Osnabrück/Berlin (epd). Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, plädiert dafür, auch 30 Jahre nach dem Mauerfall einen differenzierten Blick auf die Menschen in der früheren DDR zu bewahren. "Pauschalvorwürfe helfen uns nicht weiter", sagte Jahn der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Mittwoch). Auch in seiner eigenen Familie habe es Diskussionen darum gegeben, wie viel Widerstand gegen die DDR-Diktatur möglich sei. "Das war immer ein Konflikt - zwischen den Generationen, aber auch ein politischer Konflikt um die Frage: Was bringt es, Widerstand zu leisten?"
Genau an diesem Punkt habe "die Sippenverfolgung in der DDR angesetzt", erläuterte der 66-Jährige. "Die Staatssicherheit hat skrupellos agiert, indem sie die gesamte Familie haftbar gemacht hat für den Einzelnen. Das war Methode." Er selbst habe als Widerständler viele Kompromisse gemacht aus Rücksicht auf seine Familie, sagte Jahn, der 1983 zwangsweise in den Westen ausgebürgert wurde. "Meine Eltern haben mir Vorwürfe gemacht, als ich an der Uni protestiert hatte gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann. Mein Vater war klar und deutlich: Warum gefährdest du wegen eines Scheiß-Liedermachers das Glück der ganzen Familie?"
Nach der friedlichen Revolution im Herbst 1989 und der Besetzung der Stasi-Zentrale an der Normannenstraße in Berlin am 15. Januar 1990 war Jahns Akte die erste, die geöffnet wurde. Er sei als Journalist dabei gewesen und habe seine Erlaubnis erteilt. Besonders schockiert sei er gewesen, dass die Stasi ihn sogar noch beobachtet habe, als er nach seiner Ausbürgerung in West-Berlin gelebt habe. "Das geht unter die Haut, wenn man sieht, dass sogar der Schulweg der achtjährigen Tochter observiert wird", sagte Jahn. "Das ist etwas, wo man sich fragt, was sie alles vorhatten, und dankbar ist, dass man noch gut davongekommen ist."
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