Rudolf Englert, Helga Kohler-Spiegel, Elisabeth Naurath, Bernd Schröder und Friedrich Schweitzer (Hg.):
Religionspädagogik in der Transformationskrise
Ausblicke auf die Zukunft religiöser Bildung. Jahrbuch der Religionspädagogik, Bd. 30, Neukirchener Verlagsgesellschaft, Neukirchen-Vluyn 2014
ISBN 978-3-7887-2827-4, 222 Seiten, 32,00 Euro
In der religionspädagogischen Literatur erschienen zuletzt viele Titel, die das Bedürfnis nach sehr grundsätzlicher Standortbestimmung anzeigen. In diese Reihe gehört auch dieser Jubiläumsband. Er bietet dazu eine Fülle von Kontextinformationen; eine schlüssige Lösung, wie es weitergehen soll, kann und will er aber nicht formulieren.
Der Band besteht aus vier Hauptteilen, in denen relativ knapp Grundpositionen der Debatte vorgestellt werden, worauf sich dann jeweils ein aufsummierender religionspädagogischer Kommentar anschließt. Teil 1 referiert Globalanalysen zur gegenwärtigen Lage der Religion: etwa das Narrativ der Rationalisierung des Lebens (Markus Buntfuß), die Bedeutung der globalen Religionsentwicklung, die ja via Migration auch Deutschland betrifft (Henrik Simojoki), oder den Pluralismus-Begriff (Ulrich Körtner). Friedrich Schweitzer nimmt Stellung und plädiert für eine unaufgeregte Position: Am besten seien immer noch die Begriffe „Erfahrung“, „Reflexivität“ und „Pluralitätsfähigkeit“ geeignet, religiöse Bildungsanliegen auf den Punkt zu bringen.
Teil 2 bespricht die Lage des Christentums in Deutschland: Uta Pohl-Patalong und Norbert Mette liefern instruktive Miniaturen zur Bestandsaufnahme der großen Kirchen, Jan Hermelink bespricht das Christentum außerhalb der Kirche (und zeigt damit zugleich, dass die bisherige Auswertung der 5. EKD-KMU, vor allem durch Gerhard Wegner, zu kurz greift), und Judith Könemann summiert verlässlich Einsichten zur heutigen religiösen Sozialisation auf. Bernd Schröder zeigt, wie „anfangshafte Erschließung“ (114) zunehmend Aufgabe des RU wird, wodurch sich zugleich die Möglichkeit eines neuen Bezugs auf die Kirche (als Lernort und Lernchance) ergibt.
Teil 3 gilt schultheoretischen Dimensionen. Burkhard Porzelt fragt danach, welches Interesse die Schule eigentlich an Religion hat. Zutiefst anregende Überlegungen münden in ein Plädoyer für einen religionskundlichen Unterricht. Dietlind Fischer untersucht die Möglichkeiten, Religion auch außerhalb des Unterrichts im Schulleben zu verankern, und Helga Kohler-Spiegel skizziert neue Herausforderungen an das Selbstverständnis von Religionslehrerinnen und Religionslehreren. Elisabeth Naurath möchte abschließend diesen Schul-Wirklichkeiten vor allem durch eine interreligiöse Öffnung des konfessionellen RU gerecht werden.
Teil 4, welcher dem Bezug auf die (systematische) Theologie gewidmet ist, trägt in meinen Augen am wenigsten zu „Impulsen für eine zukunftstaugliche Religionspädagogik“ (10) bei. Manche der Beiträge führen einen zu starken dogmatischen Binnendiskurs (Ralf Miggelbrink, Magnus Striet). Sabine Pemsel-Maier verfolgt die im Prinzip richtige Auffassung, dogmatisches Wissen müsse als schülerorientierte Symbolhermeneutik entfaltet werden. Aber ob sich diese dann tatsächlich mit einem „Theologisieren mit Kindern“ verträgt, wie Pemsel-Maier meint, ist mir fraglich. Rudolf Englert führt die Tendenz zur „Versachkundlichung“ (210) des RU darauf zurück, dass auch in der Theologie selbst Wahrheitsansprüche verblassen – im Lichte der anderen Beiträge muss man sagen: Die Ansprüche verblassen zwar nicht, aber sie werden von der Dogmatik nicht mit den sich aus der Lage ergebenden Anforderungen an eine systematische Theologie vermittelt. Dies Problem bringt Martin Laube dann trefflich auf den Punkt.
Zwei Dinge habe ich vermisst: Zum einen gibt es mehrere Plädoyers für eine Öffnung des konfessionellen RU. Allerdings wird nicht darauf reflektiert, ob auch die anderen Religionsgemeinschaften das wollen. Die RP läuft Gefahr, mit dieser scheinbar progressiven Haltung einen transformierten christlichen Hegemonialanspruch zu erheben, nach dem die spezifische Selbstüberführung der christlichen Unterweisung in eine Art engagierte Religionskunde auch anderen Religionen als Modell angepriesen wird. Zum zweiten: Dem Band fehlt eine Diskussion der Rechtsfragen. RP-Konzepte sind ja schön und gut, aber ohne die entscheidende Frage, in welcher Rechtsform der RU der Zukunft erteilt werden soll, kommt allen Phantasien über Kooperationen, RU für alle und dergleichen lediglich der Status „interessante Idee“ zu.
Alles in allem markiert der Band gründlich einen gewissen Debattenstand. Die Inhalte sind überwiegend nicht direkt neu, aber zumeist trefflich zusammengefasst und bieten sich daher zur Lektüre bei Fortbildungen, in Seminaren, oder um sich selbst auf Stand zu bringen sehr an.
Prof. Dr. Andreas Kubik, Universität Osnabrück