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Es könnte ein charakteristisches Herzstück der Schulform IGS zerbröseln – Der CRU in der IGS: Herausforderungen und Perspektiven zum Weiterdenken

von Christina Harder


Die Integrierte Gesamtschule (IGS) als Schulform setzt der Aufteilung der Schüler*innen nach ihren bisherigen Schulleistungen und ihren verschiedenen Lernvoraussetzungen das gemeinsame Lernen im Klassenverband entgegen. Ziel ist es, Schüler*innen mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen im Klassenverband auf der einen Seite eine gemeinsame Grundbildung zu vermitteln, sie auf der anderen Seite mittels binnendifferenzierter Angebote nach individuellen Begabungen zu fördern und zu fordern.

Genau genommen bietet die IGS als Schulform also die besten Voraussetzungen für eine inklusive Schule im Sinne des erweiterten Verständnisses von „Inklusion“ des Landes Niedersachsen: „Die inklusive Schule ist eine Schule der individuellen Förderung, in der jedes Kind mit seinen individuellen Talenten, Begabungen sowie besonderen Bedarfen bestmöglich unterstützt wird. Die inklusive Schule begreift Heterogenität als Grundlage und Chance schulischer Arbeit und Bildung.“1

In der IGS werden also Heterogenität und Pluralität grundsätzlich nicht als Problem für das gemeinsame Lernen gesehen, sondern als Herausforderung und Chance. Das bezieht sich nicht nur auf die Lernvoraussetzungen und -leistungen der Schüler*innen, sondern gleichermaßen auf soziale und weltanschauliche Hintergründe sowie Wertevorstellungen der Schüler*innen. So besteht eines der zentralen pädagogischen Ziele der IGS als Schulform darin, neben dem Erwerb grundlegender fachlicher Kompetenzen im Unterrichts- und Schulalltag auch Räume für das soziale Lernen zu schaffen. Soziales Lernen meint, dass Kinder und Jugendliche lernen, sich in ihren facettenreichen Unterschiedlichkeiten bei Prägungen, Perspektiven und Werten anzunehmen und dies auszuhalten.

Aus diesem Grund wird der Religionsunterricht (RU) im Sekundarbereich I der Integrierten Gesamtschulen häufig – ähnlich wie an Berufsschulen – im Klassenverband erteilt. Es findet keine Aufteilung nach Religions- oder Konfessionszugehörigkeit statt. Erfahrungsgemäß stößt dieses Vorgehen auf breite Akzeptanz bei Schüler*innen und bei Eltern sowie auch im Lehrerkollegium. Im RU wird nämlich für alle Schüler*innen einer Klasse ein gemeinsamer Raum für den Dialog über existenzielle Fragen gegeben: Woran glaubst du? Woran glaube ich? Wie sehe ich die Welt? Wie siehst du sie? Und warum? usw. Offene Heterogenität und Pluralität sind hier ganz besonders erwünscht, sind sie doch ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Begebenheiten in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft. Erwünscht sind Dialoge und Dispute, in denen die Schüler*innen mit ihren je eigenen Deutungszugängen zu der einen Wirklichkeit aufeinandertreffen und so immer wieder mit anderen Perspektiven konfrontiert werden.

Möglich ist der Religionsunterricht im Klassenverband nur durch eine enge Kooperation und Verzahnung mit dem Fach „Werte und Normen” sowie natürlich des katholischen und evangelischen RU miteinander. In der gemeinsamen Fachkonferenz werden schulinterne Curricula auf Grundlage der Kerncurricula erstellt sowie Unterrichtssequenzen und gemeinsame Projekte geplant. Darüber hinaus stehen die Fachlehrer*innen in einem engen fachlichen Austausch.

Im Schulalltag der IGS hat sich diese Kooperationsform zwischen RU und „Werte und Normen” sehr bewährt. Schüler*innen mit unterschiedlichen religiösen und nichtreligiösen Prägungen kommen in der Schule zusammen und treten in einen wertschätzenden Dialog. Wo und wann sonst gibt es dazu Möglichkeiten und Räume, wenn nicht in einer Ganztagsschule wie der IGS?

Der Christliche Religionsunterricht (CRU) ist ausdrücklich für alle Schüler*innen offen – für Getaufte wie Nichtgetaufte. Er ist grundsätzlich offen für Heterogenität und Pluralität. Für die Integrierten Gesamtschulen jedoch könnte allein der Name zu einer grundlegenden Schwierigkeit werden. Das C vor dem RU könnte insbesondere für muslimische Eltern oder Angehörige anderer Religionen ebenso wie für Konfessionslose eine neue Hürde bedeuten, wenn sie ihre Kinder an einer IGS anmelden. Bisher wurden sie auf Elternabenden darüber informiert, dass es in dem Fach Religion um einen Austausch zwischen den Religionen und Konfessionen und Weltanschauungen geht und das gemeinsame Lernen gerade in Glaubens- und Wertefragen zentral für das Konzept der IGS sei, der RU deshalb im Klassenverband stattfinde. Es ist mit Widerstand und Abmeldungen zu rechnen, wenn dem RU am Namen abzulesen ist, dass er explizit christlich ist. Damit könnte ein charakteristisches Herzstück der Schulform IGS zerbröseln.

Für die Schulleitungen der Integrierten Gesamtschulen, insbesondere aber für die gemeinsamen Fachkonferenzen der Fächer Religion und „Werte und Normen” besteht die Herausforderung darin, neue Perspektiven und Konzepte für die enge Kooperation zwischen dem neuen Fach CRU und dem Fach „Werte und Normen” zu entwickeln, so dass das gemeinsame Lernen im Sinne des pädagogischen IGS-Kerns und des inklusiven Grundgedankens weiterhin möglich bleibt. Auch die Superintendenturen oder Schulbeauftragten in den jeweiligen Kirchenkreisen, in denen sich Integrierte Gesamtschulen befinden, werden hier auf der Kommunikationsebene gefordert sein. Sie werden es wahrscheinlich sein, bei denen die IGS-Schulleitungen nachfragen, was der CRU für ihre Schule bedeute. Sie werden ggf. auch darum gebeten, mit der Schule nach Möglichkeiten zu suchen, den CRU mit dem Herzstück der IGS und einer inklusiven Schule kompatibel zu machen.

Anmerkungen

  1. Niedersächsisches Kultusministerium: Inklusive Schule, www.mk.niedersachsen.de/startseite/schule/inklusive_schule/stand-der-einfuehrung-175285.html (05.12.2022).