichen, den Schulabschluss oder das Staatsexamen zum Beispiel. Ich bin in der Lage, mich auch mal zum Arbeiten zu zwingen; ich habe da schon einen starken Willen. Auch in Sachen Pflicht- und Verantwortungsbewusstsein könnte ich vielleicht ein kleines Vorbild für andere sein. Ich gebe mir jedenfalls größte Mühe, zuverlässig zu sein.
Ob ich moralisch oder ethisch ein Vorbild bin? Das möchte ich mir nicht anmaßen zu entscheiden. Auch ich mache Fehler und nicht jede Entscheidung, die ich treffe, stellt sich immer als die richtige heraus.

Kirsten: Ich danke dir für deine Zeit und wünsche dir für alle kommenden sozialen Projekte und Aufgaben alles Gute.

Anmerkungen:

  1. Die 72-Stunden-Aktion wird vom Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) initiiert. Nähere Informationen gibt es unter: https://www.bdkj.de/aktionen/72-stunden-aktion