Christ*innen aus aller Welt müssten sich an diesem Ort eigentlich einig sein und in Frieden zusammenkommen. Dieser Ort nämlich, an dem der Leichnam des Gekreuzigten drei Tage lang gelegen haben soll, ist die Geburtsstätte der christlichen Religion.
Sechs christliche Konfessionen leben in der Grabeskirche in Jerusalem Tür an Tür unter einem Dach und feiern hier im zeitlich wie räumlich festgelegten Rahmen eines alten Regelheftes ihre Gottesdienste. Knapp 90 Minuten lang wird dem*der Zuschauer*in ein Einblick in den Alltag dieser ungewöhnlichen, aber leider alles andere als innigen Wohngemeinschaft gewährt.
Da ist zum Beispiel der koptische Priester Father Afrayem Elorashalimy. Mit einem Augenzwinkern schildert er die Nebenrolle, die seine Glaubensbrüder im liturgischen Stundenplan der Grabeskirche spielen. „Ich war schockiert, dass wir so einen kleinen Platz haben“, gesteht er. Die ägyptischen Christen verrichten ihre Gottesdienste in einer winzigen Nische der Grabeskirche. Mittlerweile lässt er sich davon jedoch nicht mehr aus der Ruhe bringen, auch nicht mehr von den interkonfessionellen Reibereien, die den Alltag in der Grabeskirche durchziehen.
„Wenn du schwach bist und nachgibst, verlierst du“, erzählt Father Samuel Aghoyan, der Vorsteher der armenischen Gemeinschaft in der Grabeskirche. Mit List und Lust verteidigt er das Recht seiner Glaubensgemeinschaft in der Hackordnung der Grabeskirche. Revierkämpfe mit den Vertretern der anderen christlichen Konfessionen werden mal mit den Mitteln des Putzplans ausgefochten, mal auch mit denen des Faustrechts. Nachts aber, wenn das Grab den Armeniern übertragen wird, singt er aus vollem Herzen die göttliche Liturgie. „Ich liebe diesen Ort, ich möchte nicht woanders sein“, sagt er.
Der junge Franziskaner Brother Jayaseelan aus Indien ist noch nicht lange hier. Er möchte sich mit den täglichen Stänkereien zwischen den christlichen Konfessionen nicht abfinden und bemüht sich um Freundlichkeit: „Immerhin versuche ich, Buon giorno und Good morning zu wünschen.“ Er möchte lieber die Vielfalt des Glaubens bewundern und verstehen, statt sich aufzuregen und Kämpfe auszutragen.
Auf dem Dach der Grabeskirche lebt der äthiopische Mönch Abuna Gebreselassie Tesfa gemeinsam mit seinen Glaubensbrüdern ein spartanisches Leben – fern des Grabes Christi und diesem zugleich so nah. Hier oben büßen sie dafür, dass ihre Vorgänger vor langer Zeit Steuern nicht bezahlen konnten und deswegen aus dem Innern der Kirche verbannt wurden. Die Gedanken des Äthiopiers kreisen aber vorrangig und durchaus optimistisch um das Himmelreich. Er ist getragen von der Hoffnung, „dass wir hier sein werden am Ende der Tage“.
Der erfahrene Franziskanermönch Pater Robert Jauch würde den Mitbewohnern der anderen christlichen Glaubensgemeinschaften am liebsten wie ein Hauseigentümer wegen Eigenbedarfs kündigen. Da er und seine katholischen Glaubensbrüder nun aber nicht das alleinige Hausrecht haben, gilt es, die Stärke der katholischen Weltgemeinde bei den Prozessionen und Feiern in aller Pracht und Macht sichtbar zu repräsentieren. Doch gelegentlich befallen den Rheinländer auch Zweifel, ob seine Brüder und er auf dem richtigen Weg sind oder vielleicht doch die anderen christlichen Mitbewohner. Spätestens aber, wenn er die Orgel in all ihrer klanglichen Kraft hört, dann stellt er für sich fest, „ist es noch mal schöner, katholisch zu sein“.
Die Cowboys in der Grabeskirche jedoch sind die Vertreter der Griechisch-orthodoxen Kirche. Ihr Patriarch, Theophilos III, zeigt prunkvolles Selbstbewusstsein und ist überzeugt: „Das griechische Patriarchat ist der Inbegriff der Heilgeschichte.“ Seine Mönche regeln den Zugang zum Grab, als ob sie die Hausherren hier seien. Zu Ostern läuft der griechische Patriarch in einem beeindruckenden Fackellauf zwischen den dichtgedrängte Gläubigen hindurch, die in seinen Händen ein von Gott entzündetes Feuer vermuten. Theophilos gefällt das, und er trachtet offen danach, die Gewohnheitsrechte in der Grabeskirche zugunsten seiner Konfession auszuweiten.
Die alltäglichen Konfessionsstreitigkeiten der Christen lassen Wajjeeh Y. Nusseibeh und Abdilkadr Joudeh in der Regel kalt. Sie sind nämlich Moslems. Ihre Familien versehen schon seit Jahrhunderten den Dienst des Türwächters und des Schlüsselverwahrers in der Grabeskirche. Vor Streit sind die beiden jedoch auch nicht gefeit. Wie schon andere Familienmitglieder vor ihnen wetteifern sie verbissen darum, wessen Recht das ältere ist. Jeder ist überzeugt, sein Amt sei das ältere und damit wichtigere und das des anderen das weniger würdevolle. Beide versehen ihren Dienst nicht allein. Sie haben Angestellte, die an einfachen Werktagen die Arbeit zu sehr früher und sehr später Stunde für sie erledigen.
Für viele Menschen ist dieser Ort ein heiliger. Sie kommen von weit her, um hier zu beten, ihren Frieden zu finden und sich ihres Glaubens zu vergewissern. Doch ein Ort des Friedens ist es nicht. Für die Menschen, die hier leben, ist der Alltag von Machtgerangel und Eitelkeiten geprägt. Nach knapp 90 Minuten bleibt der*die Zuschauer*in deshalb desillusioniert, vielleicht sogar enttäuscht zurück: Selbst an diesem heiligen Ort schafft es der Heilige Geist offenbar nicht oder nur selten, die Gläubigen zu einen.