rez124

Uta Pohl-Patalong
Bibliolog. Impulse für Gottesdienst, Gemeinde und Schule.
Band 3: Handlungsfeld Religionsunterricht
Kohlhammer, Stuttgart 2019
ISBN 978-3-17-031135-0
168 Seiten, 24,00 €

Bibliolog setzt sich durch: Seit 20 Jahren wird er in Gottesdiensten und Gemeindegruppen praktiziert, mittlerweile geht er auch regelmäßig zur Schule. Jetzt ist nach dem Grundlagenbuch zu Bibliolog (2005) und dem zweiten Band zu bibliologischen Aufbauformen (2009) Anfang dieses Jahres der dritte Bibliolog-Band der Autorin – zum Handlungsfeld Religionsunterricht – erschienen. Bibliolog ermöglicht die Inszenierung einer aktuellen und lebensrelevanten Begegnung mit der christlichen Tradition in Gestalt biblischer Geschichten und meistert so eine der größten Herausforderungen des gegenwärtigen Religionsunterrichts, nämlich eine Brücke zwischen Tradition und Schüler*innen zu schlagen. Im Buch werden Rahmenbedingungen von Schule sowie der Kontext Religionsunterricht in Bezug auf den bibeldidaktischen Ansatz des Bibliologs dargestellt und erörtert. Die Idee des Bibliologs, aus der jüdischen Tradition des Midrasch entstammend, versteht die Bibel als ein deutungsoffenes und zur Auseinandersetzung herausforderndes Buch.

Konzipiert ist der Band als „Erstbegegnung“ und „Entscheidungshilfe“ dafür, ob man den Bibliolog erlernen will, nicht als ein Methodenbuch für den unmittelbaren unterrichtlichen Einsatz. Denn der Einsatz von Bibliolog setzt die Teilnahme an einem Grundkurs voraus, eine qualifizierte Fortbildung ist unabdingbar. Pohl-Patalong begründet das damit, dass der Bibliolog keine Methode wie beispielsweise das Gruppenpuzzle oder die Fishbowldiskussion sei, „die ich nur kennen, verstehen und gut anleiten muss, um sie praktizieren zu können. Er ist ein religionspädagogischer Ansatz mit einer bestimmten Hermeneutik, einer bestimmten Haltung und Rolle, der bestimmte Techniken korrespondieren, die man erlernen und üben muss und zu deren Umsetzung ein Feedback unabdingbar ist.“ Gleichzeitig ist das Buch ausgesprochen praxisbezogen angelegt. Es bietet elf ausführlich dargestellte Bibliologe (Kapitel 6) – von der dritten Klasse bis hin zur Oberstufengruppe von Lehrkräften mit ihren Lerngruppen erprobt –, eine Liste von für den Unterricht geeignete Textbeispielen und Bezüge zu Fachanforderungen (Kapitel 4), sowie Tipps für Bibliologe im konkreten Unterrichtsgeschehen (Kapitel 5). Darum stellt sich die Frage, was Lehrkräfte daran hindern soll, die Entwürfe direkt zu übernehmen. Man liest eine herzliche Bitte der Autorin im Vorwort, dieses nicht zu tun, gleichwohl zielt die gewählte Anlage des Buchs eher auf Umsetzung und Erprobung als auf bloße Kenntnisnahme.

Jenseits von diesem konzeptionellen Widerspruch finden lesende Religionslehrer*innen und andere religionsdidaktisch Interessierte eine äußerst komprimierte Darstellung des Bibliologs (Kapitel 1), den die Autorin grundsätzlich als einen leistungsfreien Raum versteht, der paradoxerweise Leistungen von Schüler*innen für das Fach Religion steigern könne. Durch das Erleben eines Bibliologs kann man einem biblischen Text in neuer Weise nahekommen und ihn ganz anders erleben, indem man sich selbst und seine Lebenserfahrungen in die „Leerstellen“ des Textes eintrage. Pohl-Patalong geht dabei gesamtgesellschaftlich von einer neuen Offenheit für Religion aus. Religion sei in den Medien präsenter als in früheren Jahrzehnten und werde auch positiver dargestellt. „Die jüngere Generation geht tendenziell neugierig und unverkrampft auf religiöse Traditionen zu und betrachtet sie als potenzielle Quelle für ihre Suche nach Antworten auf Lebensfragen.“ Hier sieht die Autorin eine potenzielle Schnittmenge mit dem Bibliolog, der biblische Texte in einer Haltung der „Hermeneutik des Zutrauens“ als aktuelle und lebensrelevante Traditionen inszeniert und dabei den Unterrichtsherausforderungen von Perspektivität, Pluralität und Positionalität gerecht wird.

In der Verhältnisbestimmung von Schule und Bibliolog wird in dem vorliegenden Buch wiederholt die Raummetapher verwendet. Damit wird betont, dass es sich beim Bibliolog um wesentlich mehr als um eine bibeldidaktische Methode handelt: Er sei ein offener Raum für Auseinandersetzung und Urteilsbildung, der gut zu den gegenwärtigen Suchbewegungen nach Werten und Orientierungen in die Schullandschaft passe. Er ermögliche den Schüler*innen eigene Lernwege, spreche aufgrund der unterschiedlichen Ausrichtung der Fragen an die Rollen (Frage nach Gefühlen, Motiven und Gedanken) unterschiedliche Ebenen an und gestatte vielfältige, den kognitiv und argumentativ ausgerichteten Unterricht ergänzende Teilnahmemöglichkeiten. In diesem Raum können Schüler*innen Positionen und Antworten in den Rollenangeboten erproben, ohne sich festlegen zu müssen. Das Erleben eines Bibliologs zielt darauf, dass Schüler*innen sich veränderte Sichtweisen erarbeiten und Erkenntnisse gewinnen über den Umgang mit sich selbst, mit anderen Menschen und möglicherweise auch mit Gott. Religiöse Bildung, die bibliologisch geschieht, ist umfassend, sie ermöglicht „learning in -, about – and from religion“. Dadurch, dass Schüler*innen zentrale religiöse Texte erleben und von innen heraus erkunden, eröffnet der Bibliolog einen Weg in die christliche Religion. Dabei lernen Schüler*innen etwas davon, wie Religion funktioniert, wie nämlich Menschen ihr Verhältnis zu Gott suchen, finden und gestalten. Und sie können Bezüge herstellen zwischen den biblischen Geschichten und ihrem Leben, das transzendenzoffener wird. In all dem sind sie die Akteure ihrer Bildungsprozesse.

Die Chancen des Bibliologs für den Religionsunterricht werden von der Verfasserin filigran und treffend beschrieben. Beim Lesen hat mir eine Reflexion der Grenzen sowie eine bibeldidaktische Einordnung gefehlt. Es stellt sich auch die Frage, warum der Anwendungsbereich Konfirmandenarbeit religionsdidaktisch nicht ebenfalls hinzugezogen wurde, gerade auch in der Unterscheidung zwischen den Handlungsfeldern Schule und Gemeinde. Aber vielleicht soll das in einem vierten Band thematisiert werden.

Barbara Hanusa