KI-Professor sieht drastische Bildungslücken bei Informatik

Nachricht 25. September 2024

epd-Gespräch: Martina Schwager

Osnabrück (epd). Die meisten Menschen wissen nach Ansicht des Osnabrücker Informatik-Professors Joachim Hertzberg zu wenig über die Funktionsweise von Informatik, Internet und Künstlicher Intelligenz (KI). „Wir haben eine drastische Bildungslücke, was die Informationstechnik angeht“, sagte Hertzberg in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Dienstag am Rande eines niedersachsenweiten Fachtages zur Digitalisierung in der Erwachsenenbildung in Osnabrück. Viele Menschen könnten Handys oder Tablets „virtuos bedienen, die Hintergründe jedoch versteht kaum jemand“.

Das Grundübel sei der seit Jahrzehnten fehlende Informatikunterricht in den Schulen, sagte der geschäftsführende Direktor des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) Niedersachsen.

epd: Herr Professor Hertzberg, was ist KI, also künstliche Intelligenz und wie funktioniert sie?

Joachim Hertzberg: KI wird für Problemlösungen eingesetzt, bei denen nicht alle Fakten bekannt sind und bei denen die Umgebung nicht kontrollierbar ist. Ein Beispiel wäre das autonome Fahren. Der Mensch kann nicht sehen und auch nicht kontrollieren, ob hinter einem geparkten Auto ein kleines Kind hervor gelaufen kommt. Für solche und ähnliche Strukturen werden Algorithmen-Systeme entwickelt. Im Falle des autonomen Fahrens funktionieren diese Systeme allerdings noch nicht zuverlässig.

epd: Was sind Algorithmen?

Hertzberg: Ein Algorithmus ist eine Vorschrift, nach der Daten verarbeitet werden. Das können Daten aus der Umgebung, aus dem Internet oder aus einer Befragung sein. Algorithmen steuern etwa ein System, wie die Einparkautomatik eines Autos.

epd: Wo begegnet uns KI sonst noch im Alltag?

Hertzberg: KI ist nicht nur ChatGPT. KI ist schon seit Jahrzehnten Teil der Informationstechnik. Jedes Navi, das über den Ladentisch geht, nutzt für die Identifizierung des optimalen Weges von A nach B einen KI-Suchalgorithmus aus den 1960er Jahren. Ein weiteres Beispiel ist das Handy. Es erkennt den Nutzer heute per Gesichtserkennung. Wenn der Algorithmus Ihr Gesicht aus einigen wenigen Perspektiven gespeichert hat, ist es völlig wurscht, ob Sie schlecht geschlafen haben und völlig zerknittert aussehen oder plötzlich eine Brille tragen - das Handy erkennt Sie zuverlässig aus allen möglichen Perspektiven.

Weitere Beispiele für KI-Algorithmen wären Pflanzenerkennungsapps oder die Software vieler Computerspiele. Wir nutzen KI als Teil der Alltagskultur häufig, ohne es zu bemerken.

epd: Werden auch im Haushalt schon KI-Algorithmen genutzt?

Hertzberg: Ja, zum Beispiel bei Staubsauger- oder Rasenmäher-Robotern. Beide haben keinen festen Plan von ihrer Umgebung und saugen oder mähen trotzdem. Sogar Kühlschränke, die nach meinen Gewohnheiten oder Vorlieben selbstständig Lebensmittel bestellen, wären denkbar.

epd: Das käme manchen Menschen aber unheimlich vor, wenn der Kühlschrank meine Vorlieben oder meinen Geschmack kennt, ohne dass ich sie geäußert habe.

Hertzberg: Meine Vorlieben kennt im Zweifelsfall aber schon der Betreiber von Payback-Karten. Amazon erstellt Persönlichkeitsprofile nach unseren Bestelldaten. Google weiß, wo unsere Trampelpfade sind, weil die meisten Menschen beim Handy die Ortung eingeschaltet haben. Wer Angst davor hat, durch einen KI-Kühlschrank gläsern zu werden, bei dem käme die Angst relativ spät.

Dahinter steckt aber die Frage, ob wir wollen, dass Daten über uns gesammelt werden. Als Angehöriger einer Generation, in der sich Millionen Bürger gegen die Volkszählung gewehrt haben, erstaunt es mich, wie viele Daten die Menschen heute völlig entspannt von sich preisgeben. Wir bezahlen all diese KI-Hilfsdienste mit den Daten, die wir liefern. Google wiederum generiert Einnahmen dadurch, dass es uns Werbung schickt, die dank KI auf uns persönlich zugeschnitten ist. Zudem können Datensammlungen auch immer in falsche Hände geraten. Wir sollten all das wissen, um uns dann bewusst dafür oder dagegen entscheiden zu können.

Ich zum Beispiel nutze das Google-Navi, weil es mir minutengenau die beste Route anzeigt. Das kann es, weil Millionen Autofahrer es ebenso nutzen.

epd: Sind die meisten Menschen nicht ausreichend über die Wirkungsweise von KI informiert?

Hertzberg: Wir haben eine drastische Bildungslücke, was die Informationstechnik angeht. In der Schule gibt es keinen verpflichtenden Informatikunterricht. Das ist sozusagen die Mutter der Bildungslücke. Die Gesellschaft für Informatik gibt seit vielen Jahrzehnten Empfehlungen für entsprechende Lehrpläne. Die sind aber von den Bundesländern lange Zeit ignoriert worden.

Grundlegende Informatik-Kenntnisse wären die Voraussetzung dafür, das Internet, KI oder Cyber-Sicherheit zu verstehen. Auch bei hochgebildeten und intelligenten Menschen blicke ich da oft in leere Gesichter. Bei der Bedienung von Handys und Tablets hingegen sind mir Elfjährige schon um Längen voraus. Die Benutzung der Geräte funktioniert virtuos, die Hintergründe jedoch versteht kaum jemand.

epd: Wenn Sie fünf oder zehn Jahre weiterdenken, wo sehen Sie KI dann?

Hertzberg: Vor allem Sprachsysteme werden unseren Alltag und auch viele Berufe verändern. Ich könnte meine Steuererklärung zum Beispiel einfach beim Elster-Portal diktieren, statt sie mühsam einzutippen. Pflegekräfte könnten ihre Tätigkeiten jeweils während der Pflege per Spracheingabe protokollieren. KI könnte in der Bankberatung Menschen völlig überflüssig machen. In der Medizin werden Radiologen eigentlich schon jetzt nicht mehr gebraucht, weil KI-Systeme die Bilder von Ultraschallgeräten oder Computertomografen viel besser und schneller auswerten können.

epd-Service
Info
Joachim Hertzberg hielt am Dienstag den Einführungsvortrag zum Thema "Künstliche Intelligenz im Alltag" beim Fachtag der Agentur für Erwachsenen- und Weiterbildung in Niedersachsen mit der Volkshochschule Osnabrück-Land und der Evangelischen Erwachsenenbildung Osnabrück.
Internet
www.dfki.de