Ich saß auf dem blauen Stoffsofa meiner fünf Jahre älteren Schwester, als unsere Eltern mit ernsten Gesichtern das Zimmer betraten. Sofort war mir klar, dass irgendwas passiert sein musste. Meine Eltern erzählten mir an diesem Sommertag 2002, dass ich an die Dialyse müsste; meine Blutwerte hatten sich verschlechtert und mein Vater, der mir eigentlich eine seiner Nieren spenden wollte, wurde bei den Untersuchungen als Spender ausgeschlossen. Meine Mutter hatte bereits meiner Schwester im Jahr 2000 eine Niere gespendet und kam somit auch nicht als Spenderin in Frage. Zu diesem Zeitpunkt war ich acht Jahre alt. In einer Operation wurde mir kurze Zeit später ein Katheter in den Bauchraum gelegt, über den meine Mutter dann vier Mal pro Tag Dialyse bei mir machte, alle vier Stunden. Mein Alltag war stark eingeschränkt während dieser Zeit. Freunde treffen und Kindergeburtstage waren an die Dialysezeiten gebunden, ich musste mich an strenge Essens- und Verhaltensregeln halten. Nach genau 14 Monaten Dialyse kam dann endlich der ersehnte Anruf: Es gab ein Organangebot für mich. Also packten wir schnellstmöglich die wichtigsten Dinge in den Koffer und fuhren in die Medizinische Hochschule Hannover. Am 19. September 2003 wurde mir dann in einer fünfstündigen Operation erfolgreich eine Niere transplantiert.
Das Ganze ist jetzt schon 16 Jahre her und ich bekomme immer noch einen Kloß im Hals, wenn ich an die Zeit der Dialyse zurückdenke. Für mich als Grundschulkind war mein Leben stark eingeschränkt, ich durfte nicht am Sportunterricht teilnehmen, bin nicht mit meinen Klassen-kameraden mit dem Schulbus gefahren, durfte keine Schokolade und keine Pommes essen. Als Erwachsene erscheinen all diese Dinge wie Kleinigkeiten, für mich als Kind waren all diese kleinen Einschränkungen aber mehr als nur Kleinigkeiten. Sie haben mein Leben verändert.
Nach der Transplantation war es für mich das Tollste, dass ich Kakao trinken durfte, ohne fingergliedgroße Tabletten dazu nehmen zu müssen. Natürlich war auch nach der Transplantation nicht alles rosarot, aber meine Lebensqualität hat sich deutlich verbessert. Nur weil ich transplantiert bin, bin ich jetzt nicht gesund. Ich muss weiterhin täglich Medikamente nehmen, welche mein Immunsystem unterdrücken, damit das gespendete Organ nicht abgestoßen wird. Das unterdrückte Immunsystem macht mich wiederum anfälliger für alle Krankheitserreger, auch für das neue Corona-Virus. Und wie es so häufig bei Medikamenten ist, haben diese Medikamente starke Nebenwirkungen. Außerdem ist es leider so, dass ein gespendetes Organ nicht ewig hält, durchschnittlich hält eine Spenderniere 15 Jahre. Und was ist dann? Ich bin jetzt 26 Jahre alt, habe viel Freude an meiner Arbeit, habe tolle Freunde und eine Familie, die mich immer unterstützt. Aber was ist, wenn das Organ seine Arbeit nicht mehr macht? Dann werde ich wieder auf ein Organ warten müssen, dieses Mal vermutlich deutlich länger. Momentan liegt die Wartezeit bei ca. sechs bis acht Jahren und bis ein passendes Organ von Eurotransplant gefunden wird, werde ich wieder auf die Dialyse angewiesen sein. Bei einer Nierenerkrankung gibt es zum Glück die Möglichkeit der Ersatztherapie, das ist bei den meisten anderen Organen aber leider nicht möglich.
Seit vielen Jahren beschäftige ich mich daher intensiv mit dem Thema Organspende: Was bedeutet dieses Thema für mich? Mit welchen Gefühlen leben Angehörige, die Organe von geliebten Menschen zur Spende freigegeben haben? Was macht die Politik?
Organspende ist für mich ein sehr persönliches Thema – natürlich, weil ich selbst betroffen bin, aber auch, weil es bei dem Thema Organspende immer auch um den Tod geht. Menschen, die sich mit Organspende beschäftigen, sind dazu gezwungen, sich auch mit dem eigenen oder dem Tod von Angehörigen auseinanderzusetzen. Ich selbst besitze einen Organspendeausweis, den ich in meinem Portemonnaie immer bei mir trage. Ich bin bereit, alle meine Organe und alle Gewebe zu spenden. Für mich als gläubige Christin ist die Bereitschaft zur Organspende ein Akt der Nächstenliebe. Mir ist es wichtig, dass sich die Menschen mit dem Thema auseinandersetzen und mit ihren Angehörigen darüber sprechen, damit diese dann – im schlimmsten Fall, dem Tod eines geliebten Menschen – in seinem Sinne entscheiden können.