Landesbischof Ralf Meister (Hannover) sagt zum Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine am 24. Februar 2023:
„…dass Gerechtigkeit und Friede sich küssen“ heißt es in Psalm 85,11. Ein Bild aus der hebräischen Bibel, das in diesen Zeiten in den Kirchen oft wachgerufen wird. Gerechtigkeit und Frieden werden sich küssen. Das klingt gut.
Zugleich ist es meilenweit von unserer Wirklichkeit entfernt. Vor kurzem habe ich gelernt, dass man das hebräische Wort für „küssen“ auch anders übersetzen kann: Statt „küssen“ heißt es dann „miteinander ringen, kämpfen“. Das passt. Das ist die Lage, in der wir sind. Ein Ringen um die richtige Lösung. Wir erleben, wie tapfer und verzweifelt gerungen wird, nicht nur an der Front, in den Häusern und im Aufrechterhalten der Infrastruktur, sondern auch in der Politik und der Diplomatie, in unseren Diskussionen und Gesprächen untereinander. Wie können Gerechtigkeit und Frieden zusammenkommen? Kann einem Aggressor, der Völkerrecht bricht, der Kriegsverbrechen verübt, das Feld überlassen werden? Kann ein Diktator weiter sein brutales Handwerk treiben, ohne ihn einzugrenzen, zu bekämpfen, damit es Gerechtigkeit gibt?
Es geht um Forderungen und Zugeständnisse. Der Stellungskrieg wird an der Front geführt, aber auch in Positionen. Wieviel Bewegung ist nötig? Wie weit müssen wir abrücken von unseren jahrelangen pazifistischen Grundüberzeugungen? Wer kann etwas bewegen? Und was ist überhaupt möglich, damit das Töten endlich ein Ende hat?
Kämpfen, ringen – und küssen. Wie weit ist das voneinander entfernt. Und wie nah liegt das gleichzeitig beieinander. Das ist die Gefahr. Und das ist zugleich die Hoffnung, auf die wir setzen.
Denn Frieden und Gerechtigkeit gehören zusammen. Eines gibt es nicht ohne das andere. In der Präambel der UN-Charta sind Gerechtigkeit und Frieden aufeinander bezogen. Diese Beziehung gewinnt Gestalt, wenn wir uns einüben in Duldsamkeit und gute Nachbarschaft und alle Kräfte zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit verbinden.
Einen Frieden ohne Gerechtigkeit gibt es nicht. Aber Gerechtigkeit geschieht niemals im Krieg, im größten menschlichen Verbrechen. Friede muss wieder sein! Friede muss wieder werden!
Wir stehen an der Seite der Vielen, die leiden, die Angst haben und in Sorge sind. Wir zeigen ihnen unsere Anteilnahme und schenken ihnen unsere Solidarität. Und wir richten unseren Appell an die Kriegstreiber und Schreckensverursacher: Es ist Zeit, dass wieder Licht aufgeht auf den Schlachtfeldern. Es ist Zeit für neue Hoffnung. Gebt dem Frieden und der Gerechtigkeit eine Chance!“