Der 19. Dezember 2024 markiert einen Meilenstein für den Religionsunterricht in Niedersachsen: Die Bischöfe und leitenden Geistlichen der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen sowie der vier katholischen (Erz-)Bistümer unterzeichnen in Hannover eine wegweisende Vereinbarung. Ziel ist die Einführung eines gemeinsam verantworteten Schulfachs „Christliche Religion nach evangelischen und katholischen Grundsätzen“.
Diese Einigung ist das Ergebnis intensiver Zusammenarbeit und eines breiten Konsenses. Das neue Schulfach vermittelt Schüler*innen die Grundwerte und Inhalte des christlichen Glaubens aus einer ökumenischen Perspektive, die sowohl evangelische als auch katholische Sichtweisen einbezieht.
Im Folgenden drucken wir den Text der Vereinbarung im Wortlaut ab.
Vereinbarung
der (Erz)Bistümer und evangelischen (Landes)Kirchen in Niedersachsen über die Einführung eines gemeinsam verantworteten Faches Christliche Religion nach evangelischen und katholischen Grundsätzen anstelle der Fächer Evangelische Religion und Katholische Religion
Präambel
Das im Jahr 1998 in Niedersachsen eingeführte Modell des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts für Schülerinnen und Schüler der evangelischen und römisch-katholischen Konfession hat sich bewährt und ist faktisch zum häufigsten Fall des konfessionellen Religionsunterrichtes geworden.
Seit dem Jahr 2010 sind die (Erz)Bistümer und die evangelischen (Landes)Kirchen im intensiven Austausch über die Frage der Weiterentwicklung des konfessionellen Religionsunterrichtes. Dabei haben sie sich darauf verständigt, in jedem Falle den bekenntnisgebundenen Religionsunterricht nach Art. 7 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) zu erhalten.
Das Konzept des gemeinsam verantworteten christlichen Religionsunterrichts gewährleistet dies. Es nimmt den Prozess der ökumenischen Verständigung auf internationaler und nationaler Ebene seit den 1980er-Jahren auf und realisiert ihn im Bereich der Bildung. Es berücksichtigt zudem, dass die Zustimmung zum Religionsunterricht im Land Niedersachsen weit höher ist, als es die Kirchenmitgliedschaft der evangelischen und römisch-katholischen Schülerinnen und Schüler ausweist. Deshalb bezieht das Fach Christliche Religion nach evangelischen und katholischen Grundsätzen (hier immer: Christliche Religion) bereits in seiner Anlage die anderen christlichen Konfessionen (Orthodoxie, freikirchliche Vereinigungen) verlässlich mit ein und ist offen für Schülerinnen und Schüler anderer Religionen sowie konfessions- und religionsungebundene. Zudem erleichtert das Fach Christliche Religion den Schulen die konkrete Umsetzung des Religionsunterrichtes im Schulalltag. In der Summe passt das Fach damit zu den besonderen Voraussetzungen in dem Flächenland Niedersachsen.
Das Bistum Hildesheim, das Bistum Osnabrück, das Erzbistum Paderborn, die Römisch-Katholische Kirche im Oldenburgischen Teil der Diözese Münster, die Ev.-luth. Landeskirche in Braunschweig, die Ev.-luth. Landeskirche Hannovers, die Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg, die Ev.-Luth. Landeskirche Schaumburg-Lippe und die Ev.-ref. Kirche schließen folgende Vereinbarung über den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen in Niedersachsen:
Art. 1
Entschließung
Die (Erz)Bischöfe und Leitenden Geistlichen erklären für ihre jeweiligen (Erz)Bistümer und evangelischen (Landes)Kirchen ihre Zustimmung zur Einführung des Faches Christliche Religion sowie zu seiner dauerhaften Einrichtung.
Art. 2
Rechtliche Grundlagen
- Der Religionsunterricht an öffentlichen Schulen ist nach Art. 7 Abs. 3 GG sowie nach den §§ 124 bis 127 des Niedersächsischen Schulgesetzes (NSchG) ein ordentliches Lehrfach, für das Staat und Kirchen gemeinsam Verantwortung tragen. Er ist Teil des staatlichen Bildungsauftrages.
- Der evangelische bzw. katholische Religionsunterricht ist Pflichtunterricht für alle Schülerinnen und Schüler, die einer evangelischen bzw. der katholischen Kirche angehören. Dies gilt entsprechend für das Fach Christliche Religion. Gemäß § 124 NSchG entscheiden über die Teilnahme am Religionsunterricht aufgrund der Religionsfreiheit nach Art. 4 GG die Erziehungsberechtigten bzw. nach Vollendung des 14. Lebensjahres die Schülerinnen und Schüler selbst (Möglichkeit der Abmeldung).
- Der bekenntnisgebundene, konfessionelle Charakter des Religionsunterrichts im Sinne des Art. 7 Abs. 3 GG ist für das Fach Christliche Religion gegeben.
- Das Fach Christliche Religion soll in Niedersachsen dauerhaft an die Stelle der bisherigen Fächer Evangelische Religion und Katholische Religion treten. Eine Änderung ist nur in Absprache der beteiligten Kirchen und des Landes möglich.
- Die Teilnahme am Fach Christliche Religion steht auch Schülerinnen und Schülern offen, die einer anderen Konfession, Religion oder Weltanschauung angehören oder die ohne religiöses Bekenntnis sind. Sie macht es aber durch die Öffnung nicht zum Pflichtfach für diejenigen, denen diese Öffnung gilt.
Art. 3
Theologische Grundlagen
Die beteiligten (Erz)Bistümer und evangelischen (Landes)Kirchen bezeugen gemeinsam den Glauben an Gott, der in Jesus Christus Mensch wurde und durch den Heiligen Geist in der Welt gegenwärtig ist. Die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre und die gegenseitige Anerkennung der Taufe haben deutlich gemacht, dass die konfessionellen Differenzierungen des 16. Jahrhunderts und die darauf beruhenden Konfessionskulturen heute für die beteiligten (Erz)Bistümer und evangelischen (Landes)Kirchen keine trennende Bedeutung mehr haben, insbesondere hinsichtlich der gemeinsamen Aufgaben und Arbeit der Kirchen im Verhältnis zum Land. Die (Erz)Bistümer und evangelischen (Landes)Kirchen stehen gemeinsam für die vom Grundgesetz gewollte religiöse Bildung ein. Auf dieser gemeinsamen theologischen Grundlage bleibt das konfessionelle Profil der beteiligten (Erz)Bistümer und evangelischen (Landes)Kirchen in versöhnter Verschiedenheit erhalten und wird das gemeinsam verantwortete Fach Christliche Religion im ökumenischen Geist erteilt. Das Fach Christliche Religion basiert auf der Übereinstimmung mit den Grundsätzen der beteiligten Kirchen und damit den drei Bekenntnistraditionen: römisch-katholisch, evangelisch-lutherisch und evangelisch-reformiert.
Art. 4
Ziele des gemeinsam verantworteten Faches Christliche Religion
- Das Fach Christliche Religion hat das Ziel, Schülerinnen und Schülern konfessionelle Perspektiven zu erschließen und gegenseitige Verständigung zu ermöglichen. Gemeinsamkeiten zwischen den Konfessionen werden gestärkt und der wertschätzende Umgang mit bleibenden Unterschieden wird eingeübt. Die konfessionelle Kooperation dient der ökumenischen Öffnung.
- Das Fach Christliche Religion stärkt die religiöse Bildung in der Schule, ermöglicht Schülerinnen und Schülern eine Teilnahme am Religionsunterricht und gewährleistet, dass der Religionsunterricht weiterhin zweistündig erteilt werden kann. Es leistet einen wichtigen Beitrag zur konfessionellen, religiösen und weltanschaulichen Bildung. Es stärkt sowohl die religiöse Orientierung als auch die Pluralitätskompetenz der Schülerinnen und Schüler.
- Ziel des Faches Christliche Religion ist die Entwicklung eines ökumenischen Bewusstseins, die reflektierte Wahrnehmung der eigenen Konfessionalität und die Achtung vor unterschiedlichen konfessionellen Prägungen.
- Die Lehrpersonen im Fach Christliche Religion pflegen die Zusammenarbeit sowohl mit den evangelischen als auch den katholischen Kirchengemeinden und kirchlichen Einrichtungen.
Art. 5
Voraussetzungen, Bedingungen und Strukturen
- Das Fach Christliche Religion soll ab dem Schuljahr 2025/26 anstelle der bisherigen Fächer Evangelische Religion und Katholische Religion an allen öffentlichen Schulen sukzessive eingeführt werden. Voraussetzung für die Erteilung des Faches Christliche Religion ist entweder eine Lehrbefähigung für das Fach Evangelische Religion oder Katholische Religion und entweder eine Missio canonica der beteiligten (Erz)Bistümer oder eine Vokation der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen.
- Die Ordnungen für die Erteilung der Missio canonica der beteiligten (Erz)Bistümer und die Vokationsordnungen der konföderierten Kirchen werden mit Blick auf das Fach Christliche Religion entsprechend angepasst. Die Ordnungen werden hiermit als Voraussetzung für die Erteilung des Faches Christliche Religion wechselseitig anerkannt.
- Die beteiligten (Erz)Bistümer und evangelischen (Landes)Kirchen richten einen Beirat für das Fach Christliche Religion ein, in den Vertreterinnen und Vertreter anderer christlicher Konfessionen (Orthodoxie, freikirchliche Vereinigungen) zur Mitwirkung sowie Repräsentantinnen und Repräsentanten anderer Religionen und des Faches Werte und Normen zur anlassbezogenen Mitarbeit berufen werden. Ziel ist es, dass alle christlichen Kirchen und anderen Religionen angemessen im Unterricht dargestellt und behandelt werden. Zudem sollen Formen der Kooperation mit anderen Religionsunterrichten und dem Fach Werte und Normen gefördert werden. Näheres zur Arbeit des Beirats wird in einer Ordnung geregelt.
- Die beteiligten (Erz)Bistümer und evangelischen (Landes)Kirchen bieten gemeinsame Fort- und Weiterbildungen für Religionslehrkräfte an.
- Die evangelischen und katholischen Mentorate für Lehramtsstudierende arbeiten zusammen.
- Die Schulreferentinnen und Schulreferenten der beteiligten (Erz)Bistümer und evangelischen (Landes)Kirchen bilden zukünftig eine Ökumenische Konferenz für Religionsunterricht und Schule. Ihre Aufgaben werden in einer Ordnung geregelt.
- Die Ökumenische Konferenz für Religionsunterricht und Schule bestimmt je eine evangelische und katholische Ansprechperson, die als Gemeinsame Ansprechstelle für alle das Fach Christliche Religion betreffenden Angelegenheiten gegenüber dem Land fungieren. Die Gemeinsame Ansprechstelle untersteht den Weisungen der Ökumenischen Konferenz für Religionsunterricht und Schule. Ihre Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Befugnisse sind insbesondere:
- Wahrnehmung der kirchlichen Rechte in Bezug auf den Religionsunterricht und Vertretung der kirchlichen Interessen in allen Fragen des Religionsunterrichts
- Beteiligung an der zukünftigen Erarbeitung neuer Kerncurricula für das Fach Christliche Religion unter Zustimmung der beteiligten (Erz)Bistümer und evangelischen (Landes)Kirchen;
- Herstellung des gemeinsamen Einvernehmens über die Kerncurricula für das Fach Christliche Religion;
- Genehmigung der für diesen Unterricht zugelassenen Unterrichtswerke;
- Einsichtnahme in den Religionsunterricht. Das Nähere wird in einer Ordnung geregelt. Über die Finanzierung werden gesonderte Regelungen getroffen.
- Für die administrative, personelle und finanzielle Beteiligung des Erzbistums Paderborn werden die beteiligten (Erz)Bistümer eine gesonderte Regelung treffen.
Art. 6
Vereinbarung mit dem Land
Die beteiligten (Erz)Bistümer und evangelischen (Landes)Kirchen streben eine Vereinbarung über das gemeinsam verantwortete Fach Christliche Religion mit dem Land Niedersachsen an. Die Wirksamkeit dieser hier vorliegenden Vereinbarung steht unter dem Vorbehalt des Abschlusses einer entsprechenden Vereinbarung mit dem Land Niedersachsen.
Art. 7
Freundschaftsklausel
Änderungen dieser Vereinbarung bedürfen einer ausführlichen vorherigen Konsultation der beteiligten (Erz)Bistümer und evangelischen (Landes)Kirchen untereinander. Dabei wird ein Konsens angestrebt.
Hannover, den 19. Dezember 2024
Für die Diözese Hildesheim: Der Bischof von Hildesheim
Für die Diözese Osnabrück: Der Bischof von Osnabrück
Für die Erzdiözese Paderborn: Der Erzbischof von Paderborn
Für die Römisch-Katholische Kirche im Oldenburgischen Teil der Diözese Münster: Der Bischöfliche Offizial
Für die Ev.-luth. Landeskirche in Braunschweig: Der Landesbischof
Für die Ev.-luth. Landeskirche Hannovers: Der Landesbischof
Für die Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg: Der Bischof
Für die Ev.-Luth. Landeskirche Schaumburg-Lippe: Der Landesbischof
Für die Ev.-ref. Kirche: Die Kirchenpräsidentin