Kinder und Gott
Vom Kind und seinem Glauben gab es lange Zeit ein festes Bild: Es wurde angenommen, dass Kinder sich Gott notwendig menschenähnlich vorstellten, (biblische) Texte nur buchstäblich verstehen könnten und zur Unterscheidung von Fantasie und Realität unfähig seien. Gott sei für Kinder quasi naturgegeben ein freundlicher Mann im Himmel, der Wünsche erfülle, falls das Kind bete und sich angemessen verhalte.
Dieses Bild vom Kind und seinen Gottesvorstellungen dominierte die religiöse Erziehung viele Jahre. Theorien , nach denen jedes Kind – unabhängig von Erziehung, Lebenswelt und umgebender Kultur – altersabhängig die gleiche Stufenfolge unterschiedlicher Glaubensvorstellungen durchlaufe, stützten es.
Doch unsere Gesellschaft hat sich stark gewandelt: Kinder wachsen heute in pluralen Lebenswelten auf. Dazu passen die Gleichförmigkeitsthesen der Gottesvorstellung nicht mehr. Einige Forschungen, u.a. von Anna-Katharina Szagun , versuchen daher neu zu überlegen, wie Kinder ein Gottesbild entwickeln.
Dies empirisch zu erfassen, ist jedoch gar nicht einfach, da Interviewmethoden mit Kindern deutlich weniger ergiebig sind als mit Jugendlichen oder Erwachsenen. Nach und nach haben sich daher Zeichnungen als sinnvolle Befragungsmethode etabliert . Mit ihnen haben die jungen Befragten eher die Möglichkeit, ihre Vorstellungen altersangemessen und intuitiv zum Ausdruck zu bringen. Dabei zeigt sich zum einen, dass Kinder selten ein festes, fertiges Bild von Gott im Kopf haben, vielmehr entsteht und verändert sich ihr Bild im Prozess des Zeichnens . Zum anderen ist unübersehbar: Die Gotteskonzepte von Gleichaltrigen sind so unterschiedlich wie ihre Lebenslagen.
Das familiäre Beziehungsgeschehen sowie die Vorgaben und gelebten Haltungen von Erwachsenen zu Gott sind entscheidende Weichen für das kindliche Gottesbild. Heranwachsende nehmen seismographisch die „echten“ Positionen von Erwachsenen auf und diese Modelle sind zentral wirksam – für wie gegen den Glauben. Daher variieren Gotteskonzepte von Gleichaltrigen oft stark je nach Beziehungsklima und Offenheit sowie der Lebensrelevanz des Glaubens in der Familie. Die Forschungen zeigen aber auch, dass im Grundschulalter anthropomorphe Gottesdarstellungen bei weitem überwiegen. In mehr als 80 Prozent der Bilder wird Gott als Mann dargestellt, oft mit Bart, im Weltall beheimatet oder über den Wolken schwebend. Doch es gibt auch andere, metaphorische Bilder: Gott als Panzer oder Gott als Ruheplatz im Herzen – Bilder die häufig die gefühlten Lebenslagen der Kinder widerspiegeln. Deutlich wird in den Studien auch, dass Gotteskonzepte von Mädchen und Jungen sich an einigen Stellen signifikant unterscheiden: Jungen betonen tendenziell stärker den Allmachtsaspekt, während bei Mädchen der Beziehungsaspekt dominiert. Gott ist bei ihnen häufiger ein Gott der Fürsorge und Nähe.
Interessant für alle, die sich mit religiöser Bildung von Kindern beschäftigen, dürfte sein, dass kein Kind Gott erfindet, aber (fast) jedes Kind offen für eine Gottesvorstellung ist, wenn ihm nahe Bezugspersonen solch eine Vorstellung vermitteln. Die Idee einer die Eltern überbietenden Kraft und Macht, die Schutz und Geborgenheit für alle bietet, ist für das Kind eine zusätzliche Quelle von Sicherheit.
Je nach Anregungsimpulsen, individuellem Interesse und Kommunikationsräumen erweitern, korrigieren und systematisieren Kinder mit steigendem Alter ihr Konzept, falls dem keine emotionalen Barrieren (z.B. Familienloyalität) entgegenstehen.
Gott im Religionsunterricht in der Grundschule
Für die schulische Auseinandersetzung mit „Gott“ bedeutet dies, dass Anregungsimpulse angeboten und Kommunikationsräume geschaffen werden müssen, damit Kinder ihre Gotteskonzepte weiterentwickeln können.
Dabei sollten die Kinder als theologisch produktive und kompetente Subjekte ernstgenommen werden , die neben aller Tendenz zum buchstäblichen Verstehen auch schon beim Schuleintritt – zumindest teilweise – zu einem aktiven und passiven Umgang mit Metaphern fähig sind. Werden sie ernstgenommen und auf Gegenargumente aufmerksam gemacht, können sie in Diskussionen oder der individuellen Auseinandersetzung ihre anthropomorphen Gottesbilder zu apersonalen Bildern weiterentwickeln, naive Konzepte überdenken und zu weiterführenden theologischen Einsichten gelangen, was einem Enttäuschungsatheismus vorbeugen kann. Dabei hilft selbstverständlich auch die zunehmende kognitive Reife mit einer steigenden Tendenz zu Abstraktion und Systematisierung.
Im Kerncurriculum für die Grundschule heißt es dazu: „Schüler*innen fragen danach, ob es Gott gibt und wie er sich zeigt. Sie bringen individuelle oder keine Vorstellungen von Gott mit. Im Religionsunterricht lernen die Schüler*innen biblische Gottesbilder und verschiedene Gottesvorstellungen kennen. Sie nehmen Gotteserfahrungen anderer Menschen zur Kenntnis und beziehen sie in eigene Vorstellungen ein, so dass diese geöffnet und weiterentwickelt werden können.“
Für Religionslehrende gilt folglich :
- Mitgebrachte Vorstellungen von Gott sollten geachtet, aber nicht unbedingt verstärkt werden. Ein „Für-Wahr-halte-Glauben“ wird weder für Erwachsene noch für Kinder zu einer Ressource.
- Das Reden von Gott bedarf einer eigenen Sprache, die traditionelle Engführungen (z. B. von Gott als gutem Vater) vermeidet.
- Die Bild- und Sprachformen der Bibel sollten lebendig, aber auch hinterfragbar gemacht werden.
- Erlebnisräume zum Mitfühlen, Staunen, Teilen und Danken sollten geschaffen werden.
Wie könnte das gehen?
Das Bilderbuch „Was, wenn Gott einer, keiner oder viele ist?“ greift in zwölf Gegensätzen Vorstellungen von Menschen über Gott auf, wie zum Beispiel: „Manche denken, dass es Gott wirklich gibt, dass er ein echtes Wesen ist mit einer eigenen Persönlichkeit und eigener Geschichte. Andere glauben, dass Gott eine Idee ist, die uns dazu dient, den Ursprung der Welt zu erklären und Geheimnisse wie das Leben und den Tod.“
Diese Gegensätze sollten den Schüler*innen einer dritten oder vierten Klasse zunächst unkommentiert vorgelesen werden, je nach Lerngruppe evtl. leicht gekürzt. Die Abschlussfrage des Buches „Und du?“ leitet dann in die anschließende Stationenarbeit (M 1 bis M 15 ) über.
Diese bearbeiten die Schüler*innen in Einzelarbeit, da sie sich mit ihren individuellen Vorstellungen von Gott auseinandersetzen sollen. Dabei ist es unwichtig, mit welcher Station die Schüler*innen beginnen oder enden. Ebenso ist es nicht erforderlich, dass alle Schüler*innen alle Stationen durchlaufen (Idee: Differenzierung). Wichtig ist jedoch, dass die Kinder sich Zeit für ihre Antworten lassen, sich mit den Aufgaben tatsächlich auseinandersetzen und zu individuellen Ergebnissen kommen. Dafür kann es hilfreich sein, ihnen ihre Privatsphäre zuzusichern. Kein*e Schüler*in sollte später seine*ihre Ergebnisse offenlegen müssen – wohl aber dürfen.
Im Anschluss an die Arbeit an den Stationen bietet sich dann ein theologisches Gespräch zur Gottesfrage an. Dabei geht es nicht um das Vergleichen oder abschließende Besprechen der Arbeitsergebnisse, sondern darum, individuelle Erkenntnisse und Ergebnisse in das theologische Gespräch einzubringen (vor allem die Stationen M 14 und M 15 können zu Diskussionen einladen), und so die verschiedenen Gottesbilder der Klassenkamerad*innen kennenzulernen, eigene Vorstellungen zu verbalisieren und Differenzen zu respektieren. Neben den Äußerungen der Schüler*innen lohnt es sich bei solch einem Gespräch auch, die Erfahrungen der Lehrkraft sowie biblische Gottesbilder (z.B. aus den Stationen) einzuspielen, um die Überlegungen der Schüler*innen zum Thema Gott noch weiter zu öffnen.
Eine Mind-Map, die parallel zum Gespräch entsteht, ist eine sinnvolle (vorläufige) Ergebnissicherung. Zu verschiedenen Zeitpunkten kann sie erneut gesichtet, überarbeitet, erweitert oder verworfen werden und macht den Schüler*innen so deutlich, dass sich (ihre) Vorstellungen von Gott immer wieder auch verändern können.
Anmerkungen
- Wie z.B. die von James Fowler oder Fritz Oser und Paul Gmünder.
- Zum Beispiel: Szagun, Anna-Katharina / Fiedler, Michael: Religiöse Heimaten oder dies., Dem Sprachlosen Sprache verleihen.
- Vgl. Ritter u.a., Gott, Gottesbilder, Kinder, 171.)
- Vgl. ebd.
- Vgl. Szagun, Religiöse Heimaten, 378.
- Vgl. ebd.
- Vgl. Vgl. Ritter u.a., Gott, Gottesbilder, Kinder, 172.
- Vgl. Hanisch, Das Gottesbild bei religiös & nicht-religiös erzogenen Kindern und Jugendlichen, 4.
- Vgl. Ritter u.a., Gott, Gottesbilder, Kinder, 172.
- Vgl. Szagun, Religiöse Heimaten, 381.
- Vgl. a.a.O., 408.
- Vgl. dazu den Ansatz der Kindertheologie.
- Vgl. Szagun, Religiöse Heimaten, 454.
- Vgl. a.a.O., 408.
- Kerncurriculum für die Grundschule Evangelische Religion, 18.
- Vgl. Szagun, in Loccum, 2020.
- Brenifier, Was, wenn Gott einer, keiner oder viele ist?
- Die Stationen sind bewusst recht umfangreich und unterschiedlich anspruchsvoll gestaltet – so bietet sich eine Differenzierung an.
Literatur
- Brenifier, Oscar/Deprés, Jaques: Was, wenn Gott einer, keiner oder viele ist? Stuttgart 2013
- Hanisch, Helmut: Das Gottesbild bei religiös & nicht-religiös erzogenen Kindern und Jugendlichen im Alter von 7-16. www.studocu.com/de/document/universitat-regensburg/religionspad agogik-korrelation/glaubensdidaktik-10-gottes bilder-nach-hanisch/6672805 (21.2.2023)
- Klein, Constantin / Streib, Heinz / Keller, Barbara: Religiöse Entwicklung. Forschungszugänge, in: WiReLex, www.bibelwissenschaft.de/stichwort/ 100219 (23.2.2021)
- Niedersächsisches Kultusministerium (Hg.): Kerncurriculum für die Grundschule Evangelische Religion, Hannover 2020
- Özoguz, Gürhan / Özogus, Yavuz: 99 schönste Namen, in: Enzyklopädie des Islam, www.eslam.de/begriffe/n/neunundneunzig_schoenste_namen.htm (23.2.2023)
- Pemsel-Maier, Sabine: Dreifaltigkeit/Trinität, in: WiReLex, www.bibelwissenschaft.de/stichwort/ 100168 (23.02.2023)
- Ritter, Werner / Simojoki, Henrik: Gott, Gottesbilder, Kinder, in: Hilger, Georg u.a. (Hg.): Religionsdidaktik Grundschule, Handbuch für die Praxis, Überarbeitete Neuausgabe, Stuttgart 2014
- Szagun, Anna-Katharina / Fiedler, Michael: Religiöse Heimaten. Rostocker Langzeitstudie zu Gottesverständnis und Gottesbeziehung von Kindern, die in mehrheitlich konfessionslosem Kontext aufwachsen, Jena 2008
- Szagun, Anna-Katharina / Pfister, Stephanie: Wie kommt Gott in Kinderköpfe? Praxis frühen religiösen Lernens, Jena 2017
- Szagun, Anna-Katharina: Dem Sprachlosen Sprache verleihen. Rostocker Langzeitstudie zu Gottesverständnis und Gottesbeziehung von Kindern, die in mehrheitlich konfessionslosem Kontext aufwachsen, Jena 2006
- Szagun, Anna-Katharina: Vortrag zur Vokationstagung in Loccum, Loccum 2020
- Werbick, Jürgen / Porzelt, Burkhard: Gott, in: WiReLex, www.bibelwissenschaft.de/stichwort/ 100063 (23.2.2023)