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Ziel muss „religiöse Bildung für alle” sein – Kritisch-konstruktive Anfragen an den CRU: An welchen Punkten müssen wir weiterdenken? Eine Perspektive aus der BBS

von Tobias Sochocki

 

Die Einführung eines gemeinsam verantworteten Christlichen Religionsunterrichts (CRU) wirft ein breites Feld didaktischer und theologischer Fragen und Problemstellungen auf, die die Ökumene herausfordern und die gemeinsam weitergedacht beziehungsweise bearbeitet werden müssen.1 


Breite Beteiligung sicherstellen

Die Weiterentwicklung des bisherigen konfessionellen Religionsunterrichts zu einem gemeinsamen christlichen Unterricht greift aus Sicht der Menschen, die für den (evangelischen) Religionsunterricht an Berufsbildenden Schulen Verantwortung tragen, zu kurz.2  Aus unserer Sicht bedarf es eines konsequenten Weiterdenkens in Richtung eines Einbeziehens Andersgläubiger, Angehöriger anderer Religionen oder nicht konfessionell gebundener Schüler*innen, die mit ihren jeweiligen Lebensfragen am Religionsunterricht teilnehmen wollen. Nur so wären weiterhin die große thematische Vielfalt und lebendige Diskussion innerhalb des Religionsunterrichts gewährleistet, die für dieses Fach gerade an BBS zugleich typisch und fruchtbar sind.

Dass dies ein Unterricht abbilden kann, der dezidiert „christlich“ ist und auch so genannt wird, erscheint allerdings fraglich. Überhaupt bestehen Bedenken wegen des Namens: Weder bildet er die Offenheit für alle Schüler*innen ab, für die der evangelische Religionsunterricht doch stehen will, noch holt der CRU in der bisherigen Konzeption innerchristlich ein, was er durch das Adjektiv „christlich“ so vollmundig verspricht – nämlich die Beteiligung möglichst aller christlichen Religionsgemeinschaften und Kirchen.3


Positive Erfahrungen mit „religiöser Bildung für alle“

Aus Sicht der BBS-Lehrkräfte wäre es wünschenswert, wenn statt der Einführung eines rein innerchristlichen Religionsunterrichts die Möglichkeit einer Erteilung im Klassenverband gestärkt und ausgebaut werden könnte. Ein solcher Unterricht, der sich dann explizit als „offen für alle“ verstünde, wird an BBS schon lange und mit positiven Erfahrungen praktiziert. Nun gilt es in der Theorie einzuholen, was sich in der Praxis bereits bewährt hat. Ziel einer solchen Umstrukturierung muss das Angebot einer „religiösen Bildung für alle“ sein, um gastfreundlich und einladend offen allen Schüler*innen einen Zugang zu diesem Religionsunterricht zu ermöglichen, wenn sie dies wünschen.

Erst ein solcher Religionsunterricht leistet einen entscheidenden Beitrag zur Befähigung zum konfessionsübergreifenden, aber auch zum interreligiösen Dialog und macht tatsächlich ernst mit dem Unterrichtsziel einer religiösen Bildung der Schüler*innen. Dabei sollten zwingend auch nicht-christliche, konfessionslose und nicht-religiöse Schüler*innen mitbedacht werden, da deren Zahl bekanntermaßen stark steigt. Dies setzt die Entwicklung einer „schülerorientierten, zunehmend inklusiven Didaktik“ für alle voraus, die sich in der unterrichtlichen Gestaltung durch die beteiligten Lehrkräfte in „transparenter Positionalität“ niederschlagen sollte.4

Eine solche noch zu entwickelnde Didaktik muss sich an der „realen Praxis“ des Religionsunterrichts (an Berufsbildenden Schulen) und deren Anforderungen orientieren, um den gewachsenen Herausforderungen gerecht werden zu können und zukunftsfähig zu sein. Daraus lassen sich eventuell auch zukunftsweisende Impulse für einige Bereiche in Kirchen und Gesellschaft sowie für die Weiterentwicklung der Theologie im Allgemeinen entnehmen.


Perspektiven für die erste, zweite und dritte Phase der Lehrkräftebildung

Die Anforderungen des ohnehin schon sehr komplexen Faches (Evangelische) Religion werden durch den Schritt hin zum Christlichen Religionsunterricht keineswegs geringer und müssen sich kurz- bis mittelfristig auf Fortbildungsangebote sowie die erste und zweite Phase der Ausbildung von Lehrkräften auswirken.

In der ersten Ausbildungsphase, dem Studium, ist m.E. umfangreicher Reformbedarf angezeigt. Eine Anpassung an die gegebenen Voraussetzungen und Bedingungen von Religionsunterricht wie unter anderem die sehr heterogene Zusammensetzung der jeweiligen Schüler*innenschaft, vor allem auch in Bezug auf die religiösen Vorkenntnisse, und die dadurch veränderten pädagogischen sowie theologischen und didaktischen Anforderungen in den Schulen ist dringend erforderlich.

Diese sollten in die universitäre Ausbildung mit aufgenommen werden, wobei hier nicht nur in der Religionspädagogik Handlungsbedarf besteht, sondern es müsste über alle Bereiche hinweg didaktisch ganzheitlichen Überlegungen und erhöhten praxisbezogenen Anteilen ein hoher Stellenwert eingeräumt werden. Die Idee einer ausbildungsbegleitenden Entwicklung einer „eigenen Theologie“5  als Teil eines grundlegenden Fundaments einer reflektierten Lehrer*innenpersönlichkeit ist zu befürworten. Diese könnte die theologische Basis für die Unterrichtstätigkeit bilden, die es den Lehrkräften ermöglicht, auch in herausfordernden Situationen eigene Standpunkte sicher, gut begründet und mit Bezug auf die eigene Konfessionalität vertreten zu können.

Für den Bereich Fortbildung ist es wichtig, ein breites Angebot kooperativer Formate zu entwickeln, in denen ein ökumenischer Austausch mit möglichst vielen Religionsgemeinschaften ermöglicht und initiiert wird. Außerdem ist es zwingend erforderlich, die dafür notwendigen zeitlichen Ressourcen und Freistellungsmöglichkeiten für die Lehrkräfte zu schaffen, einzuplanen und auch gegenüber dem Kultusministerium und den Schulleitungen einzufordern. Anderenfalls stellt sich dieser Aufbruch als von vornherein zum Scheitern verurteilt dar!


Wie weiter?

Zum Weiterdenken für die Zukunft sollte aus Perspektive der Berufsbildenden Schulen bereits jetzt eine Öffnung des Religionsunterrichts und etwaige Beteiligung anderer Religionsgemeinschaften in die didaktischen Konzepte mit einbezogen werden.
 

Anmerkungen

  1. Dies betrifft Fragen von Vokation und Missio ebenso wie das gemeinsame Abendmahl.
  2. Siehe auch die kritischen Stellungnahmen des VER-Vorstands und der Fachleiter*innen und Fachberater*innen BBS unter: www.religionsunterricht-in-nie dersachsen.de/christlicherRU/beratungsprozess/reaktionen.
  3. Hier sind weiterführende Gespräche mit den Freikirchen und den orthodoxen Kirchen dringend geboten – da der Prozess zum „christlichen“ Religionsunterricht bisher als eine rein evangelisch-katholische Angelegenheit erscheint. Dazu haben bereits erste Gespräche stattgefunden, die nun weiter vertieft werden.
  4. Beide Zitate bei Schröder, Bernd: BRU Magazin 66 (2016), 43f.
  5. Diskussionsimpuls von Bernd Schröder auf der Heidelberger Konsultation „Religionslehrer*in im 21. Jahrhundert“ https://heidelberger-konsultation-2022.unikt-kongresse.de/ am 30.09.22.