epd-Gespräch: Daniel Behrendt
Hannover (epd). Für ihre Äußerungen zu einem "Deal der Generationen" in der Corona-Krise erntet Margot Käßmann Widerspruch. Die einstige hannoversche Landesbischöfin und ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hatte in einem Interview dafür plädiert, dass die über Sechzigjährigen zu Hause bleiben, damit Kinder wieder mehr Freiheit bekommen. Im epd-Gespräch erläutert sie ihre Position.
epd: Frau Käßmann, Ihre Äußerungen zu einem "Deal der Generationen" haben zu einer kontroversen Debatte und einigem Gegenwind geführt. Was erleben sie derzeit?
Käßmann: Mein Gefühl ist, dass sich jetzt Menschen empören, die meinen, ich wollte ihre Freiheit einschränken. Menschen, die vor allem in meinem Alter sind. Mir ging es dabei viel mehr darum, die Situation der Kinder in den Mittelpunkt zu stellen. Dafür zu werben, ihnen jetzt schnell wieder Freiheit und Normalität zu ermöglichen. Denn sie sind es, die in der Corona-Krise die massivsten Einschränkungen aushalten müssen, die am meisten leiden. Mir geht es also nicht darum, irgendjemandes Freiheit einzuschränken, sondern den Kleinsten und Schwächsten in unserer Gesellschaft wieder Raum zu geben.
epd: Das aber, indem die Älteren sich zurückziehen, freiwillig "zu Hause bleiben sollen", wie Sie sagen.
Käßmann: Und ich denke, sehr viele dieser Älteren haben dafür viel Verständnis. Mehr als 20 Millionen Deutsche sind Großeltern. Das ist eine riesengroße Gruppe, die aber derzeit kaum gehört wird, zumindest nicht in dieser Großelternrolle. Menschen, die ihre Enkel derzeit nicht sehen dürfen - und zugleich miterleben, dass die Kleinsten kaum noch Kontakt zu Gleichaltrigen haben, lange nicht auf Spielplätze konnten, noch immer nicht in die Kitas und nicht in die Schulen können. Als siebenfache Großmutter würde ich sofort für das Wohl meiner Enkelkinder einen Schritt zurücktreten, ohne mich in unzumutbarer Weise in meinen Rechten eingeschränkt zu fühlen, wenn das für sie hilfreich wäre.
epd: Sie haben die ältere Generation als "Luxusgeneration" bezeichnet. Ist das nicht arg pauschal?
Käßmann: Dazu stehe ich. Und damit meine ich ausdrücklich die Menschen meines Alters. Die Generation der 60- bis 70-Jährigen. Es geht nicht um geldwerten Luxus. Sondern darum, dass sie weder den Krieg noch die harten Entbehrungen danach erleben mussten, sondern ein Leben lang in Frieden und Freiheit gelebt haben - und viele Menschen dieser Generation auch in materieller Sicherheit. Ich habe keinesfalls von der Kriegsgeneration gesprochen, die bittere Not erlebt hat. Am allerwenigsten habe ich die Menschen in den Altenheimen gemeint, die eine tief belastende Isolation ertragen müssen. Im Gegenteil: Ich habe schon vor Wochen darauf hingewiesen, wie drängend ihre Situation ist. Die Menschen in den Pflegeheimen sitzen im Grunde im selben Boot wie die Kleinsten in unserer Gesellschaft: Beide haben keine starke Lobby. Meine Generation dagegen sehr wohl.
epd: Schüren derart zugespitzte Formulierungen nicht einen Generationen-Konflikt?
Käßmann: Nein, der baut sich ohnehin seit längerem wieder auf. Meine Generation hat die Eltern gefragt, warum sie den Krieg, die Nazi-Diktatur und den Mord an Millionen Juden nicht verhindert haben. Mit unseren eigenen Kindern gab es wenig grundsätzliche Konflikte. Aber heute stehen wir in einem ganz anderen, in seiner Tragweite aber sehr wohl vergleichbarem Generationen-Konflikt. Wir erleben ihn weltweit in Gestalt von "Fridays for Future". Heute sind es unsere Kindeskinder, die unserer Generation mit Nachdruck für die Bewahrung der Schöpfung ins Gewissen reden. Und jetzt, in der Corona-Krise, sehen wir eine weitere Konfliktlinie. Sie macht sich an der Frage fest, was wir für eine solidarische Gesellschaft zu geben bereit sind.
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