In ihrem Buch „Wie ist Jesus weiß geworden? Mein Traum von einer Kirche ohne Rassismus“ beleuchtet Sarah Vecera, warum es in einer Kirche, die zu Beginn für alle Menschen gedacht war, rassistische Strukturen gibt, die weißen Menschen meistens gar nicht auffallen. Da die Kirchen auf das Thema Rassismus meist nur von außen schauen, will sie von innen an konkreten Beispielen auf die Probleme aufmerksam machen, Hinweise geben, Sensibilität schaffen und Veränderungen erzielen. Sie will dazu ermutigen, eine Kirche zu gestalten, in der alle willkommen sind.
Im Kapitel „Liebe weiße Kirche …“ stellt Vecera nachvollziehbar dar, wie Jesus weiß und Christ geworden ist. Dazu holt sie die sonst oft so ferne Kirchengeschichte in die Welt des Hier und Jetzt.
»Wie kam es dazu, dass Jesus weiß wurde? Fangen wir mal dabei an, was wir aus der Bibel über Jesu Aussehen wissen. Eigentlich nicht so viel. Wir wissen, dass Jesus in Betlehem geboren wurde (Matthäus 21) und seine Familie aus Nazareth kam (Lukas 1,26). Jesus schien nicht besonders anders auszusehen als die Menschen um ihn herum, sonst hätte Judas den Soldaten kein Erkennungsmerkmal geben müssen, um Jesus zu identifizieren (Matthäus 26,48). Viel mehr Infos bekommen wir über Jesu Äußeres aus der Bibel nicht., aber die Forschung hat sich damit beschäftigt. Demnach entsprach Jesu Physiognomie in etwa der der Menschen, die im heutigen Irak leben.
In der Zeit des frühen Christentums und aus Lebzeiten Jesu nahm man das Gebot, sich kein Bildnis zu machen, sehr ernst; daher gibt es keine Darstellungen aus dieser Zeit. Die ersten überlieferten Christusdarstellungen stammen aus dem 3. Jahrhundert aus römischen Katakomben. Dort wurde Jesus als guter Hirte dargestellt: mit weißer Haut, Tunika und kurzem lockigem Haar. Sehr römisch. Als Kaiser Konstantin das Christentum zur Staatsreligion erklärte, wurde aus dem Hirten der allmächtige Herrscher mit Bart und langem Haar. Die bildlichen Darstellungen hatten zu der Zeit aber nicht den Anspruch, Jesus möglichst realistisch darzustellen. Bilder sollten bis ins Mittelalter hinein vielmehr die Funktion des Dargestellten deutlich zum Vorschein bringen. Individualität wurde erst in der Renaissance wichtig. Um die Funktion des Hirten darzustellen, dienten Darstellungen von Orpheus, Hermes und Apollon als Grundlage. Der Herrscher-Christus könnte auf Zeus-Darstellungen zurückzuführen sein. Forschungen gehen aber davon aus, dass die damaligen Jesusbilder von Philosophen mit Bart und Toga geprägt waren. Dies waren die Grundlagen, als es im 8. und 9. Jahrhundert zum Bilderstreit kam und sich die Auffassung verbreitete, dass Jesus aufgrund seiner menschlichen Natur auch eine darstellbare Seite hätte und es daher nicht gegen das zweite Gebot („Du sollst dir kein Bildnis machen…“) verstoße, Jesus doch zu verbildlichen.
Im Mittelalter kam der weiße Jesus zudem ganz gelegen, weil er weniger jüdisch aussah, als wenn er ein dunkelhaariger Jesus of Color gewesen wäre. Das weiße Bild blieb also hartnäckig bestehen – und bot schließlich eine gelungene Grundlage für die koloniale Karriere des weißen Jesus. Für europäische Christ*innen war die weiße Haut nicht einfach direkt und niedrigschwellig zugänglich, sie bekam auch eine absichtsvolle geistliche Dimension. Jesus wurde nämlich nicht nur weiß, sondern auch Christ. Maria demzufolge ohne Ohrringe dargestellt, denn Ohrringe galten als jüdisches Merkmal und wurden nach der Konversion zum Christentum nicht mehr getragen. Letztendlich gipfelte all das darin, dass die Nationalsozialisten Jesus als „Arier“ darstellten. Die Kolonialzeit bot aber auch hier wieder den Nährboden dazu. Es waren europäische Missionare, die den weißen Jesus in die Welt trugen. Die weiße Haut diente dazu zu untermauern, dass weiß herrscht und andere folgen. Hätte der liebe Gott so ausgesehen wie die Unterdrückten, hätte dies zu Irritationen führen können. Dieses Gesamtkonzept wurde nicht nur mittels Bildern durchgesetzt, sondern auch mit redigierten Bibelausgaben für Sklav*innen, um den Widerstand gegen die Obrigkeit zu tilgen. Weiß-Sein wurde zum Merkmal der Herrschenden. Jesus kam ja nicht nur als blauäugiger blonder netter Typ daher, er wurde auch von amerikanischen Kriegsflugzeugen und britischen Kanonenbooten unterstützt, um sich durchzusetzen. Jesusbilder, die einen Jesus of Color darstellten, blieben die Ausnahme und setzten sich daher kaum durch. Bis heute sehe ich in den Kirchen Afrikas und Asiens einen weißen Jesus, den die Europäer*innen vor über 100 Jahren dort einführten. Das Bild eines weißen Gottes steht im Gegensatz zu der schwarzen Symbolik des Bösen, die sich ebenfalls bis heute in Kirchenliedern und in unserer Sprache hält. Im Prinzip geschah mit Jesus genau das, was generell zur Kolonialzeit geschah: Jesus wurde inkulturiert, ohne zu benennen, dass dies passierte. Es wurde als Standard und Wahrheit verkauft. Das Christentum wurde instrumentalisiert und hat sich instrumentalisieren lassen. Und das ist letztendlich das Problem.«