Es gibt unzählige Jesusfilme: in Schwarz-Weiß, in Farbe; mit einem nordeuropäisch-amerikanisch idealisierten blonden, blauäugigen genauso wie mit einem der historischen Person mit größerer Wahrscheinlichkeit näherkommenden Jesus. Filme, die der Dramaturgie der Evangelien weitgehend treu bleiben genauso wie solche, die der gegenwartsbezogenen interpretatorischen, künstlerischen Freiheit Raum lassen. Es gibt auch Jesusfilme, die auf den ersten und sogar zweiten Blick gar nicht als solche erkennbar sind. Dabei gibt es Flops genauso wie Tops. Das allerdings liegt in der Regel im Auge des*der Betrachters*Betrachterin.
Wir haben im Kollegium des RPI nachgefragt: Welches ist dein Top-Jesusfilm? Drei Kolleg*innen stellen ihren persönlichen Top-Jesusfilm vor.
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Bettina Wittmann-Stasch: K-PAX – Alles ist möglich
K-PAX ist bislang meine Lieblingsverfilmung des Lebens Jesu. Verrückt und verfremdet, nicht eins zu eins, ganz sicher – und doch genial. Andreas Mertin hat mich dereinst gelehrt, dass gute Filme oft – oder fast immer? – Biblisches bearbeiten. Mit dieser Brille im Sofasessel gewinnt dieser Film noch weitere Dimensionen, als schlicht eine Science-Fiction oder ein Psychodrama zu sein. Von Jesus wird gesagt, alles sei möglich, dem, der glaubt – in K-PAX ist es Prot, der Menschen neu sehen und denken lässt. Kein weiter Sprung.
Der Plot
Vieles bleibt offen in diesem Drama, auch ob Prot – sozusagen der „Messias” in K-PAX – ein Außerirdischer ist oder nicht. Die Deutungen und Verbindungslinien kann der*die Zuschauer*in selbst eintragen.
Prots Kommen auf die Erde gleicht einer Erscheinung. Er ist der Einzige, der nicht eilig hastet inmitten der Central Station in New York. Ganz plötzlich ist er da, wie aus dem Nichts. Steht da und schaut. Prots Auftauchen wird als erstes von einem Bettler wahrgenommen. Prot will einer Frau zur Hilfe kommen, die überfallen wurde – doch so gerät er ganz unwillkürlich in einen falschen Fokus. Prot wird deshalb – kaum, dass er auf der Erde ist – von den Hüter*innen des Gesetzes als gefährlich erkannt und festgenommen. Wo er herkommt, will die Polizei wissen. Gerade erst angekommen. Fahrkarte? So reist er nicht. Ob er seine Sonnenbrille abnehmen könnte? Nur ungern; er habe ganz vergessen, wie hell der Planet Erde sei. Alles klar, meint die Polizistin und veranlasst seine Einweisung in eine psychiatrische Anstalt.
Bereits diese ersten Filmminuten von K-PAX zeigen alle Motive, die sich im weiteren Film um den jesuanischen Außerirdischen entfalten werden. Hier, in der Psychiatrie, werden wir in der Folge zu Augenzeug*innen einer modernen Passionsgeschichte. Der Psychiater Dr. Mark Powell (Jeff Briges) nimmt Prot zunächst als Routinefall auf. Prot ist nicht nur klug, er liebt auch die Menschen. Er beginnt, seine Mitpatient*innen, die der Arzt längst abgeschrieben hat, zu heilen. Er fühlt sich in sein Gegenüber völlig ein und entwickelt für jede*n eine individuelle und völlig unorthodoxe Therapie, die zur seelischen Gesundung führt. Er, der von außen kommt und für die Psychiatrisierten bald ein neuer Messias wird, nimmt auch den Arzt unter seine Fittiche. Dieser muss erkennen, dass er sich mit seiner Berufsroutine längst seinen Patient*innen und selbst seiner Familie entfremdet hat. Er ist einsamer als die Menschen, die er betreut. Prot wird Dr. Powell zum Bruder, zum Spiegel-Ich (in Szene gesetzt als Filmbild in der Psychiatrie, wenn sich das Gesicht von Powell durch eine Glasscheibe hindurch mit dem von Prot überlagert). Prot zeigt Powell den Blickpunkt von außen; man könnte auch deutend überhöhen: Gottes Perspektive auf die Menschen, der den Gesamtzusammenhang der Welt und das Innerste des Menschen zugleich sieht. Dr. Powell beginnt allmählich, Prot zu glauben; der Arzt in ihm will jedoch heilen. Dr. Powell will Prot mithilfe von Hypnose an dessen Trauma heranführen, weil er eine Persönlichkeitsspaltung in Prot wahrzunehmen meint. Doch er macht etliche Entdeckungen, die ihn an dieser Diagnose auch zweifeln lassen: Die Äußerungen Prots sind in sich sinnvoll und überzeugend. Er scheint ein enormes, geradezu außerirdisches Wissen in Bezug auf Astrophysik und Religionsmystik zu besitzen. Powell beschließt, dieses einigen Wissenschaftler*innen zwecks Prüfung vorzuführen. Wie der zwölfjährige Jesus im Tempel lehrt Prot nun diese zunächst ungläubigen, dann immer erstaunteren Wissenschaftler*innen in einem Astronomie-Zentrum, wobei er ungelöste Fragen im Handumdrehen beantwortet und ihnen den Himmel auslegt.
Unter Hypnose führt Dr. Powell Prot immer wieder an einen Punkt, an dem er von einem Freund erzählt, dem etwas Furchtbares widerfahren sein muss. Ist Prot dieser Robert Porter? Ist Prot ein Ver-Rückter, der wegen des unfassbaren Leids in dieser Welt in eine andere Welt namens K-Pax geflüchtet ist? Oder ist er tatsächlich ein Außerirdischer? Das ist die zentrale Frage des Films, auf die es übrigens keine finale schlüssige Antwort gibt.
Prot kündigt an, bald wieder auf seinen Planeten K-Pax zurückzukehren und dabei einen der Patient*innen mitzunehmen auf seine Himmelfahrt.
Das Ende
Das Verschwinden der auserwählten Patientin und das Verschwinden Prots in ein Koma – begleitet von einem Lichtphänomen, hervorgerufen durch eine besondere Planetenkonstellation – hinterlässt viele Rätsel für die Zurückbleibenden. Als Erbe lässt er eine Ermutigung zurück: Alles ist möglich. Die Liebe ist eine einzige Grenzüberschreitung. Sie kann Menschen gesundmachen, die als krank ausgegrenzt wurden; kann frustrierte Erwachsene mit ihren lange vergrabenen Sehnsüchten konfrontieren; kann ein System an sich selbst zweifeln lassen.
Mein Fazit
Was dachten wohl die Menschen zur Zeit Jesu, als plötzlich ein Zimmermann auftauchte und behauptete, er sei von Gott gesandt? Noch viel mehr: Er sei der Menschensohn, auf den alle warten, der lang ersehnte Messias, der Sohn Gottes? Es wurde sicher heftig diskutiert: Genie? Verrückter? Nicht von dieser Welt?
Als Dr. Powell Prot mit einer ausgedehnten Diskussion über den Planeten K-Pax beweisen will, dass seine Erzählung ein Hirngespinst sein muss, gelingt ihm das nicht. Aber eine Gesellschaft ohne Regierung? Ohne Gesetze? Wie soll das gehen? Es gibt keine Verbrechen? Das wären ja himmlische Verhältnisse. Prot durchschaut die Argumentation und nimmt sie zum Anlass, um etwas von den Werten in seiner Welt zu erzählen: „Ihr Menschen lebt nach dem Prinzip: ‚Auge um Auge, Zahn um Zahn’, was im gesamten Universum für seine Idiotie bekannt ist. Euer Buddha und Euer Christus sahen das auch ganz anders, aber niemand hat das groß beachtet, weder die Buddhisten noch die Christen!“
Es gibt weitere viele tolle Dialoge im Film – doch der folgende ist besonders schön:
Prot und Dr. Powell verabschieden sich voneinander. Da hält Dr. Powell Prot ein Jahrgangsbuch der Highschool vor, das ein Bild von Robert Porter zeigt. Er sieht aus wie Prot in jungen Jahren.
Prot: „Adios, mein Freund!“
Dr. Powell: „Prot, ich möchte Ihnen etwas zeigen: Das ist Robert Porter. Prot, das sind Sie! Sie und Robert Porter sind dieselbe Person!“
Prot: „Das ist vollkommen absurd, ich bin nicht mal ein Mensch.“
Dr. Powell: „Könnten Sie nicht wenigstens die Möglichkeit einräumen?“
Prot: „Ich räume die Möglichkeit ein, dass ich Robert Porter bin, wenn Sie, Mark, die Möglichkeit einräumen, dass ich von K-Pax bin.“
Der Name Prot ist kein Zufall. Ist er tatsächlich der Erste, so die griechische Übersetzung? Der erste Kontakt zwischen Außerirdischen und den Menschen? Der Erste, der wiederkommt, um zu mahnen? Ob Prot von K-Pax kommt oder nur ein verzweifelter Robert Porter ist? Oder ob das alles einfach eine geniale Verfilmung der Biografie Jesu ist? Mein Tipp: Anschauen – und selbst entscheiden.