Auszug aus der gemeinsamen Stellungnahme des Bevollmächtigten des Rates der EKD und des Leiters des Kommissariats der deutschen Bischöfe zur sog. „doppelten Widerspruchslösung”1
Die Organspende, die für viele Menschen die einzige Möglichkeit auf Lebensrettung ist, verdient aus christlicher Perspektive höchste Anerkennung als Akt der Nächstenliebe und Solidarität über den Tod hinaus. Papst Franziskus hat die Organspende kürzlich sogar als „Akt der sozialen Verantwortung“ und als „Ausdruck der universellen Geschwisterlichkeit, die alle Männer und Frauen miteinander verbindet“, bezeichnet.2
Gleichzeitig weisen die Kirchen darauf hin, dass eine Organspende – wie der Begriff schon sagt – von einer freiwilligen Entscheidung getragen sein sollte. Es gibt aus christlicher Sicht sehr überzeugende Gründe, die eigenen Organe anderen Menschen zur Verfügung zu stellen – etwa die Dankbarkeit für das eigene Leben, das ja auch erst durch Solidarität und Beziehung ermöglicht wird. Auch als Akt von hohem moralischem Wert kann eine Spende aber nicht erzwungen werden. Es besteht keine moralische Pflicht, seine Organe posthum zu spenden. Eine rechtliche Pflicht kann es aus diesem Grund erst recht nicht geben.3
Aus der grundsätzlich positiven Haltung der Bevölkerung zur Organspende lässt sich keine pauschale Spendenbereitschaft aller Menschen und erst recht keine generelle Zustimmung zur Organentnahme im Einzelfall schließen, denn eine solche erfordert eine umfassende Auseinandersetzung mit den Bedingungen und Konsequenzen einer Organspende. Die Organspende geht nämlich mit schwerwiegenden Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit einher und verändert den Sterbeprozess erheblich. Zwar sind vor einer Organentnahme zwingend alle für das Weiterleben entscheidenden Hirnfunktionen unwiderruflich erloschen. Zugleich aber bildet das Fortbestehen von gewissen Funktionen des Körpers durch organprotektive Maßnahmen eine unverzichtbare Voraussetzung für jede Organtransplantation. Dieser Umstand aber setzt seinerseits medizinisch-therapeutische Maßnahmen während des Sterbeprozesses voraus, die sich von einer palliativen Begleitung des Sterbens grundlegend unterscheiden.
Die Entscheidung für oder gegen eine Organspende ist deshalb eine sehr persönliche Entscheidung über das eigene Sterben. Da der Mensch seine Würde im Sterben und auch über den Tod hinaus behält, darf die Freiheit bei dieser sensiblen Entscheidung nicht beschnitten werden. Eine gesellschaftliche Grundentscheidung, dass jeder Mensch grundsätzlich als Organspender anzusehen ist, solange er nicht ausdrücklich widerspricht, entspricht nicht dem christlichen Bild des selbstbestimmten Menschen, der in Freiheit und zugleich in der Verantwortung vor Gott und seinen Mitmenschen über sein Leben und seinen Körper Entscheidungen zu treffen hat.
Anmerkungen
- Gemeinsame Stellungnahme des Bevollmächtigten des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union und des Leiters des Kommissariats der deutschen Bischöfe – Katholisches Büro in Berlin – zu dem Gesetzentwurf von Jens Spahn et al. „Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der doppelten Widerspruchslösung im Transplantationsgesetz“ und zu dem Gesetzentwurf von Annalena Baerbock et al. „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende“ vom 20. September 2019; www.ekd.de/stellungnahme-widerspruchsloesung-zum-trans plantationsgesetz-52585.htm.
- Äußerung Papst Franziskus vom 13. April 2019.
- Vgl. Handreichung der Glaubenskommission der Deutschen Bischofskonferenz „Hirntod und Organspende“ vom 27. April 2015 (www.dbk-shop.de/me dia/files_public/mntkwpoviym/DBK_1241.pdf).