Jemand stimmt ein Lied an und dann singen knapp 4.000 Menschen mehrstimmig a capella. Es gibt keine*n Pfarrer*in oder Priester*in, der*die vorne steht. Der Gesang kommt aus der Mitte, in der die Brüder von Taizé sitzen. Sie laden zum Mitsingen der Lieder mit einfachen Texten ein. Wieder und wieder werden sie gesungen, ein meditatives Gebet.
Die Gesänge sind wegen der Internationalität der Gäste in Taizé in verschiedenen Sprachen geschrieben; jede*r soll auf seiner*ihrer Muttersprache singen können. 52 Sprachen sind im Liederheft zu finden. „In Taizé bekommt die ganze Welt ein Gesicht“, heißt es, denn hier ist es nicht ungewöhnlich, in der Kirche neben Menschen aus Deutschland, Frankreich, der Schweiz oder dem Senegal, Hong-Kong und Korea zu sitzen und mit ihnen zu singen. Jede*r so gut er*sie eben kann – wenn die Aussprache nur zu erahnen ist.
Viele der Taizélieder sind in das Evangelische Gesangbuch genauso wie in Folgeliederhefte eingezogen, da sie schlicht und wunderbar eingängig Gehör finden. Wenn man so sagen will, hat Taizé in der ganzen Welt eine Singgemeinde gefunden – auch bei denen, die den Ort Taizé selbst gar nicht kennen.
Vor knapp 70 Jahren gründete der aus einer evangelisch-reformierten Familie stammende Roger Louis Schutz-Marsauche eine Gemeinschaft von Brüdern, deren Wurzeln in der ungeteilten Kirche liegen und damit über den Protestantismus hinausgehen sollte. „Finde Dich niemals ab mit dem Skandal der Spaltung unter den Christen“, soll Roger gesagt haben. Daher ist die Communauté seit ihren Anfängen eine Gemeinschaft von evangelischen, katholischen und orthodoxen Brüdern. Denn schon als Jugendlicher war Frère Roger zu der Überzeugung gelangt, dass eine lebendige Gemeinschaft ein Zeichen der Versöhnung sei und dass ein konkretes Leben zu einem Zeichen werden könne. Deshalb wollte er mit Menschen zusammenleben, deren vorrangiges Anliegen die Versöhnung war. Darin liegt die ursprüngliche Bedeutung von Taizé, ein – wie er es ausdrückte – „Gleichnis der Gemeinschaft“ zu sein, ein kleines, sichtbares Zeichen der Versöhnung.
Und auch seinem Nachfolger Frère Alois ist dieser Gedanke besonders wichtig: „Wir [Brüder] kommen aus über 25 Ländern, Nationalitäten, Mentalitäten, da ist die Brüderlichkeit, die unter uns herrscht nicht selbstverständlich. Wenn das aber nicht stimmt, dann können wir auch keine Jugendtreffen machen. Dann werden wir zu einer Organisation mit einem Programm. Aber nicht eine Gemeinschaft, die durch ihr Leben etwas sagt.“
Was vor über 70 Jahren mit der weltweit ersten ökumenischen Bruderschaft auf dem Hügel in Frankreich begann, strahlt heute in alle Kontinente aus. Etwa 100 Brüder leben heute ein Leben in Gebet, großer Einfachheit, Gütergemeinschaft und Ehelosigkeit. Wöchentlich laden sie Menschen ein, dieses Leben mit ihnen zu teilen.
Und die (vor allem jungen) Menschen genießen die Zeit ohne Luxus. In schlichten Unterkünften, bei den täglichen Gottesdiensten und einfacher Versorgung kann die Frage nach Gott nicht einfach vergessen oder weggewischt werden. Die Gemeinschaft lädt ein, still zu werden, in sich hineinzuhören, auf Gott und die Beziehung zu ihm, ganz gleich, was die jungen Menschen unter „Gott“ verstehen.
„Ich glaube, die Jugendlichen sind dankbar, dass sie hier Fragen stellen können. In einem Freiraum, wo sie so suchen können, wie sie jetzt sind und wo wir sie empfangen, so wie sie sind“, so Frère Alois. Und dabei ist es egal, ob reformiert, lutherisch, orthodox oder ein*e Angehörige*r einer anderen Religion. Oder wie es in Taizé gesungen würde:
„Veni Sancte Spiritus, tui amoris ignem acende. Venis Sancte Spiritus, veni Sancte Spiritus.“