Es gibt unzählige Jesusfilme: in Schwarz-Weiß, in Farbe; mit einem nordeuropäisch-amerikanisch idealisierten blonden, blauäugigen genauso wie mit einem der historischen Person mit größerer Wahrscheinlichkeit näherkommenden Jesus. Filme, die der Dramaturgie der Evangelien weitgehend treu bleiben genauso wie solche, die der gegenwartsbezogenen interpretatorischen, künstlerischen Freiheit Raum lassen. Es gibt auch Jesusfilme, die auf den ersten und sogar zweiten Blick gar nicht als solche erkennbar sind. Dabei gibt es Flops genauso wie Tops. Das allerdings liegt in der Regel im Auge des*der Betrachters*Betrachterin.
Wir haben im Kollegium des RPI nachgefragt: Welches ist dein Top-Jesusfilm? Drei Kolleg*innen stellen ihren persönlichen Top-Jesusfilm vor.
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Simone Liedtke: Son of Man
SON OF MAN ist ein knapp anderthalbstündiges Drama aus dem Jahr 2006. Der südafrikanische Regisseur Mark Dornford-May erzählt eine alternative Version der Evangelien von Jesu Christi Geburt bis zur Kreuzigung und Auferstehung. Ein Film mit Bildern, die wie Gemälde alter niederländischer Meister strahlen – dabei spielt er im heutigen Südafrika. Der Regisseur lässt erkennen, dass er seit Anfang der 1980er Jahre auch erfolgreicher Theater- und Opernregisseur ist. Er bringt in einer außergewöhnlichen filmischen Inszenierung raue südafrikanische Lebensrealität und christliches Bildgedächtnis zusammen in Bildern, die zwischen Naivität und Authentizität changieren. Seine Interpretation Jesu (dargestellt von Andile Kosi) kann man als befreiungstheologisch einordnen, auch wenn der Film keine Christologie formuliert, sondern im besten Sinne Erzählung ist. Teufel und Engel leben unter den Menschen, die Gegenwart des Heiligen im Profanen wird mit einer Unbekümmertheit geschildert, die allerdings nicht allen Zuschauenden leicht zugänglich sein dürfte.
Vor allem eine großartige Pieta-Szene zeigt, wie Dornford-May es versteht, christliches Bildgedächtnis und westliche Kunsttradition durch eine Art dramaturgisches Reframing mit neuer Relevanz aufzuladen. Er eröffnet zu den bekanntesten neutestamentlichen Erzählungen neue Deutungsansätze, die theologisch ebenso wie kulturwissenschaftlich herausfordern.
Die große Abschluss-Sequenz überrascht mit einer gewagten Neuinterpretation der Kreuzigung, an welcher Jesu Mutter Maria (stark: Pauline Malefane) einen entscheidenden Anteil hat … aber mehr wird nicht verraten. Als Jesus-Film ein „Top“, weil er mit Leidenschaft althergebrachten Hoffnungsbildern neue Energie verleiht. Man kann sich vorstellen, welche Aufbruchsstimmung die ersten Gemeinden der jungen Christenheit bewegt haben muss und fragt sich, wieviel Passion und Vision der eigene Glaube sich heutzutage eigentlich noch erlaubt.