Vorüberlegungen
„Lernen über, mit, durch, trotz und ohne KI“1 – diese fünf Dimensionen für den Unterricht können und sollen nach Joscha Falck für den Zusammenhang von KI und Lernen bedacht werden. Lernende benötigen Wissen über KI, sollen KI für ihr Lernen nutzen können, durch KI beim Lernen unterstützt werden, reflektieren und sich kompetent mit KI auseinandersetzen können – und weiterhin fähig sein, auch ohne KI zu lernen. Besonders in den Dimensionen Lernen über und trotz KI steckt Poten-tial für eine Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Grenzen von KI im Religionsunterricht. „Gerade junge Menschen, die nahezu selbstverständlich mit neuartigen Technologien aufwachsen, brauchen geschützte Orte, an denen konstruktiv-kritisch über revolutionäre Entwicklungen diskutiert werden kann. Im Religionsunterricht eröffnet sich die Chance, Schüler*innen mit christlichen anth-ropologischen Impulsen so in Berührung zu bringen, dass anregende Diskussionen um KI/Enhancement entstehen.“2 Dies gilt insbesondere, da sich das Lernen hier nicht nur mit aktuell existierender KI beschäftigen kann, sondern auch mit Potenzialen und Gefahren, angestrebten und befürchteten Weiterentwicklungen. Das Genre Science-Fiction beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit entsprechenden Szenarien und scheint damit erfolgreich viele Menschen anzusprechen. Die darge-stellten Impulse wollen Schüler*innen nicht in positive oder negative Szenarien hineinziehen, son-dern die Auseinandersetzungen mit diesen nutzen, um Rückschlüsse zu ziehen auf eigene und christ-lich geprägte Menschenbilder. „In dem Maße, in dem KI in Gestalt von Robotern zu einem eigen-ständigen Akteur wird, wird die Dramatik von KI vollends evident.“3
Zielgruppe
Die Impulse sind für Lerngruppen ab den Jahrgängen 9/10, im Sekundarbereich II oder an der BBS gedacht, die sich intensiver mit der fiktiven Weiterentwicklung von künstlicher Intelligenz als Teil unseres Alltags auseinandersetzen und Rückschlüsse auf Menschenbilder ziehen können. Sie lassen sich exemplarisch den folgenden inhaltsbezogenen Kompetenzen zuordnen:
- Kerncurriculum Oberschule (17): „Nach dem Menschen fragen“ bis Ende Jg. 10: „Die Schülerinnen und Schüler vergleichen unterschiedliche Formen der Beziehungs- und Lebensgestaltung miteinander.“
- Kerncurriculum Gymnasium (19): „Mensch. 9/10: Zuspruch und Anspruch Gottes als Grundlage christlich orientierter Lebensgestaltung“ – „Die Schülerinnen und Schüler beschreiben religiöses Fragen nach Sinn und Ziel des Lebens als Grunddimension des Menschseins“ und „erörtern mögliche Konsequenzen der christlichen Botschaft für ihre Erfahrungswelt.“
- Rahmenrichtlinien Berufsbildende Schulen (8): Lernfeld A „Den Menschen aus christlicher Perspektive wahrnehmen“, Niveaustufe 4: „Sie verstehen die Gottebenbildlichkeit des Menschen als theologisch‐anthropologische Grundaussage und erörtern Konsequenzen, die sich daraus ergeben.“
Folgende Lernziele können mit der Unterrichtseinheit angestrebt werden:
- Die Schüler*innen benennen Gemeinsamkeiten und Unterschiede von KI und Menschen.
- Die Schüler*innen vergleichen Fähigkeiten der KI mit zentralen Aspekten menschlichen Lebens und setzen sie mit ihrer Lebenswelt und christlichen Traditionen in Beziehung.
- Die Schüler*innen setzen sich mit möglichen technischen Entwicklungen im Bereich der KI auseinander und nehmen dazu Stellung.
Die Perspektive der Schüler*innen auf das Verhältnis von KI und Menschen steht im Fokus. Deshalb wird eine vermenschlichte KI in eine fiktive nahe Zukunft geholt, die der aktuellen Lebenswelt der Schüler*innen ähnelt. Die humanoide Maschine K.I.M. wird Teil der Lerngruppe und ihre Menschlichkeit wird in Beziehung zur eigenen Wahrnehmung und Werten gesetzt. Der Name K.I.M. kann als Akronym für Künstliche Intelligenz Mensch gelesen werden und ist zugleich genderneutral, da Kim weiblicher oder männlicher Vorname sein kann. Inwieweit K.I.M. von den Schüler*innen weiblich, männlich oder neutral gelesen wird, bleibt ihnen überlassen.4 Um die Offenheit zu wahren, wurde im Impuls 2 das Gegenüber Alex benannt, was wiederum als Kurzform des Namens in beiden Geschlechtsvarianten gelesen werden kann.
Die Jugendlichen bekommen K.I.M in der 9. Klasse als Mitschüler*in und beenden ihre Schulzeit mit dem Abitur. Die Handlung lässt sich auf andere Jahrgänge, Schulformen oder berufliche Bildungsgänge anpassen.
Methoden
Die Unterrichtsidee wurde erstmals in einer Fortbildung für Religionslehrkräfte in Tab-let- /iPad-Klassen und einem Workshop für BBS-Religionslehrkräfte vorgestellt und danach jeweils weiterentwickelt. Entsprechend wurde auf die Einbindung digitaler Tools wert gelegt. Diese können durch analoge Entsprechungen ersetzt werden; die Nutzung von KI Bild- und Textgeneratoren für die Impulse 1 und 3 sollte als praktischer Bezug zu künstlicher Intelligenz ermöglicht werden. Hinweise zu einzelnen Tools sind in den Materialien zu finden.
Durchgängig wird die Nutzung des Book-Creator5 vorgeschlagen, mit dem die Schüler*innen einzeln oder in Gruppen im Laufe der Unterrichtseinheit jeweils ein komplettes eBook erstellen. Diese Bücher können abschließend zu einem Sammelband als Ergebnissicherung zusammengefasst werden. Das Programm ist nicht nur von technikaffinen Kolleg*innen zu handhaben; etwas Beschäftigung damit ist aber vorab notwendig.
Für die Gestaltung des eBooks kann durchgängig KI zum Erzeugen weiterer Bilder als Reserve eingeplant werden.
Alternativ können die Stundenergebnisse z. B. in einem Worddokument oder ganz analog in einer Mappe (KI-generierte Teile müssten ggf. ausgedruckt werden) zusammengetragen werden. In den Download-Materialien zu diesem Beitrag ist auch eine kopierbare TaskCard verlinkt, auf der die Impulse mit Aufgaben und Links auf einem Zeitstrahl dargestellt sind.
Impulse
Impuls 1
Sommer 2034: Schulstart
Die mit einem menschenähnlichen Körper ausgestattete künstliche Intelligenz K.I.M. gehört der neu-esten Generation an. K.I.M. verfügt über Sensoren, die den menschlichen Sinnen entsprechend In-formationen aus der Umwelt aufnehmen können. Der künstliche Körper ermöglicht die gleichen Bewegungen (Gehen, Sprechen, Greifen etc.) wie der menschliche. K.I.M kann lernen und ist in der Lage, Entscheidungen zu treffen und selbständig im Rahmen der Gesetze zu handeln.
Nachdem der KI von ihrem Hersteller alles Grundlegende beigebracht wurde, wird K.I.M. in die 9. Klasse eingeschult, um sich gemeinsam mit menschlichen Schüler*innen weiter zu entwickeln. Auch du bist in dieser Klasse und lernst K.I.M. kennen.
Da es gleich in der ersten Stunde eine Diskussion gibt, ob eine künstliche KI zur Schule gehen kann und muss, bittet die Lehrkraft euch, Listen zu erstellen, was K.I.M. als Schüler*in vermag bzw. beherrschen muss, damit ein Schulbesuch sinnvoll ist.
Aufgabe:
• Sammelt in der Tabelle eure Vorstellungen zur Informationsverarbeitung durch Schüler*innen.
a. So müssen Schüler*innen Informationen aufnehmen können: …
b. So sollen Schüler*innen Informationen verarbeiten können: …
c. So sollen Schüler*innen Informationen wiedergeben oder nach ihnen handeln können: …
• Erstellt in Partner*innenarbeit mit einem KI-Bildgenerator ein Bild von K.I.M. und eurer Klasse oder Schule. Speichert das Ergebnis.
• Gestaltet mit dem Bild das Deckblatt eines Book Creator Buches. Fügt ein Foto / Screenshot der Tabelle auf der ersten Seite ein und formuliert eine Überschrift.
Tools zum Impuls (M 1):
KI-Bildgenerator, Book Creator Online
Impuls 2
Frühjahr 2036: Freundschaft
In den letzten eineinhalb Jahren ist K.I.M. Teil deines Freundeskreises geworden. K.I.M. kann witzig sein und immer wieder im richtigen Moment das Richtige sagen. Es ist schön, mit K.I.M. Zeit zu ver-bringen.
Zwischen Alex und K.I.M. scheint aber mehr zu sein. Es ist für alle offensichtlich, dass die beiden starke Gefühle füreinander zeigen. Ihr anderen seid euch nicht einig, ob das richtig ist.
Aufgabe:
- Schreibt zu zweit oder zu dritt einen WhatsApp-Chat, in dem ihr sowohl eher positive als auch eher kritische Argumente nennt. Zwei oder drei dieser Argumente erläutert ihr dem Gegenüber im Chat mit mehreren Sätzen.
- Speichert das Ergebnis und fügt es in eure Bücher ein.
- Stellt in neu gemischten Gruppen einander die Ergebnisse vor und diskutiert die aus eurer Sicht kritischen Punkte.
Tool zum Impuls (M 2):
Webseite Zeeob zum Erstellen des Chats
Impuls 3
Herbst 2036: Wahlrecht
Die Kommunalwahlen in Niedersachsen stehen vor der Tür. K.I.M. möchte auch wählen und ver-fasst ein Schreiben, das erläutert, warum eine KI das gleiche Recht dazu haben sollte wie die Mit-schüler*innen.
Aufgabe:
- Lasst ChatGPT den Brief von K.I.M. erstellen. Beginnt mit folgendem Prompt: „Schreibe aus der Sicht einer KI, die die 10. Klasse besuchen darf, einen Brief, der erklärt, warum auch du als KI wählen gehen möchtest.“
- Überprüft das Ergebnis. Seht euch die Informationen zum Wahlrecht an und überlegt, ob K.I.M. deshalb evtl. auf weitere Aspekte eingehen muss. Ergänzt zusätzliche Argumente („Kritiker sagen, dass …“, „Kürzer“) und passt den Prompt an (z.B. an wen soll der Brief gehen?) bis ihr mit dem Text zufrieden seid.
- Speichert den Prompt und das Ergebnis ab und fügt es in euer Buch ein.
- Stellt euch einige Ergebnisse und die genutzten Prompts vor. Versucht gemeinsam herauszufinden, welche zusätzlichen Hinweise im Prompt hilfreich waren und weshalb.
Tool und Quelle zum Impuls (M 3):
ChatGPT o.ä., Information zum Wahlrecht
Impuls 4
Frühjahr 2037: Taufe
Ihr habt im Religionsunterricht darüber gesprochen, dass auch Jugendliche und Erwachsene sich taufen lassen können. Jetzt möchte auch K.I.M. sich taufen lassen.
In der Klasse entsteht eine Diskussion, ob das möglich und sinnvoll ist.
Aufgabe:
- Benennt in der Klasse, was ihr über die Taufe wisst. Wie läuft sie ab? Welche Bedeutung hat sie? Wozu ist sie gut? Welche Voraussetzungen könnte es geben?
- Lest den Text „Ein Geschenk des Himmels“ und recherchiert in Kleingruppen, überprüft und ergänzt das Gesammelte. Stellt die Ergebnisse in einer Mindmap dar.
- Schreibt eine persönliche Stellungnahme dazu, warum ihr K.I.M.s Taufe befürwortet oder ablehnt. Speichert das Ergebnis ab und fügt Mindmap und Text in das Buch ein.
Tool und Quelle zum Impuls (M 4):
TeamMapper oder anderes Tool zum Erstellen von Mindmaps, Text zur Taufe
Impuls 5
Sommer 2039: Abitur
Euer Jahrgang beendet die Schulzeit. K.I.M. hat den Abschluss mit 1,0 bestanden. K.I.M. wusste immer alles, hat es richtig umgesetzt und genau das Passende gesagt. Eure Sorgen und Probleme hat K.I.M. in all den Jahren gut aufgenommen und kommentiert, aber selbst hat K.I.M. scheinbar keine Fehler. Das machte es oft schwierig, mit K.I.M. befreundet zu sein.
Nun blickst du auf die Erfahrungen mit K.I.M. zurück.
Aufgabe:
- Gestaltet eine (digitale) Collage über eure Zeit mit K.I.M. Nutzt dafür freie Bilder aus dem Internet oder Fotos, die ihr in der Schule macht (achtet darauf, ob alle einverstanden sind, die auf den Fotos zu erkennen sind, auch wenn die Bilder nicht ins Internet gestellt werden) oder erstellt passende Bilder mit einer KI.
- Speichert das Ergebnis ab und fügt es in das Buch ein.
- Sammelt alle Collagen in einem Ordner, den ihr gemeinsam am Smartboard/mit Beamer anschaut. (Alternativ alle ausdrucken und als Galerie aufhängen.)
Tools zum Impuls (M 5):
Grafik-App oder Bildbearbeitungsprogramm, freie Bilddatenbank, Kamera
Impuls 6
Herbst 2040
Mittlerweile ist etwas Zeit vergangen. Die Jahre mit K.I.M. haben mitgeprägt, wie du über KI denkst, aber auch, was dir am Menschsein wichtig ist.
Daran musst du denken, als du auf einem Plakat den Bibelvers (1. Mose 1,27a) liest und den Satz, den jemand daruntergeschrieben hat.
Aufgabe:
- Erörtert in Kleingruppen, wieviel Mensch für euch in einer KI stecken kann und was uns Menschen aus eurer Sicht von einer KI unterscheidet.
- Zeigt Konsequenzen auf, die sich für eure Sicht auf das Verhältnis von Mensch und KI und für Menschen untereinander ergeben.
- Formuliert die Ergebnisse als kurze Statements und nehmt sie als Audio (maxi. 2 Min.) auf. Fügt die Aufnahme in eure Book Creator-Bücher ein.
Tool und Bild zum Impuls:
App zur Tonaufnahme, Bild mit Bibelvers (1. Mose 1,27) und Zusatz.
Nacharbeit
Aufgabe:
Stellt die Book Creator-Bücher so fertig, dass die anderen sie lesen dürfen (und die Lehrkraft sie, wenn angekündigt, benoten kann).
Die Lehrkraft fügt die Bücher abschließend zusammen und exportiert sie als ein eBook, das alle erhalten.
Anmerkungen
- Falck, Lernen und Künstliche Intelligenz, Einleitung des Blogbeitrags. https://joschafalck.de/lernen-und-ki (18.12.2024)
- Nauer, Künstliche Intelligenz, Neuro-Enhancement, Metaversum und Transhumanismus?, 36
- Grümme, KI, ein Ernstfall für die Religionspädagogik, 42.
- Mit der Frage, ob eine KI ein Geschlecht hat bzw. haben sollte, könnte auch ein Impuls zu binären und non-binären Menschenbil-dern verbunden werden. Diese Idee wurde hier nicht weiterverfolgt.
- https://bookcreator.com.
Literatur
- Falck, Joscha: Lernen und Künstliche Intelligenz, in: Blog für Schulentwicklung/Digitalisierung/Fortbildung/Unterricht, https://joschafalck.de/lernen-und-ki (02.01.2025)
- Grümme, Bernhard: KI, ein Ernstfall für die Religionspädagogik, in: Otten, Gabriele / Paeßens, Jutta (Hg.): Künstliche Intelligenz und Human Enhancement. Religion Unterrichten 3 (2022) 2, 38-43
- Grunwald, Arnim: Menschenbilder zwischen vermenschlichten Robotern und digitalen Modellen von Menschen, in: Otten, Gabriele / Paeßens, Jutta (Hg.): Künstliche Intelligenz und Human Enhancement. Religion Unterrichten 3 (2022) 2, 15-21
- Nauer, Doris: Künstliche Intelligenz, Neuro-Enhancement, Metaversum und Transhumanismus? – Warum es höchste Zeit ist, sich auf das christliche Menschenbild zu besinnen, in: Otten, Gabriele / Paeßens, Jutta (Hg.): Künstliche Intelligenz und Human Enhancement. Religion Unterrichten 3 (2022) 2, 31-37
- Niedersächsisches Kultusministerium (Hg.):, Kerncurriculum für das Gymnasium Schuljahrgänge 5 – 10. Evangelische Religion, Hannover 2016
- Niedersächsisches Kultusministerium (Hg.): Kerncurriculum für die Oberschule Schuljahrgänge 5 – 10. Evangelische Religion, Hannover 2020
- Niedersächsisches Kultusministerium (Hg.): Rahmenrichtlinien für das Fach Evangelische Religion, Hannover 2014