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Wissen und Glauben

von Volker Gerhardt


Im Jahre 2014 habe ich den „Versuch über das Göttliche” mit einer ironischen Distanzierung von dem Werbeeinfall einer für Atheismus und Agnostizismus eintretenden Stiftung eröffnet: Von dieser Stiftung, die sich mit dem großen Namen des bedauernswerten Giordano Bruno schmückt, wurde in Abwandlung der Reklame eines Schwedischen Möbelhauses allen Ernstes gefragt: „Weißt du schon oder glaubst du noch?“ Darauf konnte man damals nur mit der Gegenfrage reagieren: „Weißt du denn nicht, dass du glauben musst?“

Ich habe es mir selbst lange Zeit nicht klargemacht, dass schon das Wissen einen Glauben einschließt. Dazu gehört, dass alles Wissen, wenn es uns denn etwas bedeuten soll, notwendig auf einen Glauben führt; und daraus folgt, dass Wissen und Glauben sowohl historisch wie auch systematisch zusammengehören.

Wie kann jemand ernsthaft glauben, Wissen genüge, um zufrieden oder gar glücklich zu sein? Gibt es überhaupt ein Glück, ohne den in der Hoffnung wirksamen Glauben, dass es noch eine Weile anhalten möge? Und wer immer das Wissen derart in den Vordergrund rückt: Weiß er denn nicht, wie schnell es veraltet? Die Wissenschaften, Inbegriff des bewährten und bestätigten Wissens, sind unablässig dabei, neues Wissen zu generieren, mit dem sie das bisherige Wissen korrigieren und nicht selten auch widerlegen. Gerade Wissenschaftler*innen halten das für einen geradezu natürlichen Vorgang – obgleich sie es selbst gar nicht sicher wissen, wohl aber umso entschiedener glauben.

Heute führt uns die digitale Speicherung des Wissens vor, wie schnell der weitaus größte Teil des Wissens veraltet und wie unvollständig es gerade mit dem unablässigen Zuwachs der Erkenntnis bleibt. Es sind längst nicht mehr bloß die Repräsentant*innen philosophischer Weisheit, die hervorheben, wie unzureichend alles menschliche Wissen ist; nach den Philosoph*innen und dann den Physiker*innen, sind es jetzt die Informatiker*innen, die uns vor Augen führen, dass mit jeder neuen Erkenntnis der Umfang von dem, was wir nicht wissen, zunimmt.


Grenzen des Wissens

Zur empirischen Unzulänglichkeit allen Wissens kommt seine konstitutive Begrenzung hinzu. Abgesehen von dem stets mit der Hypothek unzureichender Überlieferung belasteten historischen Wissen gibt es sicheres Wissen nur von mathematischen und logischen Wahrheiten. Gebraucht aber wird es in allen Fällen für die Zukunft, für die sie uns im Sprechen und Handeln eine notwendige, aber niemals hinreichende Gewissheit gibt. Und das gilt für jedes Wissen, das in allen Fällen der Ergänzung durch den Glauben bedarf. Der zeigt sich in der Regel in dem Vertrauen auf die alltägliche Erfahrung, in der wir davon ausgehen, dass alles Wesentliche auch in Zukunft so bleibt wie bisher.

Von den Naturgesetzen haben wir, insbesondere auch im Alltag, ein verlässliches Wissen. Keinen Schritt könnten wir tun, wenn wir der Schwerkraft kein Vertrauen schenkten. Auch auf die stets auf die gleiche Weise geordnete Folge der Zahlen oder auf die logischen Elementarregeln ist Verlass. Doch was im Einzelnen und erst recht im Ganzen zu erwarten ist, wissen wir nicht. Offen ist auch, wie lange sich Gesellschaften auf die Bestände des Denkens und Sprechens verlassen; noch weniger wissen wir, wie lange sie das überhaupt noch wollen.

Und dennoch leben und handeln wir, als könnten wir uns auf unser Wissen verlassen. Das aber geschieht schon gar nicht mehr im Modus des Wissens, sondern in dem der Überzeugung, der Erwartung, des Vertrauens oder eben – des Glaubens.

Der im Deutschen recht weit gefasste Begriff erlaubt uns, alles, was wir nicht genau wissen, aber doch wenigstens mit Zuversicht annehmen, mit dem Terminus des „Glaubens“ zu bezeichnen. Und hätten wir die Fähigkeit des Glaubens nicht, könnten wir nicht ohne unablässiges Zögern handeln; wir könnten weder ein Versprechen geben, noch hätten wir etwas zu hoffen. Dazu brauchen wir ein Minimum des Wissens und ein Vermögen der Unterscheidung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Aber zur konkreten Entscheidung, etwas Bestimmtes zu tun, brauchen wir mehr. Im Ernstfall ist es Entschlossenheit, zu der ein ganzer Komplex von Annahmen gehört, die wir „in gutem Glauben“ fassen.


Notwendiger Zusammenhang zwischen Wissen und Glauben

Den Zusammenhang zwischen Wissen und Glauben kann man als pragmatisch notwendig bezeichnen, denn wo immer Wissen ist, wird auch ein Glauben benötigt, und wer immer etwas glaubt, geht von einem Wissen aus, von dem er meint, dass es auf ein Ereignis bezogen ist, das zum Gegenstand eines Wissens wird. Wissen lässt sich strenggenommen nur auf das beziehen, was uns vor Augen steht (und von dem wir zu wissen glauben, dass es keine Täuschung ist) oder aber auf etwas, das uns (in ebenfalls beglaubigter Form) etwa so (und nicht anders) gewesen ist. Schon hier zeigt sich, dass selbst in die einfachsten Formen des Wissens irgendeine Form des Glaubens eingelassen ist. Umgekehrt haben wir stets ein Wissen im Hintergrund, das uns Anlass oder Grund zum Glauben gibt.

Wenn Wissen nicht mehr böte als Kenntnisse über das Gewesene, vielleicht noch über das, was augenblicklich geschieht, wäre das Wissen für Lebewesen, die eine Aussicht auf Künftiges brauchen, um überhaupt handeln zu können, ziemlich uninteressant. Denn es gehört zum Wissen, dass es uns erlaubt, den Schritt von der Gegenwart ins Kommende zu tun. Der Modus aber, in dem das gelingt, ist ein – von Wissen angeleiteter – Glauben. Glauben setzt das Wissen fort. In ihrem jeweiligen Gebrauch sind Wissen und Glauben notwendig verbunden.

Unter den Bedingungen einer wissenschaftlichen Zivilisation bietet die Einsicht in die wechselseitige Angewiesenheit von Wissen und Glauben einen beachtlichen Vorteil: Sie bewahrt vor Verkrustungen auf beiden Seiten; sie verbietet angeblich auf Wissenschaft gegründete Ideologien nicht weniger als eine für alle Zeiten und alle Kulturen gerüstete religiöse Dogmatik.


Der Glaube an das Wissen

Hat man den inneren Zusammenhang zwischen Wissen und Glauben erkannt, ist es nur noch ein kleiner Schritt, um die äußere Verbindung auch in ihrer kulturellen Unerlässlichkeit zu verstehen:

Wie kommt ein Mensch zum Wissen? Vermutlich dadurch, dass es sich im Erfahrungszusammenhang seines Lebens einstellt. Dann weiß er (wie der treffende Einsatz einzelner Begriffe erkennen lässt), was „Mama“, „Papa“ oder „Auto“ bedeuten. Und wenn er das weiß, kann er, ausgehend von den kindlichen Anfängen seines Wissens, zur korrekten Verwendung der Wörter zur Bezeichnung vieler Personen, Gegenstände und Vorgänge übergehen und zum Wissen von sich und seiner Welt erweitern.

Aber schon bald treten Augenblicke ein, in denen er mehr wissen will und alsbald auch mehr wissen sollte. Warum? Weil das Wissen nicht nur in der Fähigkeit liegt, gegebene Eindrücke in bestimmte Vorstellungen und umfassendere Begriffe umzusetzen, sondern auch um damit im Umgang mit sich und seinesgleichen mehr erreichen und mehr tun zu können.

Das mag noch zu den inneren Konditionen des Wissens gehören. Aber daraus den Anspruch zu entwickeln, schon im Vorfeld mehr für sein Wissen zu tun, um es im Umgang mit der Welt so einzusetzen, dass daraus Neues, vielleicht sogar Besseres entsteht, ist eine Aktivität, die sich nur aus dem Glauben an das Wissen entfalten kann.

Tatsächlich gibt es beim Einzelnen wie auch im Ganzen von Gesellschaften ein Streben nach Wissen, das aus der Überzeugung entsteht, dass es gut ist, sich um dessen Erwerb zu bemühen. Zu diesem Streben käme es vermutlich nicht, wenn ein Mensch noch über gar kein Wissen verfügte. Aber dieses Wissen, das einer schon hat, reicht nicht aus, um den Impuls zum Lernen und zum Studium zu erklären. Hier muss eine nicht allein aus Neugier zu erklärende Neigung vorhanden sein, das eigene Wissen, wie auch das der anderen zu vermehren.

Aus purem Wissen jedenfalls lässt sich dieser Impuls nicht erklären. Es muss ein Verlangen, eine weitreichende Überzeugung, eine leitende Erwartung und mit alledem: ein Glauben an das Wissen wirksam sein. Erst aus ihm lässt sich die Selbsterziehung des Menschen, die Förderung der Wissenschaften und die Pflege der eine Vielzahl von Kenntnissen einschließenden Kultur erklären. Hier also wirkt ein vom Wissen zwar angestoßener, aber weit über ihn hinausreichender Glauben, den man als das motivierende Fundament aller intellektuellen Leistungen bezeichnen kann.

Wie nachhaltig dieser Zusammenhang ist, scheint sogar den Erkenntnis- und den Wissenschaftstheoretikern der Moderne entgangen zu sein. Als Beispiel kann man den sogenannten Fortschritt nennen, dessen Ursprungsmotiv nicht erst im Selbststeigerungswahn der neuzeitlichen Technik und der ihr folgenden Ökonomie, sondern bereits in der Logik des ersten Wissens liegt. Denn Wissen veraltet allein schon mit dem Fortgang der Zeit und mit jedem neuen Tag, der uns als solcher bewusst wird. Und wer auf dem Laufenden bleiben will, muss sich um den jeweils neuen Stand des Wissens bemühen. Also nimmt es, als bloßes Wissen, wenn es nur zutreffend sein soll, am ständigen Fortschritt des Wissens teil.

Diese Feststellung gilt von allen Arten und Formen des Wissens, seit es in der Kulturgeschichte der Menschheit eine Rolle spielt. Wie anders hätte es sonst zur Verbreitung des Feuers in so gut wie allen menschlichen Gesellschaften kommen können? Und trotz der offenkundigen Gefährlichkeit des Feuers, das bekanntlich von allen Tieren gemieden wird, wussten die Menschen auf allen Kontinenten, wie man mit dem Feuer umgeht; sie waren von seinem Nutzen überzeugt, auch wenn man das weder von jedem absichtlichen Gebrauch und erst recht nicht von jedem unbeabsichtigten Ausbruch wissen konnte.

Diese Überzeugung kann man immer auch einen Glauben nennen. Und jeder, der sein Wissen im Lebenskontext zur Anwendung bringen will, ist eben damit schon auf den Glauben angewiesen. Wer aber nur das geringste glaubt, muss bereits in diesem Glauben etwas wissen.


Religiöser Glaube

Wenn der Glaube schon bei der Fundierung aller wissenschaftlichen Aktivitäten unerlässlich ist: Wie groß muss seine Rolle erst dort sein, wo ein vordringlicher Anspruch des Menschen gar nicht durch methodisch gesichertes Wissen begründet werden kann? Das ist die Frage, vor die uns nicht nur die Politik, die Ästhetik oder die Erziehung des Menschen, sondern vor allem auch die Moral, die Menschenrechte, die Humanität und der Fortbestand der Kultur stellen. Und gesetzt, wir halten in diesen und ähnlichen Fällen den Glauben für unabdingbar: Was bedeutet das für unser Verständnis des religiösen Glaubens, der doch der wesentliche Anlass der Nachfrage nach dem Verhältnis von Wissen und Glauben ist? Gilt das Gesagte auch für ihn?

Diese Frage kann man gar nicht anders als mit „Ja“ beantworten. Mehr noch: Erst im Glauben an einen – wie immer auch verstandenen – Gott bekommt der Glauben nicht nur in seiner thematischen Reichweite, sondern auch in seiner terminologischen Ausdehnung zu seiner eigentlichen Bedeutung. Schon die wenigen Beispiele, die zu den voranstehenden Beispielen herangezogen wurden, haben gezeigt, wie vieldeutig die Verwendungsweisen des Wortes Glauben in der deutschen Sprache sind. Man könnte den Eindruck haben, dass es schon ein Fehler ist, das Verb und das Substantiv so zu behandeln, als habe es überhaupt einen auch nur in die gleiche Richtung weisenden Sinn.

Immerhin kann man sich diesen Sinn durch den Bezug auf das Wissen vorgeben lassen. Dabei eröffnen sich einige durchaus beachtenswerte Perspektiven: Der Glaube als vermeintlicher Gegenbegriff des Wissens erweist sich als dessen Bedingung und zugleich als dessen Rahmen, in dem das eine erst zu seiner praktischen Bedeutung kommt: Der Mensch muss an das Wissen glauben, damit es überhaupt zu seiner handlungsleitenden Funktion gelangen kann. Hier dominiert das intellektuell ausgezeichnete Wissen, dem erst durch die vermittelnde Hilfe des Glaubens zu seiner lebensweltlichen Anerkennung verholfen wird.

Auch im Verhältnis zu Gott geht es zunächst, so vermute ich, nur um das Wissen. Der Mensch will wissen, ob es Gott gibt und ob er tatsächlich für Erlösung und Heil sorgen kann. Aber wenn sich das ursprünglich verlangte Wissen nicht einstellt, kann das zu Abkehr, Trotz oder Gleichgültigkeit führen, scheint aber nicht die vorherrschende Reaktion zu sein. Dem beharrlich Fragenden dürfte erst angesichts der grundsätzlich versagten Antwort klarwerden, wie unangemessen sein Verlangen nach Wissen ist. Hinzu kommt die Gewissheit, dass er als fragender Mensch auf eine Auskunft angewiesen ist und längst eine Vorstellung von dem hat, was eine angemessene Antwort sein könnte. Denn die ist bereits im Glauben des beharrlich Fragenden angezeigt und ist damit bereits an die Stelle des Wissens getreten, das man mit Blick auf Gott gar nicht haben kann. Und damit schiebt sich der Glauben, den die Menschen haben, vor das Wissen, von dem sie längst sicher sein können, dass es mit Blick auf Gott gar nicht angebracht ist.


Existenzieller Glaube bedarf des Wissens

Die Gegenüberstellung von Wissen und Glauben zeigt, dass sie nicht nur durch die Methode ihrer Vergewisserung und Sicherung, sondern auch in der Reichweite ihres jeweiligen Anspruchs unterschieden sind: Das Wissen ist auf Sachverhalte der sinnlich zugänglichen Welt gerichtet, während der Glauben in seiner religiösen Bedeutung auf das Ganze eines Lebenszusammenhangs bezogen ist, zu dem der Gläubige selbst gehört. Dieser Glaube ist, „existenziell“, also gleichermaßen persönlich und universell. In ihm ist das Individuelle unmittelbar zum Ganzen des Daseins, so dass dieses Ganze selbst nicht nur unvergleichlich erhaben, sondern in der Konstellation mit dem Einzelnen selbst einzig erscheint. So kann das Universelle als das exakte begriffliche Gegenüber des Individuums selbst die Gestalt des Individuellen annehmen. Gott und Mensch können damit, trotz ihres unendlichen Unterschieds, dennoch als innig verbunden, zwar nicht gedacht, aber doch geglaubt werden.

Der Glauben an das Göttliche hebt den notfalls ganz auf sich zurückgeworfenen Menschen aus der Erfahrung seines persönlichen Leidens heraus. Seinen Ausgang hat er im Bewusstsein der Verletzlichkeit, Sterblichkeit und der schicksalhaften Verlorenheit, und das lässt ihn hoffen, auf substanzielle Weise mit dem Ganzen verbunden, ja, mit ihm eins zu sein. Es darf somit nicht wundern, dass Furcht und Angst im religiösen Bewusstsein eine exponierte Rolle spielen.

Doch beide kommen hier in der Erwartung vor, überwunden zu werden! Beistand, Trost, Heil und Hoffnung sind die zentralen Momente in der religiösen Botschaft und das nicht primär, wie viele meinen, im Verweis auf ein Leben, das nach dem Leben verheißen wird! Denn ein Glaube, der das in ihn eingehende Wissen nicht verleugnet, kann nur auf die Bewältigung des jetzt gelebten Lebens bezogen sein – und was danach kommt, kann aus der Sicht des Menschen nicht mehr als eine Hoffnung auf die Gnade eines Gottes sein, der uns darin schon das Äußerste von dem bietet, was wir vor unserem eigenen Wissen und Gewissen hoffen können. Aber auch dieser Glauben bedarf des Wissens, wie es in den Büchern und Lehren der tradierten Religionen bewahrt ist und wie es durch die Kulturgeschichte, die Philosophie und die Theologie präzisiert werden kann.


Christlicher Glaube

Der christliche Glaube ist auf die ausdrückliche Differenzierung von Glauben und Wissen gegründet. Und er hat ein Gefühl, nämlich die Liebe, sowohl zwischen den Menschen wie auch zwischen Gott und den Menschen in den Mittelpunkt gestellt, womit er ein neues Maß für den religiösen Glauben vorgegeben hat.

In der Tradition der griechischen Philosophie wurde der Begriff des Glaubens (pistis) schon früh zur Unterscheidung zwischen der Tugend der Frömmigkeit und der Klärung dessen verwendet, was sich, von sinnlichen Eindrücken und von bloßen Meinungen abgegrenzt, als allgemein gesichertes Wissen, festhalten ließ.

In seinem Bemühen, nicht nur den sogenannten Heid*innen, sondern gerade auch den Jüd*innen, zu denen er selbst bis zu seiner Bekehrung gehörte, das Evangelium zu bringen, hat Paulus als erster Botschafter des Glaubens und der Liebe gewirkt.

Die überragende Größe des Apostels Paulus darf man wohl darin sehen, dass er ausdrücklich auch zwischen Glauben und Wissen vermitteln wollte. Paulus hat den Hebräer-Brief angeregt, der in älteren Editionen des Neuen Testaments noch unter seinem Namen zu finden ist. Dieser Brief bietet eine bewegende Deutung des Alten Testaments, in dem, anders als in den Evangelien, nur gelegentlich zwischen Glauben und Wissen unterschieden wird.1 

Im Hebräer-Brief wird an markanten Weissagungen der altjüdischen Überlieferung vor Augen geführt, dass sie nicht nur den Auftritt des Messias ankündigen, sondern wie sie sich im Licht der Liebes- und Glaubensbotschaft Jesu Christi bereits als echte Zeugnisse des Glaubens verstehen lassen. Damit sollte bewiesen werden, dass die jüdische Gelehrsamkeit dem Evangelium näher steht, als die zeitgenössischen Juden glaubten.

In dieser Beweisführung zeigt sich, dass Paulus einen prägnanten Begriff des Wissens hat. Er rechnet es zu den „Waffen dieser Welt“, die zu beachten und so anzuerkennen sind wie die Notwendigkeit einer staatlichen Ordnung. Er, Paulus, will nicht nur „im Geist Gottes“ predigen, sondern auch „mit dem Verstand“.

Doch der Gläubige, wenn er denn für seinen Glauben eintritt, hat aus der Erfahrung der Gnade und der Liebe zu handeln, die er nirgendwo anders als im Glauben erfährt. Für den wird die folgende Definition gegeben: Glauben ist „Feststehen in dem, was man erhofft“ sowie „Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht.“2 

Alle Menschen haben Erkenntnis und benötigen sie zum Leben. Aber wer allein auf sie setzt, wird lediglich „aufgeblasen“; bloßes Wissen fügt, wie Paulus am Kreislauf von Essen und Trinken drastisch vor Augen führt, der Bedeutung eines Menschen nichts hinzu. Nur die vom Glauben getragene Liebe „baut auf“.3  Das jedoch, was sie begründet und errichtet, mit den Mitteln des bloßen Wissens zu Fall bringen zu wollen, ist ein Unverstand, der die Gedankengebäude des Wissens selbst einstürzen lässt.

Anmerkungen
 

  1. Dazu: Gerhardt, Glauben und Wissen; vgl. auch ders., Der Sinn des Sinns, 148ff. Dazu: Barth, Zur epistemischen Struktur des religiösen Bewusstseins.
  2. Hebräer 11,1.
  3. Hebr. 8,1.


Literatur

  • Barth, Roderich: Zur epistemischen Struktur des religiösen Bewusstseins, in: Barth, Roderich / Leonhardt, Rochus (Hg.): Die Vernunft des Glaubens. Theologische Beiträge zu Volker Gerhardts Philosophie des Göttlichen, Leipzig 2020, 163-184
  • Gerhardt, Volker: Glauben und Wissen. 2. Aufl., Stuttgart 2017
  • Gerhardt, Volker: Der Sinn des Sinns. Versuch über das Göttliche, München 2014