Viele Kitas haben zu wenig Personal. Bundesweit macht das Wort vom "Betreuungsnotstand" die Runde. In Bremen unterstützen darum ungelernte Assistenzkräfte die Erzieherinnen und Erzieher. Dagegen gibt es aber auch Vorbehalte.
Bremen (epd). Vor dem großen Spiegel im Kita-Waschraum haben sich einige Kinder der „Bärengruppe“ versammelt und strecken ihre Arme mit Zahnbürsten in den Händen nach oben, soweit es geht. Elizabeth Yesenia Peimann, von allen „Yessie“ gerufen, geht von einem Kind zum anderen, streicht Zahnpasta auf die Borsten. Dann greift sie sich das riesige Modell eines Gebisses und erklärt Schritt für Schritt, wie das Putzen funktioniert: „Zuerst bürstet ihr die Kauflächen, immer hin und her, zuerst unten, dann oben“, beginnt sie.
Elizabeth Peimann ist als ungelernte Assistenzkraft in die Kita der evangelischen Gemeinde St. Georg in Bremen gekommen. Es ist eine große Einrichtung mit fünf Kita-Gruppen, einer Krippe und einem Schwerpunkt in inklusiver Pädagogik: 110 Plätze, umgeben von einem vielfältigen Stadtteil. In einzelnen Quartieren hat etwa die Hälfte der Menschen eine Migrationsgeschichte. „Ich liebe diese Arbeit hier. Die strahlenden Augen der Kinder, ihre Freude. Jeder Tag ist anders“, sagt Peimann - und ist schon wieder unterwegs in den Gruppenraum, wo sie sich gleich mit einigen Kindern samt Bilderbuch in die Leseecke kuscheln will.
Die 50-Jährige, selbst Mutter von zwei jugendlichen Töchtern, hilft beim Zähneputzen, wechselt Windeln, hängt frische Handtücher auf. Sie bereitet auch das Frühstück mit vor, assistiert beim Anziehen, wenn es hinausgehen soll, puzzelt, spielt, macht Bewegungsangebote im Turnraum.
„Das entlastet unsere Fachkräfte erheblich, die dann mehr Zeit haben, um beispielsweise an gruppendynamischen Prozessen zu arbeiten“, sagt Kita-Leiterin Kerstin Meyer-Schoen und betont: „Wenn ich nur qualifizierte Leute habe, kann ich keine verlässliche Betreuung anbieten.“ Der Grund: Die Personaldecke in St. Georg ist wie in vielen Kitas angespannt.
„Wir stehen an einem Scheidepunkt“, sagt der Bremer Vorstandsvorsitzende der Bundesvereinigung Evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder, Carsten Schlepper. „Fachkräftemangel, fehlende Plätze und immer wiederkehrende Engpässe im laufenden Angebot - da muss der Einsatz von anderen Professionen und auch ungelernten Kräften in den Blick genommen werden“, ist Schlepper überzeugt. „Wir brauchen einen Personalmix und eine Aufgabenteilung.“
So sieht das auch die Bildungsbehörde in Bremen, die sich dafür entschieden hat, in Kitas Assistenzkräfte zu beschäftigen, die im Gruppenalltag Routineaufgaben übernehmen. Zwar hat das Modellprogramm gerade aufgrund der Haushaltsnotlage im kleinsten Bundesland einen Dämpfer erlitten. Doch allein in den evangelischen Einrichtungen der Hansestadt arbeiten derzeit einige Dutzend Kita-Assistenzen. Wobei Elizabeth Peimann schon einen Schritt weiter ist: Sie macht eine speziell dafür geschaffene Fortbildung und will sich als Fachkraft qualifizieren. Vor ihrer Anstellung in der Kita hatte sie als Sekretärin gearbeitet und mehr als zehn Jahre als Übungsleiterin mit Kindern und Jugendlichen.
Als Assistenz beginnen, Spaß am Job haben und dann zur Fachkraft weiterbilden - darin sieht Kita-Chefin Kerstin Meyer-Schoen eine zusätzliche Chance des Modells. Wie dringend nötig Verstärkungen sind, zeigt ein Blick auf die teils prekäre Personalsituation in den Kitas bundesweit. Laut einer Umfrage des Paritätischen Gesamtverbandes vom Juni 2024 fehlen in Deutschland insgesamt 125.000 Erzieherinnen und Erzieher. Das entspricht durchschnittlich zwei pädagogischen Fachkräften pro Kita, was wiederum die Teams zusätzlich belastet und vermehrt zu Krankheitsausfällen führt.
Doch es gibt auch Warnungen mit Blick auf das Modell, das auch andernorts, etwa in Bayern, praktiziert und im Saarland diskutiert wird. Ein Vorbehalt: Beschäftigte ohne ausreichende pädagogische Qualifikation müssen in der Arbeit mit den Kindern enger durch die vorhandenen Fachkräfte begleitet werden - was deren Zeit noch mehr beansprucht. Und Bildungsforscherin Anette Stein von der Bertelsmann Stiftung betont, Kitas seien in erster Linie für gute frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung der Kinder verantwortlich: „Die gibt es aber nur mit qualifiziertem Personal.“
Da widerspricht Carsten Schlepper nicht. „Die pädagogischen Fachkräfte bleiben selbstverständlich der Grundstock, um die Förderung der Kinder qualifiziert zu begleiten und zu koordinieren. Wir müssen an vielen Stellschrauben drehen, um das Berufsfeld attraktiver zu machen, ja. Aber mit unserem Assistenzmodell, das von Fortbildungen begleitet wird, holen wir Menschen in die Kitas, die wir sonst vielleicht nie erreicht hätten.“
Also eine Win-Win-Situation? Für Elizabeth Peimann allemal. Jetzt hat sie sich mit einigen Bären-Kindern auf das Kuschelsofa in die Leseecke zurückgezogen. Vertieft in die Geschichte von zwei genialen Erfindern entdeckt die kleine Gruppe so verrückte Maschinen wie Pfützenautomaten, Gespenstervertreiber und Ekelzutaten-Entferner. Auf jeder Seite gibt es etwas Neues zu entdecken. Kein Wunder also, dass einige Kinder am Ende der Bücherzeit rufen: „Yessie, mehr!“